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Mein erstes Interview mit Konstantin Wecker

Konstantin WeckerNervös und aufgeregt betrete ich das Hotel Exel in Amstetten. Am Abend zuvor hat Konstantin Wecker bei uns ein Konzert gegeben und nun treffe ich den Künstler höchstpersönlich. Für ihn war es vermutlich ein Interview unter vielen, für mich bleibt es auch 12 Jahre danach die wohl spannendste Begegnung meines bisherigen Lebens.

Mit 22 Jahren durfte ich den deutschen Liedermacher und Poeten zum ersten Mal persönlich kennenlernen und für das Jugendmagazin „THE LINK“ zu seiner Musik, seinem Leben und seinen politischen Visionen befragen. Seine Antworten sind heute noch immer so aktuell wie damals:

Sie sind einer der bekanntesten und erfolgreichsten Liedermacher Deutschlands, was möchten sie mit ihrer Musik bewegen?

Wecker: Ich hätte früher eigentlich immer geantwortet, dass ich zuerst einmal gar nichts erreichen will, sondern mich ausdrücken will. Ich habe versucht, das, was in mir vorgeht in Texte und in Musik zu fassen. Ich singe, weil ich ein Lied hab! Zur Zeit merke ich aber wieder, dass es auch um die Stellung des Künstlers in der Gesellschaft geht, wenn es um so unglaublich drängende Fragen geht, wie jene die im Moment in der Luft sind. Ich war immer jemand, der der Meinung war, dass Künstlertum auch etwas mit bekennen zu tun hat. Das ist ein Wort, das in den letzten 20 Jahren sehr uncool war. Dieses Bekennen, Stellung beziehen, ist jetzt notwendiger als jemals zuvor, weil wir in einer weltpolitischen Situation sind, die uns in den Abgrund führen kann. Das ist nicht annähernd so harmlos, wie sich das manche immer noch erhoffen. Es geht nicht darum, dass jetzt ein schneller kleiner Krieg geführt wird und dann ist plötzlich ein Volk befreit, nachdem man vorher ein paar hundert Tausend getötet hat.

Es geht um die Frage, ob die Zukunft von einer Weltmacht – mit all ihrem totalitären Anspruch – bestimmt wird, oder, ob es zu einem transnationalen Verbund oder eventuell zu einem demokratischen Weltparlament kommt. An dieser Kippe stehen wir jetzt.

Diese Frage ist unbedingt auch verbunden mit der Frage nach Krieg oder Frieden. Meiner Meinung nach hat Demokratie mit Krieg nichts zu tun. Ich kann nicht humanistische Ideen mit kriegerischen Mitteln in der Welt verbreiten wollen. Das ist ein Widerspruch in sich. Die Geschichte der Vereinigten Staaten zeigt, dass es nie darum ging demokratische Ideen zu verbreiten, sondern es ging darum eine wirtschaftliche Vorherrschaft in den Teilen der Erde zu haben, die sich leicht ausbeuten ließen.

In so einer dramatischen weltpolitischen Situation geht es nicht nur darum, ob ich Künstler bin oder nicht, sondern darum, welches Gewicht meine Stimme in der Öffentlichkeit hat und was ich als Mensch, als Vater, als ganz normaler Bürger tun will. Bin ich bereit mich zu engagieren, bin ich bereit den Ernst der Lage zu erkennen und bin ich bereit mein eigenes Leben zu ändern.

Sind Lieder mit politischem Inhalt in Zeiten von „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Starmania“ überhaupt noch aktuell?

Wecker: Ich hoffe auf euch! Ich hoffe auf diese Generation nach der Postmoderne. In Berlin läuft zur Zeit ein Stück von Brecht mit vielen Eisler-Songs. Die haben den Eisler ein bisserl modernisiert aber den kämpferischen Eisler wieder ausgegraben. Das ist jeden Abend ausverkauft. Das ist für mich ein erstaunliches Zeichen.

Die Postmoderne war ja von dem Gedanken geprägt, dass Engagement ja fast etwas Verwerfliches ist. Die Verbalinjurie des GUTMENSCHEN wurde zur richtigen Zeit erfunden. Wenn sich niemand mehr zutraut eine Meinung zu haben zu der er steht, oder gar so etwas wie Gewissen zu empfinden, kann das Ganze nicht funktionieren.

