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Armeniens Aufgabe von Bergkarabach

Aserbaidschan soll die Gegend von Bergkarabach trotz Waffenstillstands mit Armenien okkupiert haben. Dies könnte Teil eines Deals des armenischen Premierministers gewesen sein, damit sein Land Unterstützung vom Westen bekommt.

Von Erich Kowald (Zeitschrift INTERNATIONAL, Heft IV/2025)

Der aktuelle armenische Premier Paschinjan ist 2018 über eine Farbrevolution, in diesem Fall „Die Samtene“ genannt, an die Macht gekommen. Demonstranten hatten erfolgreich die damalige Regierung durch Proteste zum Rücktritt gezwungen. 2021 wurde Paschinjan dann durch eine reguläre Wahl bestätigt.

Es gibt drei US-NGOs, die bei Farbrevolutionen maßgeblich an Finanzierung und Organisation beteiligt sind: National Endowment for Democracy, die vom US-Kongress gegründet worden ist. Freedom House, ursprünglich von einem Privaten gegründet. Beide NGOs werden überwiegend von der US-Regierung finanziert. Und als dritte im Bunde die Open Society Foundations der Familie Soros.

Es kann davon ausgegangen werden, dass beim armenischen Premier Paschinjan eine Westorientierung vorhanden ist, denn er versucht eine solche in den letzten Jahren konsequent umzusetzen.

Für die USA ist Armenien geopolitisch wichtig, weil es in Kombination mit Aserbaidschan einen Block zwischen Russland und Iran bildet.

Zusammen mit Georgien wäre es ein Verband, der den ganzen südlichen Kaukasus russischer Kontrolle entziehen würde.

Gleichzeitig wäre es leicht, über die unübersichtliche Kaukasusgrenze Provokateure zu den russischen Nordkaukasus-Minderheiten zu schicken.

Die USA haben in Armenien die zweitgrößte US-Botschaft weltweit.

Es gibt auch eine große armenische Gemeinde in den USA.

Frankreich hat ebenfalls eine große armenische Gemeinde, die entsprechenden Druck für einen engen Kontakt zwischen den beiden Staaten erzeugt. Für die restliche EU ist Armenien eher uninteressant. Sein Nachbar Aserbaidschan wird wegen seiner Öl- und Gasvorkommen als Alternative zu Russland gesehen und entsprechend umworben. Dies ist erfolgreicher, wenn Armenien bei den Konfliktpunkten mit Aserbaidschan nachgibt.

Für die Russen ist wichtig, im Südkaukasus keine Unruheherde zu haben. Somit haben sie ein Interesse an einer guten Beziehung mit Armenien und Aserbaidschan. Der Nachbar Aserbaidschan versucht seit ein paar Jahren, den russischen Einfluss zurückzudrängen.

Die Türken wollen eine Vereinigung aller Turkvölker unter ihrer Führung. Die Bewohner Aserbaidschans sind so ein Turkvolk und geographisch die Verbindung zu den Turkvölkern Zentralasiens. Die Unterstützung Aserbaidschans im Kampf gegen Armenien stärkt den türkischen Einfluss.

Israel ist stetig auf der Suche nach Verbündeten gegen den Iran. Die weltlichen Schiiten Aserbaidschans sind ein möglicher Verbündeter. So wird vermutet, dass die Angriffe Israels im Norden Irans im Juni 2025 von Aserbaidschan gestartet wurden. Wenn Aserbaidschan Unterstützung gegen Armenien braucht, dann bekommt es sie.

Angriff auf Bergkarabach 2020

2020 kam es zum Angriff Aserbaidschans auf Bergkarabach. Dank des Einsatzes moderner Drohnen aus der Türkei und aus Israel hatte es den Kampf gewonnen. Russland konnte einen Waffenstillstand zwischen den Kontrahenten erreichen. Einer der Punkte im Waffenstillstand war eine Transitroute zwischen Aserbaidschans Enklave und dem Hauptland.

Die einfachste Möglichkeit, nämlich die alte russische/sowjetische Kaukasusbahn in Betrieb zu nehmen, wollten weder Armenien noch Aserbaidschan. Es hätte den russischen Einfluss gestärkt. Diese Transitroute wäre von einer Tochter der russischen Staatsbahn betrieben worden, welche laut Outsourcing-Vertrag noch auf Jahrzehnte die armenischen Strecken betrieben hätte.

