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Postmoderne US-Kontrollmechanismen

Grenzüberwachung basierend auf Künstlicher Intelligenz und die Rekonfiguration des Ethos im Kontext der Normalisierung diskriminierender Screening-Praktiken verschärfen sich in der Trump-Ära zusehends.

Von Marlon Possard (Zeitschrift INTERNATIONAL, Heft III/2025)

Die Vereinigten Staaten erleben unter der erneuten Präsidentschaft Donald Trumps eine tiefgreifende Transformation ihrer Grenz- und Migrationspolitik. Diese Entwicklung manifestiert sich nicht nur in der physischen Militarisierung der Grenzen, sondern auch in der Implementierung digitaler Kontrollmechanismen, die zunehmend auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren. Aktuelle Berichte dokumentieren, dass Wissenschaftler und Aktivisten bei der Einreise in die USA verstärkt mit restriktiven Maßnahmen konfrontiert werden. Parallel dazu geraten US-Eliteuniversitäten unter finanziellen Druck, da die Trump-Regierung ganz offen damit droht, essenzielle Fördermittel in Milliardenhöhe zukünftig zu kürzen. Alle diese Vorgänge stellen jedenfalls eine Bedrohung für die akademische Freiheit, den Forschungsstandort USA in Summe und für namhafte Wissenschaftler dar.

Solche Entwicklungen werfen Fragen zur Zukunft der bestehenden US-Demokratie auf, die sich mit Trump auf einem Scheideweg zwischen liberalen Werten und autoritären Tendenzen befindet.

Die US-Grenzbehörden verkommen unter Trump sukzessive zu einem Kristallisationspunkt postmoderner Machtpraktiken, in denen Technologie, Ethik und politische Ideologie ineinandergreifen, während wissenschaftliche Fakten und Studien nicht ernst genommen werden.

Gegenwärtig kann beobachtet werden, dass die Quintessenz von behördlichen Grenzkontrollen, nämlich Grenzen als einen Ausdruck staatlicher Souveränität zu verstehen, immer mehr verwischt. Im Speziellen lässt sich dies an der Rolle von KI-gestützten Überwachungsmechanismen demonstrieren, die das Potenzial besitzen, Diskriminierung zu verfestigen und neue soziale Ausschlüsse zu generieren. Letzteres kann exemplarisch an den verschiedenen KI-Systemen skizziert werden, die aktuell von den US-Grenzbehörden im Rahmen der Einreiseüberprüfung eingesetzt werden. Diese KI-Systeme dienen unter anderem einem „Social-Media-Screening“ der Einreisenden, wo deren Aktivitäten in der digitalen Welt, etwa auf ihren Social-Media-Plattformen, analysiert werden. Solche selektiven KI-Anwendungen können insofern zum Problem werden, da die Möglichkeit besteht, „Personen von Interesse“ mittels dieses Screening-Verfahrens schnell als „unliebsame Einreisende“ zu klassifizieren. „Nicht erwünschte“ Postings zu Trumps Politik beispielsweise können so zu einer ernsthaften Barriere für die Einreise in die USA werden.

Postmoderne Grenzüberwachung und die Transformation des Ethos

Grenzen sind im 21. Jahrhundert nicht mehr lediglich geografische Linien, sondern auch soziale und digitale Konstruktionen. In der postmodernen Gesellschaft fungieren sie als Schnittstellen, an denen sich Fragen von Identität, Souveränität und Zugehörigkeit verdichten. Die USA unter Trump haben diese Entwicklung beschleunigt, indem sie technopolitische Innovationen gezielt zur Kontrolle des Grenzraums einsetzen.

Die Grenzüberwachung wird zunehmend zu einem Labor für experimentelle Sicherheitskonzepte, die algorithmische Entscheidungslogiken mit staatlicher Macht verknüpfen.

