AktuellDeutschlandEuropaStandpunkte

Kufiya tragen verboten!

KZ-Gedenkstätte Buchenwald darf „Palästinensertuch“ vorerst untersagen

Ein Gastbeitrag von Leon Wystrychowski

Während die Aufarbeitung der Verbrechen des deutschen Faschismus in Westdeutschland von unten erkämpft werden musste, war das Gedenken an die Nazi-Zeit und an den antifaschistischen Widerstand in der DDR sozusagen „Staatsräson“. Das ehemalige KZ Buchenwald, dessen Insassen – zu einem Großteil Kommunisten und Sozialdemokraten – sich im April 1945 selbst befreiten, war 1945-90 ein wichtiges Zentrum dieses Erinnerns. Davon ist nicht mehr viel übrig: Die wenigsten in der heutigen BRD und auch die jüngeren Generationen in Ostdeutschland dürften noch etwas mit dem Namen „Buchenwald“ anfangen können. Die Gedenkstätte ist einem schlechten Zustand, die Selbstbefreiung wird offiziell geleugnet und das Gedenken ist der staatlichen Politik untergeordnet – genau das, was man im Westen der DDR bis heute vorwirft.

Einseitig verschärfte Hausordnung

Im Laufe des vergangenen Jahres zeigte sich sehr deutlich, dass Buchenwald mittlerweile voll und ganz in die Choreografie der „deutschen Staatsräson“ eingebunden ist. Im August 2024 wurde mehreren Personen, die auf dem ehemaligen KZ-Gelände am Gedenken für den in Buchenwald ermordeten KPD-Führer Ernst Thälmann gedenken wollten, zunächst der Zugang verwehrt, weil sie Kleidung mit Palästinabezug trugen. Zwar konnten sich die Besucher an diesem Tag noch durchsetzen, doch acht Monate später, beim Buchenwald-Gedenken im April diesen Jahres, verwiesen die Mitarbeiter der Gedenkstätte auf ihre eigens aktualisierte Hausordnung. Dieser zufolge seien sowohl Nationalfahnen als auch Kufiyas und sonstige palästinensische Symbole verboten.

Das Nationalfahnenverbot erstreckte sich allerdings nicht auf Israelflaggen oder -anstecker – Letztere wurden nämlich selbst von Mitarbeitern der Gedenkstätte offen getragen –, sondern ausschließlich auf Fahnen der Sowjetunion und der Russischen Föderation. Ebenfalls nicht toleriert wurden die Abschlussworte der Rede einer Delegation europäischer Jugendlicher, die auf Einladung des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora angereist war. Eine junge Frau schloss den Vortrag mit den Worten: „Worauf warten wir? Menschen sterben. Menschen sterben in der Ukraine in einem Krieg. Menschen sterben in Palästina in einem Genozid. ¡No pasarán!“ Daraufhin intervenierte der Leiter der Gedenkstätte, Jens-Christian Wagner, sofort: „Von einem Genozid im Gazastreifen zu sprechen“ gehöre sich „an einem Ort wie hier“ nicht. Dem Magazin Stern gegenüber nannte er den „Vorfall“ später einen „antisemitischen Übergriff“.

Quelle: Islamhasser und Schlapphüte

Im vergangenen Juli wurde eine interne Handreichung der Gedenkstätte öffentlich bekannt, in der es vorgeblich um „Marken, Codes, Symbole und Zeichen rechtsradikaler und antisemitischer Gruppierungen“ geht. Der zweite Teil des Dokuments dreht sich allerdings vor allem um linke und palästinensische Symbole und Akteure. Darunter sind etwa der Schlüssel als Zeichen der von der UNO garantierten Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge (in der Broschüre als „vermeintliches Rückkehrrecht“ bezeichnet), der Olivenzweig  als Zeichen der Verbindung der Palästinenser mit ihrem Land (laut Broschüre gleichbedeutend mit der „Negierung des Rechts von Jüdinnen und Juden auf ein Leben in Israel“), die Wassermelone in den palästinensischen Nationalfarben, die Begriffe „Ceasefire“/„Waffenstillstand“ und „Genocide“/„Genozid“ und eben auch die Kufiya. Ebenfalls „nicht geduldet“ werden dürften das orange-schwarze Georgsband, weil es für die „Befürwortung der aggressiven Kriegspolitik Russlands und des Kremls“ stehe, das „Z-Symbol“ sowie die Kürzel „ACAB“ bzw. „1312“, die für „All Cops are Bastards“ stehen.