Die zweite Möglichkeit wäre, den Süden Armeniens abzugeben, um eine direkte Verbindung zwischen der Enklave und Aserbaidschan zu ermöglichen – Sangesur-Korridor genannt. Dies wird vom Iran abgelehnt, mit entsprechenden Erklärungen und Drohungen. Denn für den Iran sind die orthodoxen Staaten Georgien und Armenien ein Block gegen die Türkei und die Sicherung einer Landverbindung mit Russland.

Die dritte Lösung wäre eine Öffnung des Sangesur-Korridors gewesen, aber die Transitstraße sollte unter russischer Kontrolle sein. Damit wäre der Iran einverstanden gewesen. Das hätte zu einer Stärkung russischen Einflusses geführt, den weder die armenische noch die Regierung in Aserbaidschan wollte. Andere Lösungen wurden von Armenien nicht ins Auge gefasst. Aserbaidschan erhöhte spätestens ab 2023 seinen Druck zur Umsetzung, indem es die Versorgungsstraße nach Bergkarabach unterbrach.

Da es vom armenischen Premier keinerlei Anstalten gab, eine Alternative zum Transitpunkt des Waffenstillstands auf andere Weise vorzuschlagen oder umzusetzen, waren auch die russischen Friedenstruppen nicht zum Eingreifen ermächtigt. Vielleicht hoffte Russland auch, dass der Druck Paschinjan zum Einlenken bringen würde.

Armeniens Abwendung von Russland

Gleichzeitig wendete sich Armenien von Russland ab. So wurde Anfang 2023 eine gemeinsame militärische Übung abgesagt. Ein paar Monate darauf hielt Armenien jedoch eine gemeinsame Militärübung mit den USA ab. Armenien trat dem Internationalen Strafgerichtshof bei, der kurz zuvor einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Putin erlassen hatte. Paschinjan kritisiert bei jeder Gelegenheit das Verteidigungsbündnis OVKS der ehemaligen Sowjetstaaten und war auch nicht bei deren Treffen dabei.

Seit der Sanktionspolitik gegen Russland drängt die EU immer stärker auf aserbaidschanisches Gas und lud Paschinjan mehrfach zu Gesprächen ein, teilweise veranstaltete sie Gipfeltreffen der Regierungschefs beider Staaten. Jedenfalls änderte Paschinjan seine Haltung zu Bergkarabach. Sprach er 2019 noch davon, dass Bergkarabach und Armenien eine Einheit seien, so anerkannte er bei Treffen mit EU-Vertretern in Prag und Brüssel die territoriale Integrität Aserbaidschans, ohne Bergkarabach zu erwähnen.

Als dann Aserbaidschan begann, die Versorgungsstraße zwischen Armenien und Bergkarabach zu sperren, bezichtigte Paschinjan die russischen Friedenstruppen der Untätigkeit. Von seiner Seite gab es jedoch keinerlei Versuche, mit Aserbaidschan in Verhandlung zu treten. Er tat nichts, um den Transit zwischen Aserbaidschan und dessen Enklave umzusetzen.

Die Versorgung der armenischen Bevölkerung in Bergkarabach wurde immer prekärer. Als dann Aserbaidschan im Herbst 2023 seine „Anti-Terror“-Aktion zur Einnahme von Bergkarabach umsetzte, gab es nicht einmal politische Proteste aus Armenien.

Es kam zu einem Exodus der armenischen Bevölkerung aus Bergkarabach. Ursache war einerseits die Furcht vor den neuen Herrschern, andererseits gab es Druck von der ultranationalen armenischen Diaspora aus USA und Frankreich, Bergkarabach zu verlassen.

Vor kurzem kam die Info, dass sich Armenien und Aserbaidschan doch auf einen Transit durch den Sangesur-Korridor geeinigt hätten. Die Straße werde auf 30 Jahre an eine US-Sicherheitsfirma verpachtet und gesichert. Für die USA ein gutes Geschäft.

Erich Kowald hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert. Er beschäftigt sich mit politischen Analysen und historischen Entwicklungen.


Titelbild: FurfurCC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

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