Ich baue darauf, dass jetzt eine Jugend kommt die erkannt hat – wenn auch nur unbewusst – ,dass dieses ganze Konsumentensystem nicht dazu geeignet ist glückliche Menschen zu schaffen. Nur aus einer berechtigten Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens, müsste man endlich drauf kommen, dass es nicht funktioniert, wenn wir uns einer Ideologie unterordnen, die Verdrängen heißt, Spaß haben um jeden Preis und sich den Bedingungen des Marktes anzupassen.

Die etwas ältere Generation ist ja gnadenlos in eine Werbemaschinerie hineingefallen, in eine Gehirnwäsche der Großkonzerne ohne es zu hinterfragen. Als wir in den 70er Jahren im Kino die ersten Werbefilme hatten, gab es ein heftiges Buhen. Ein letztes sich Aufbäumen, glaub ich. Mittlerweile musst du eine halbe Stunde Werbung im Kino ertragen und musst dich auch noch freuen daran und sagen, das ist aber gut gemacht. Aber gut gemachte Scheiße bleibt dennoch Scheiße!

Was nutzt es mir, dass mir hervorragend klar gemacht wird, dass ich Markenkleidung zu tragen habe, um einigermaßen „In“ zu sein im Endeffekt auf dem Rücken derer, die das in der 3. Welt herstellen.

Es geht ja nicht nur darum die Amerikaner anzugreifen. Auch wir in Europa – in Deutschland oder Österreich – haben in den letzten 50 Jahren unser System der Demokratie und des Wohlstands mit einem dritten Weltkrieg gegen die 3. Welt erkauft. Und dieser unglaubliche Terror, den wir ausüben, dieser Staatsterrorismus muss ganz einfach thematisiert werden, denn wenn der Hunger nicht verschwindet, wird die Gewalt nicht verschwinden. Wir müssen uns vehement gegen den Neoliberalismus wehren, und dagegen wehren, dass die einzelnen Menschen in unserer Gesellschaft so handeln sollen wie Großkonzerne. Genauso rücksichtslos, erfolgsorientiert und markteffizient. Bei Großkonzernen wissen wir es, die entlassen Leute auf dem Papier, weil es keine Menschen sind sondern nur Zahlen. Wie bei den Militärs. Da gibt es auch nur Zahlen: 20.000 muss ich opfern, dafür werden eventuell 100.000 gerettet. Man selbst ist bei den 20.000 erstaunlicherweise nie dabei und die eigenen Kinder auch nie. Dieses abstrakte Denken, das nur irgendwo einem Sieg oder einem Gewinn dient, zeigt, dass unsere kapitalistische Gesellschaft eine kriegerische Gesellschaft ist.

Sie haben sich bei ihrem Konzert in Amstetten als Alt-Linken oder Alt-Revolutionär bezeichnet. In Österreich gibt es den Begriff der „Toskana-Fraktion“ für all jene Alt-Linken, die sich mittlerweile als bekannte Politiker mit dem System abgefunden und mit dem Kapitalismus arrangiert haben. Was sagen sie zu dieser Entwicklung?

Wecker: Ich wäre genau den gleichen Weg gelaufen, weil sich ein erfolgreicher Künstler nicht allzu sehr unterscheidet von einem erfolgreichen Politiker. Irgendwann verliert man den Boden. Man hat eine Gruppe von Menschen um sich, die besteht aus Einflüsterern, Schleimern und Nutznießern. Ein Politiker der an der Macht ist lässt sich jeden Morgen die Welt von Geheimdiensten erklären. Das halte ich für eine der größten Tragödien, denn Geheimdienste sind dazu da um Lügen und Desinformation zu verbreiten. Wenn ich mich jeden Morgen auf Geheimdienste verlassen müsste, um mir die Beschaffenheit der Welt erklären zu lassen, würde ich mir die Kugel geben. Auch in einer Demokratie ist der Geheimdienst immer eine undemokratische Institution. Er passt nicht zu einer Demokratie.

Man verliert eigentlich jeden Ansatzpunkt zu dem, warum man als Künstler einmal bekannt wurde, weil man so nahe bei den Menschen war, dass man das ausgedrückt hat, was die Menschen empfinden, dadurch, dass man es selbst so empfunden hat. Wenn ich nicht meinen notwendigen Zusammenbruch gehabt hätte, dann glaub ich nicht, dass ich heute das tun und denken würde, was ich tue und denke.

