Zukunft aufbauen in den ärmsten Ländern
Die Hilfsorganisation Rahma Austria arbeitet aus Österreich eng mit lokalen Partnern in muslimischen Ländern zusammen, um Nothilfe, aber auch langfristige Projekte zu ermöglichen. Besonders aktiv ist die NGO in Afrika und Westasien. Ihre Nothilfeprogramme in Palästina brachten sie in das Visier der österreichischen Behörden. Nach Jahren der Ermittlungen wurden alle Vorwürfe von den Gerichten fallen gelassen.
Taher Hassan im Gespräch mit Dieter Reinisch (Zeitschrift INTERNATIONAL, Heft III/2025)
INTERNATIONAL: Was ist Rahma Austria?
Taher Hassan: Rahma Austria ist ein humanitärer Hilfsverein, der 2006 in Wien gegründet wurde. Wir haben klein begonnen, mit wenigen Mitarbeitern und ein paar Ländern. Der Gedanke war: Wir wollen Menschen helfen.
Die Generation, die vor mir nach Österreich gekommen ist, hat sich hier etabliert, hat Arbeit gefunden und wollte den Menschen in den Krisengebieten und ihren Heimatländern helfen. Mit der Zeit und dem Bekanntwerden wurde Rahma Austria stetig größer. Heute führen wir in mehr als 40 Ländern Projekte durch. Jedes Jahr suchen wir uns zwischen zehn und 15 Länder aus, in denen wir Hilfe leisten können. Jede Kampagne, die wir durchführen, soll fünf bis sechs Länder umfassen. Wir haben auch sehr viele ehrenamtliche Mitarbeiter, die die Projekte regelmäßig besuchen und beobachten. Somit können wir sicherstellen, dass die Spenden in vollem Umfang direkt bei den Bedürftigen ankommen.
Wir leiten Partnerschaftsprojekte aber auch größere Projekte, wie Schulen renovieren und bauen, Seniorenzentren, medizinische Versorgung und vieles mehr. Jedes Jahr kommen neue Spender hinzu, da sie durch unsere Präsenz in den sozialen Medien und anderen Kanälen sehen, dass ihre Spenden ankommen. Unsere jährlichen Finanzberichte sind auf der Homepage einzusehen – damit wollen wir Transparenz schaffen.
Vor wenigen Wochen waren eure Mitarbeiter in Burkina Faso. Was haben sie dort getan?
Sie waren im Rahmen des Kurban-Projekts, also des Opferfestes, vor Ort. Für dieses muslimische Fest werden Spenden gesammelt. Bei großen Projekten werden, sofern die Sicherheit gegeben ist, immer Kontrolleure und Beobachter in die Länder geflogen.
In diesem Zusammenhang sind ehrenamtliche Mitarbeiter nach Burkina Faso geflogen und haben bei der Durchführung des Kurban-Projekt vor Ort geholfen. Sie haben Geschenke verteilt, kontrolliert, dass die Opfertiere richtig verteilt wurden, sie haben Dörfer und Familien besucht. Es war eine viertägige Reise. Den Bildern und Berichten zufolge verlief alles den Umständen entsprechend gut und kontrolliert.
Welche aktuellen Schwerpunktländer habt ihr derzeit und nach welchen Kriterien wählt ihr aus?
Wir organisieren drei bis vier große Projekte jedes Jahr: Winterhilfe, Ramadan, Schultaschen und Kurban. Wir achten stets darauf, für jedes Projekt die besten Partner zu finden und zu prüfen, wo der Bedarf am größten ist. Das sind in diesem Jahr wieder Palästina, dann Jemen, Libanon und auch Jordanien, weil wir dort auch unsere Schulen und Zentren betreiben. Dazugekommen sind Burkina Faso, Dschibuti, Somalia. Das sind sehr arme Länder. In Asien haben wir derzeit in Myanmar und Bangladesch Projekte.
Wir organisieren aber auch Soforthilfe, etwa bei einem Erdbeben: Als es vor zwei Jahren große Erdbeben in der Türkei und Syrien gab, haben wir eine große Containersiedlung mit Hilfe der türkischen Katastrophenhilfe Afet ve Acil Durum Yönetimi Başkanlığı (AFAD) aufgebaut. Dank den Spenden konnten wir 200 Container aufbauen. Auch bei den Überflutungen in Libyen und Sudan im letzten Jahr haben wir Hilfe geleistet.
Wie läuft eure Arbeit konkret ab?