Die Gefährlichkeit von solchen KI-Tools wird von politischen US-Entscheidungsträgern in vielerlei Hinsicht häufig verharmlost. Und trotzdem: Diese Machtübertragung auf technische KI-Systeme führt zu einer Entgrenzung, nicht nur in Bezug auf den Menschen selbst, sondern vor allem im Kontext ethischer Verantwortung. Entscheidungen, die zuvor von US-Grenzmitarbeitern getroffen wurden, werden nun von Algorithmen vorstrukturiert oder gar ersetzt. Dabei bleibt oft intransparent, auf welchen Datensätzen die eingesetzten KI-Systeme trainiert wurden und welche „Biases“ sie potenziell reproduzieren. Klar ist in diesem Zusammenhang: Die Übergabe normativer Entscheidungsgewalt an nicht-verantwortliche Systeme markiert einen tiefgreifenden Wandel des politischen Ethos. In einer solchen postmodernen Logik, wie soeben skizziert, ist Ethik nicht mehr primär normativ, sondern wird als funktionalisiert angesehen: Sie dient sowohl der Effizienz als auch der Diskriminierung und eben nicht der Gerechtigkeit.

Die Normalisierung diskriminierender Praktiken

Bereits seit einigen Jahren setzen US-Behörden auf Hilfsmittel, die KI-Eigenschaften umfassen, und dennoch verändert sich gegenwärtig die Art und Weise des Mechanismus radikal. Denn Social-Media-Aktivitäten können nun von den US-Grenzbeamten zur Beurteilung der Einreiseberechtigung herangezogen werden. Inzwischen verwendet Homeland Security auch spezialisierte KI-Systeme wie Babel X, die automatisch Online-Aktivitäten scannen, Risikobewertungen erstellen und Netzwerkanalysen durchführen. Im April 2025 veröffentlichte der US-Grenzschutz zusätzlich eine Liste mit über 30 KI-Tools, die von der Behörde im Rahmen ihrer Aufgaben verwendet werden. Darunter findet sich auch die Geheimdienst-Software Fivecast Onyx, die dem Erfassen von öffentlich zugänglichen Informationen über eine Person dient. Sie kann zum Screening der Social-Media-Aktivitäten einer Person Anwendung finden.

Diese automatisierten Prozesse operieren zum Status quo und mit Blick auf die USA vorwiegend unter dem Deckmantel der Objektivität, doch in ihrem Kern sind sie alles andere als neutral und durchschaubar.

Die Trainingsdaten solcher Systeme spiegeln gesellschaftliche Vorurteile wider, die in die algorithmischen Modelle eingeschrieben werden. Ein Beispiel: Muslimische, arabische oder palästinensische Namen werden häufiger als risikobehaftet kategorisiert als andere Namen. Gleichzeitig fehlt es an rechtsstaatlichen Kontrollinstanzen, die diese Entscheidungen überprüfen oder kontextualisieren könnten.

Wie werden solche KI-Tools seitens der aktuellen US-Politik überhaupt gerechtfertigt? Die Legitimation dieser Praktiken erfolgt meist durch ein Sicherheitsnarrativ, das kulturelle Differenz mit potenzieller Gefahr gleichsetzt. In der Trump-Ära wurde dieses Narrativ systematisch instrumentalisiert, um restriktive Migrationspolitiken durchzusetzen und eine symbolische Politik der Abschreckung – insbesondere gegenüber politischen Gegnern – zu betreiben.

Ethik im Zeitalter automatisierter Kontrolle

Mit der Delegierung moralischer Entscheidungen an technische Systeme stellt sich die Frage nach der Rolle und Reichweite von Ethik in einer digitalisierten Grenzpolitik neu. Von Bedeutung sind dabei vor allem jene Fragen, die sich mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine, insbesondere KI-Systemen, im Zeitalter neuer Technologien auseinandersetzen. Es geht also um klassische Aspekte des digitalen Humanismus.

Die Schwierigkeit, auch und gerade in der politischen Philosophie, ist, dass das klassische Verständnis davon ausgeht, dass Ethik mit Verantwortlichkeit verknüpft ist, die sich wiederum im menschlichen Urteilsvermögen niederschlägt. Doch mit Blick auf die gegenwärtige Praxis zeigt sich, dass sich Verantwortung immer mehr vom Menschen hin zu KI-Systemen verlagert, die einerseits nicht erklärungsfähig sind und sich andererseits der demokratischen Kontrolle weitgehend entziehen. Sensible Bereiche, wie etwa der Grenzschutz, sind dabei doppelt problematisch.