Ich bin wieder auf den Boden zurückgekommen und ich bin diesem Zusammenbruch unendlich dankbar. Das fängt bei ganz banalen Dingen an. Ich habe einen Haufen Schulden und kann mich gut in die Leute hineinversetzen, die bei mir im Publikum sitzen, die haben zum Großteil auch Schulden.

Ich habe erlebt, wie man von der Presse, nachdem man zuerst hochgejubelt wurde, brutal niedergemetzelt werden kann. Viele von den Leuten, die nur bei mir waren, weil ich eben erfolgreich war, sind wieder weg. Ich hab wieder normale Menschen um mich herum und ein paar von meinen alten Freunden bewahren können.

Deshalb hab ich wieder ganz frisch anfangen können zu denken. Und ich hab vor allem, was in meinem speziellen Fall wichtig ist, meinen klaren Verstand wieder bekommen, der doch etwas umnebelt war eine Zeit lang.

In ihrem Lied „Wenn die Börsianer tanzen!“ nehmen sie die Aktienspekulanten ziemlich auf´s Korn. Glauben sie, dass mittels einer Tobin Tax wie es ATTAC fordert ein „humaner Kapitalismus“ geschaffen werden kann?

Wecker: Ich glaube es nicht! Die Tobin-Tax wäre auf jeden Fall besser als das was im Moment der Fall ist. Ich glaube aber, dass der Kapitalismus keine Zukunft hat. Ich kann dir jetzt kein Gegenmodell entwickeln, ich bin nur der Meinung, dass man die Idee des Sozialismus nicht so verteufeln sollte, wie es in den letzten 20 Jahren passiert ist und dass der Sozialismus eine unendlich wichtige Pflanze ist. Es ist vom Grundsatz her immer noch die beste Idee für eine gerechtere Welt. Wir haben noch keine bessere Idee. Dass wir aufpassen müssen nicht in Fehler zu verfallen, die in den 70er Jahren schon waren, nämlich diese Idee wieder zu einer so starren Ideologie werden zu lassen, dass sie keine Antwort mehr sein kann auf den Kapitalismus, ist keine Frage, aber sie muss als Idee bewahrt werden. Es darf auch nicht so sein, dass alles was im Sozialismus passiert, ist, mittlerweile verteufelt wird. Es gab Dinge, die waren humaner im Sozialismus, es gab auch viel Unhumanes, aber es gibt auch im Kapitalismus wahnsinnig viel Unhumanes. Es hat keinen Sinn über den Sozialismus eine Käseglocke zu stülpen oder ihn in einen Sack zu tun und draufzuknüppeln und zu sagen das war alles mies.

In dem Moment, wo der Kapitalismus überall die Obermacht hatte, gingen auch die vielen klareren und gerechteren Hilfsmaßnahmen, die in den sozialistischen Systemen waren, flöten. Ich hab noch nie für einen Leninismus oder Stalinismus plädiert , auch nicht in den 70er Jahren. Ich war früher immer dem Anarcho-Lager zuzuordnen und eigentlich war das mein Hauptansatzpunkt, weil ich auch glaube bis heute, dass der Künstler eigentlich Anarchist sein muss, das ist das Wesen der Kunst eigentlich immer gewesen. Aber ich möchte schon, dass wir diese kostbare Pflanze des Sozialismus hegen und pflegen. Ich maße mir aber nicht an, dass ich oder irgendjemand alleine in der Lage ist, dem Kapitalismus ein Modell entgegenzusetzen. Das müssen wir alle tun! Wir können auch nicht sagen: „Wir brauchen ein neues Modell“ – Wir müssen im Kleinen daran arbeiten, dass wir vernetzt ein neues Modell schaffen. Lasst uns nicht den Fehler machen, zu glauben wir könnten jetzt Modelle entwickeln. Die Modelle müssen sich durch uns alle mit viel Phantasie und Kreativität ergeben. Darum ist die Aufgabe für uns alle im Moment, sich zusammenzusetzen, Themen zu nehmen und an diesen einzelnen Themen zu arbeiten. Daraus wird sich etwas entwickeln. Davon bin ich überzeugt. Anders geht es nicht!