Sie funktioniert ganz einfach: Wir sammeln Spenden und die Verteilung wird durch Kooperationspartner und lokale Organisationen in den Ländern durchgeführt. In allen Ländern, in denen wir Hilfe leisten, muss eine offizielle Organisation die Verteilung übernehmen. Wir übergeben keine Spenden an Privatpersonen.
Die lokalen Partner sind uns zumeist seit Jahren bekannt und sind vertrauenswürdig. Wir haben kaum Probleme mit lokalen Partnern. Wenn ein Partner nicht österreichischen Standards entspricht, beenden wir die Zusammenarbeit. Auch wenn es Bedenken seitens österreichischer Behörden oder dem Innenministerium gibt, wird die Zusammenarbeit beendet.
Die lokalen Partner tragen zumeist Abzeichen und Gütesiegel ihrer jeweiligen Länder. Sie versorgen uns mit Berichten über jedes Projekt. Selbst wenn Beobachter aus Österreich vor Ort waren, bekommen wir zusätzlich Berichte, die Texte, Fotos und Videomaterial beinhalten. Alles wird dokumentiert, sodass jederzeit auf die Berichte zurückgegriffen werden kann.
Was wollt ihr mit eurer Arbeit erreichen?
Wir wollen nicht, dass die Menschen von Spenden leben und abhängig sind. Wir wollen langfristige Entwicklungsprojekte durchführen, die Arbeitsplätze schaffen. Wir hatten letztes Jahr in Indonesien ein Projekt, dass sich „Essenswägen“ nannte. Wir haben 50 Familien eine mobile Nahrungsmittelstation gespendet, damit diese Familien ein eigenes Einkommen erzielen können und nicht nur auf Spenden angewiesen sind.
Ebenso haben wir Nähmaschinenprojekte ins Leben gerufen: Wir kaufen Nähmaschinen, machen Workshops und Ausbildungen für Familien, damit diese Familien dann mit den Nähmaschinen Geld verdienen können. Auch Bäckereien sanieren und bauen wir wieder auf, damit die Menschen dann in diesen Bäckereien arbeiten und ihr Brot verkaufen können.
Also selbstständig werden und langfristige Arbeit durchführen.
Genau, die Menschen sollen selbst von ihrer Arbeit leben können und nicht von Spenden abhängig sein. Deshalb betreiben wir auch ein Ziegenprojekt: In gewissen Ländern werden Familien Ziegen gespendet, damit sie davon leben können.
Unser Fokus liegt jedoch auf Bildung. Waisenkinder und Kinder aus sehr armen und schlechten Verhältnissen sollen eine Chance auf Bildung haben. Wir versuchen Schulkosten zu übernehmen, Schulen zu sanieren und neue aufzubauen. Wichtig ist auch die Unterstützung von Familien, damit sie ihre Kinder in die Schulen schicken können. Wir wollen damit Zukunft aufbauen. Die Kinder brauchen das.
Auch medizinische Projekte leiten wir: Spitäler sanieren, fehlende Geräte finanzieren, wie Ultraschall und Ähnliches, Operationsräume renovieren. In vielen Flüchtlingslagern haben wir mobile Krankenstationen ermöglicht.
Zum Verständnis über eure Arbeit: Es gibt auch einen US-amerikanischen Hilfsverein namens Rahma Worldwide, der zuletzt im Zusammenhang mit Gaza in den Medien war. Ihr seid aber ein unabhängiger, rein österreichischer Verein?
Rahma ist ein gängiger Name im arabischen und türkischen Raum, in dem die Menschen muslimisch geprägt sind. Er bedeutet „Barmherzigkeit“ und wird daher von vielen Menschen und Organisationen verwendet. Rahma ist ein gängiger und beliebter Name im humanitären Bereich.
Besonders aktiv seid ihr für Gaza. Im ersten halben Jahr nach dem 7. Oktober 2023 habt ihr über 80 LKWs in den Gazastreifen gebracht. Nun ist das Gebiet nahezu völlig abgeriegelt sodass keine Hilfsgüter mehr hineingelangen. Ihr sammelt dennoch weiterhin Spenden für Gaza. Wie sieht eure Arbeit heute aus? Was könnt ihr noch tun?
Der Gazastreifen stand immer unter Blockade. Manchmal gibt es einen Waffenstillstand oder die Grenzen werden geöffnet, sodass Hilfsgüter reingelassen werden können. Diese Hilfe können wir nur mittels den Partnerorganisationen und dem Nachbarland, Ägypten, durchführen. Wir haben zunächst also Hilfsgüter in Ägypten eingekauft und diese dann mit LKWs nach Gaza transportieren lassen.