Hinsichtlich des Vorgehens der Trump-Regierung kann hierbei ein wesentlicher Gesichtspunkt attestiert werden, nämlich, dass der postmoderne Staat der Trump-Ära die eben genannte Mensch-Maschine-Verlagerung mit dem Verweis auf Risikoabwehr zu legitimieren versucht. Ein solches Vorgehen steht jedoch in einem klaren Widerspruch zu rechtsstaatlichen Prinzipien der USA: Wo ist die Verhältnismäßigkeit? Was wird aus dem Diskriminierungsverbot? Die Ausnützung von KI-Möglichkeiten im Kontext der US-Grenzüberwachung rückt ein in dieser Form neues Phänomen in den Mittelpunkt: Die Bewertung und Sanktionierung von Einreisenden auf Basis vergangener oder mutmaßlicher Online-Aktivitäten. Der Gedanke einer ernsthaften „Predictive Governance“ wird damit ausgehöhlt, und von gelebter Ethik kann dahingehend sowieso keine Rede sein.

Wissenschaft im Fadenkreuz

Internationale Wissenschaftler berichten aktuell von erhöhten Einreisehürden, verschärften Befragungen und der Durchsuchung privater Geräte. Diese Entwicklungen fügen sich ein in ein größeres Muster der Politisierung von Forschung und Lehre. Gleichzeitig kürzt die US-Regierung unter Trump massiv die Finanzierung für Universitäten, speziell für Projekte mit internationaler oder regierungskritischer Ausrichtung. Wissenschaftliche Mobilität wird damit nicht nur faktisch erschwert, sondern auch ideologisch diszipliniert.

Die Grenze fungiert als Selektionsinstrument, das erwünschtes Wissen von unerwünschtem trennt.

KI-gestützte Überwachungssysteme bei der US-Grenzschutzbehörde tragen zur Selektion bei, indem sie kritische Äußerungen in sozialen Medien als Sicherheitsrisiken interpretieren. Die akademische Freiheit wird so nicht nur von innen heraus, sondern auch transnational unter Druck gesetzt.

Die in diesem Beitrag skizzierten Entwicklungen möchten zwei Dinge verdeutlichen. Erstens: Die Dringlichkeit einer ethisch fundierten Debatte über den Einsatz von KI in jeder Grenzpolitik. Demokratische Gesellschaften müssen Wege finden, technologische Innovation mit rechtsstaatlicher Kontrolle und sozialer Gerechtigkeit zu verbinden. Eine solche Debatte muss interdisziplinär und international unter Einbeziehung von Juristen, Informatikern, Philosophen und der Zivilgesellschaft geführt werden.

Zweitens:

KI darf nicht zu einem Instrument der Ausschließung und Diskriminierung werden, um regierungskritischen Personen die Einreise zu verwehren bzw. zu erschweren.

Sie muss im Dienste eines inklusiven, transparenten und rechenschaftspflichtigen Staates stehen. Die politische Herausforderung aller Staaten, insbesondere aber der USA, besteht darin, Souveränität nicht über KI-Systeme bei der Grenzkontrolle zu definieren, sondern über demokratische Selbstbestimmung und ethische Selbstbindung.

US-Präsident Trump steht exemplarisch für eine Politik, die technologische Instrumente nicht zur Demokratisierung, sondern zur Exklusion nutzt, was dem Inbild der USA als ein Land der Freiheit, wie es in der Unabhängigkeitserklärung betont wird, Schaden zufügt. Die Herausforderung liegt darin, dieser Machtlogik ein normatives Gegengewicht entgegenzusetzen, das sich auf Gerechtigkeit, Transparenz und Menschenrechte stützt.

Marlon Possard ist Assistant Professor an der FH Campus Wien. Zudem leitet er in Berlin das Department für Ethik der Künstlichen Intelligenz.


Titelbild: AI/erstellt mit stablediffusionweb.com

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