Im Lied „Sage Nein!“ beschäftigen sie sich unter anderem mit dem Thema Rechtsradikalismus. Wie sehen sie hier die Entwicklung in Europa?

Wecker: Man muss in der Friedensbewegung auch furchtbar aufpassen, weil sich die Rechtsradikalen in diese Bewegung aus ihrem Anti-Amerika-Kurs heraus so einschleimen wollen. Sie haben das Prinzip sich ein bisschen intellektuell zu gebärden, um sich überall einzumischen. Die Abgrenzung gegen diese Bewegung muss eine ganz deutliche sein. Rechtsradikale, Faschisten sind ein Feind der Demokratie und haben in dieser Bewegung nichts zu suchen. Es darf keinen Schulterschluss geben. Die Rechtsradikalen können keine Freunde sein, denn ihnen geht es um ganz etwas anderes. Sie wollen eine Nation stärken und uns muss es darum gehen, die „Vaterländer“ abzubauen, nämlich um eine transnationale Bewegung. Die Abgrenzung ist ein entscheidender Punkt.

Ich war auch zusammen mit den Leuten aus der israelischen Friedensbewegung, die immer wieder deutlich gesagt haben, ihr solltet auch von uns Juden wissen, gegen Sharon (rechtskonservativer Premierminister Israels 2001 bis 2006, Anm. der Redaktion) zu sein ist kein Antisemitismus.

Wir hatten vor Kurzem eine Begegnung mit einem rechtsradikalen Jugendlichen. Was würden sie so einem Jugendlichen sagen?

Wecker: Ich hab das gemacht. Mit alteingefleischten NAZIS kann man nicht mehr sprechen, mit Jugendlichen durchaus. Die sind ja oft aus völlig irrationalen Gründen in so einer Gruppe, weil sie mal ANTI sein wollen oder gegen ihren Vater rebellieren, der ihnen zu alternativ oder zu friedensbewegt ist.

Ich habe etwas gemacht, das sehr viel Unmut erzeugt hat. Mich hat ein Fernsehsender begleitet und ich habe ein Jugendzentrum mit Rechtsradikalen besucht und dann mit einem ein Gespräch geführt. Ich hab ihn gefragt: „Könntest du einen Schwarzen in den Arm nehmen?“ Er hat mich angeschaut als ob ich vom Mond bin, er hat sich richtig geschüttelt, „Unmöglich!“ sagte er. Und dann fragt mich einer von hinten: „Ja kannst du denn ihn in den Arm nehmen?“ Ich hab ihm in die Augen geschaut, der Bub war 17 Jahre alt und hab ihn in den Arm genommen. Eine Woche später hat er mir einen Brief geschrieben und wollte mit mir als Roadie auf Tour gehen. Diese kleine Geste hat schon bewirkt, dass in dem Menschen etwas passiert ist. Wir müssen uns klar sein, dass bei den jugendlichen Rechtsradikalen, bei vielen – nicht bei allen – durchaus die Chance besteht durch Annäherung und nicht durch Hass und Streit, etwas zu bewirken, wenn man sie einzeln kriegt – in der Gruppe besteht nie eine Chance sich mit ihnen zusammenzusetzen.

Da geht´s nicht all zu sehr um politische Diskussionen, die sind ja nicht politisch fundiert, das ist ja klar – selbst wenn sie es wären, könnte man sie zerlegen, aber um das geht es nicht. Eigentlich sollte man versuchen mehr auf ihre familiären Hintergründe einzugehen, und ihnen den Zusammenhalt wo anders bieten. Ihnen auf eine liebevolle Weise zu begegnen, nämlich das was ihnen in der Kindheit gefehlt hat. Es hat ihnen Zärtlichkeit und Liebe gefehlt. Ich muss natürlich schon noch sagen, Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen, dennoch sollten junge Menschen, die vielleicht auf dem Weg dazu sind, nicht verloren gehen.

Das Interview wurde am 16.4.2003 – nach dem Konzert „Improvisationen“ – in Amstetten geführt. Michael Wögerer hat es für Unsere Zeitung wieder ausgegraben und etwas gekürzt. Das vollständige Interview ist nachzulesen auf wecker.de

Foto: Thomas Karsten

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