Solange die Blockade aufrecht ist, wie derzeit, besorgen wir Lebensmittel und Wasser in Gaza selbst. Es gibt nur noch wenige Lager, in denen es Lebensmittel vorhanden sind. Das deckt aber nicht den Bedarf von zwei Millionen Menschen. Rund 85 Prozent der Infrastruktur ist völlig zerstört.
Solange im Gazastreifen noch Lebensmittel und Hilfsgüter verfügbar sind, können wir diese verteilen. Derzeit verteilen wir täglich Lebensmittel und Wasser. Wir haben Brunnen gegraben und beliefern die Menschen mit zwei Wassertanks. Ein Wassertank versorgt etwa 200 bis 300 Familien pro Tag. Wir können mehrmals täglich Wasser auffüllen und verteilen. Wir bringen es in die Flüchtlingslager und in die noch funktionierenden Krankenhäuser.
Also wenn ihr heute Spenden für Gaza sammelt, dann dient das vorrangig der Wasserversorgung.
Wasserversorgung und Lebensmittel: Es gibt zwar noch Reis, doch die Menschen haben seit drei Monaten kein Fleisch mehr gegessen. Sie essen nur Reis und Bohnen, viel mehr Auswahl gibt es nicht. Wenn Mehl verfügbar ist, backen sie Brot.
Es gibt also noch Lager mit Lebensmitteln. Wem gehören diese und wer bekommt das Geld?
Es sind Geschäftsleute und Hilfsorganisationen, die noch etwas haben. Die Geschäftsleute kaufen nicht nur am Rafah-Grenzübergang ein, sondern auch an anderen Übergängen.
Aufgrund eurer Arbeit für Gaza seid ihr in das Visier der österreichischen Behörden geraten. Ihr seid Ziel der Operation Luxor geworden und hattet erst letztes Jahr im Mai wieder Hausdurchsuchungen, bei denen Gelder beschlagnahmt wurden.
Bis 2020 war unsere Beziehung zu den Behörden ganz normal. Wir waren ein registrierter Verein und gaben unsere Berichte ab. Eine Woche nach dem Terroranschlag im November 2020 kam es zur Operation Luxor – und auch wir wurden zum Ziel. Die Polizei ist zu mir nach Hause gekommen und haben die Räume durchsucht. Danach sind sie mit mir zum Büro von Rahma gefahren und haben auch dieses durchsucht. Alle Datenträger wurden beschlagnahmt und Unterlagen mitgenommen.
Nach Jahren der Ermittlungen wurden alle Verfahren eingestellt und die Gelder und Unterlagen wieder freigegeben. Zunächst wurde das Verfahren wegen Terrorismusfinanzierung, zuletzt alle Verfahren wegen strafrechtlicher und finanzrechtlicher Belange eingestellt. Durch die Arbeit der Justiz und der Richter haben wir wieder Vertrauen in den Rechtsstaat gewonnen.
Ihr habt aber immer noch kein neues Bankkonto erhalten.
Unsere letzte funktionierende Bankverbindung wurde uns im Mai 2024 gekündigt. Wir haben aufgrund der Prüfungen viel Geld in bar gesammelt. Dieses wurde dann beschlagnahmt, wir konnten jedoch alle Einzahlungen belegen. Dadurch waren wir aber verschuldet. Als das Geld wieder freigegeben wurde, konnten wir die Projekte wieder durchführen.
Der Normalzustand ist: Bankkonto und jeder kann österreichweit einzahlen. Ohne Konto sind wir jedoch auf Spendenbesuche angewiesen. Wir haben nur ein Büro in Wien. Die Arbeit wurde dadurch enorm reduziert. Früher saß man zuhause, wollte etwas Gutes tun und hat den Betrag einfach überwiesen.
Jetzt muss man sich frei nehmen und nach Wien fahren. Die Spenden sind enorm zurückgegangen, weil wir die Bundesländer verloren haben. Aber die Menschen kommen trotzdem und wollen spenden, weil sie uns vertrauen.
Darüber hinaus organisieren wir jährlich Veranstaltungen, die meist einem konkreten Ziel dienen. Zuletzt haben wir ein Benefizessen veranstaltet, um ein Ultraschallgerät für ein Krankenhaus in Gaza zu finanzieren. Dieses kostet 15.000 Euro, die wir bei dem Essen komplett sammeln konnten. Ein paar Tage später konnte unser lokaler Partner das Gerät für das Krankenhaus einkaufen.
Taher Hassan ist der Obmann des Vereins Rahma Austria.
Titelbild: rahma-austria.at