„Einseitig“ und daher „antisemitisch“. (Screenshot: Handreichung der Gedenkstätte Buchenwald)

Neben diesen Symbolen sind auch Organisationen aufgelistet. So etwa die Kommunistische Organisation (KO), die Revolutionäre Kommunistische Partei (ehemals Der Funke) und Young Struggle sowie die weltweite BDS-Bewegung. Letztere propagiert nach dem Vorbild der Anti-Apartheid-Bewegung die friedlichen Mittel des Boykotts, des Divestments und der Sanktionen, um Israels anhaltende Völkerrechtsverletzungen zu beenden.

Weltweit anerkannt, in Deutschland kriminalisiert: die BDS-Bewegung. (Screenshot: Handreichung der Gedenkstätte Buchenwald)

Die Broschüre stützt sich auf bekannte zionistische und teilweise offen araber- und muslimfeindliche Akteure und Medien wie beispielsweise Stephan Grigat, die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Jungle World, die Ruhrbarone oder Belltower News. Aber auch den deutschen Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz.

Hausverbot und Klage 

Anna M. klagt gegen ihr Hausverbot (Screenshot: Kommunistische Organisation)

Anna M., selbst Mitglied der KO, geriet bereits zwei Mal mit der Gedenkstätte aneinander, zuerst beim Thälmann-Gedenken 2024 und dann beim Buchenwald-Gedenken im April diesen Jahres. Beide Male, weil sie eine Kufiya trug. Konnte sie sich gemeinsam mit ihren Genossen beim ersten Mal noch durchsetzen, so wurde ihr beim zweiten Mal ein Hausverbot erteilt. Dagegen leitete sie rechtliche Schritte ein. In ihrer eidesstaatlichen Erklärung berief sie sich u. a. auf Ernst Thälmann und den Schwur von Buchenwald, in dem es heißt: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Außerdem bekundete sie: „Zu meinen Grundwerten einer gerechten Welt, in der allen Menschenrechte zustehen, stehe ich u. a. durch das Tragen der Kufiya ein. Sie abzulegen, würde meinen Überzeugungen widersprechen, die auch von der Verfolgung meiner eigenen Familie als Juden im Faschismus geprägt sind.“

Das Gericht jedoch entschied gegen M. Es behauptete entgegen allen Beweisen, dass die Gedenkstätte kein Hausverbot für Kufiya tragende Menschen per se ausgesprochen habe. Zugleich und im Widerspruch dazu hatte dasselbe Gericht zuvor noch behauptet, „dass das Tragen einer Kufiya jedenfalls im aktuellen politischen Kontext als Ausdruck der Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden verstanden werden kann.” Ms Anwalt, Roland Meister, kommentierte, dass hier „wie man so schön sagt, mit zwei Zungen gesprochen wird“. M betonte in einem am Mittwoch auf Instagram veröffentlichten Video: „Der Klageweg im Hauptverfahren steht weiterhin offen. Aber vor allem muss es jetzt darum gehen, diese Position der Gedenkstätte und der Gerichte zu skandalisieren. Es kann nicht sein, dass wir nach fast zwei Jahren Genozid immer noch dafür kämpfen müssen, dass die Kufiya nicht kriminalisiert wird, dass wir dafür kämpfen müssen, dass die Kufiya nicht als antisemitisches Symbol diffamiert wird“.

Titelbild: Ebenfalls nicht mehr erlaubt: Blumen in den Farben der Russischen Föderation vor der Plastik von Fritz Cremer in der Gedenkstätte Buchenwald (Foto: Bybbisch94-Christian Gebhardt, CC BY-SA 4.0, Bearbeitung/Zuschnitt: Unsere Zeitung)

Artikel teilen/drucken:

Ein Gedanke zu „Kufiya tragen verboten!

  • Bei der Kufiya ist es durchaus verständlich, weil das zum Teil auch wirklich knallharte Antisemiten tragen. Solche Zurschaustellungen haben dort eigentlich nichts verloren, allerdings müsste im Sinne des Gleichbehandlungsgebots für ALLE politischen Agitationen die gleichen Regeln gelten.

    Die konfrontativen Formen des Kampfes sind allesamt gescheitert und haben der palästinensischen Bevölkerung nur unermessliches Leid gebracht und zumeist auch den rechtsextremisten in Israel genutzt. Der militärische Kampf spätestens seit 1967 klar gescheitert und sinnlos.

    Wäre es nicht höchst an der Zeit, doch noch gemeinsam mit der israelischen Friedensbewegung eine wirklich gewaltfreie und positive Bewegung a la Mohanda Gandhi aufzubauen und so die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Die Extremisten auf BEIDEN Seiten arbeiten ja seit Jahrzehnten wunderbar bei der Eskalation zusammen. Dass es der „Palästinasolidarität“ nicht peinlich ist, zumindest indirekt den Rechtsextremisten in Israel zuzuarbeiten? Das verstehe ich wirklich nicht …

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.