Für die Proletarisierung des Fußballs!
Von Noah Krügl
Nun schreiben wir also seit kurzem das Jahr 2016, was dazu führt, dass über kurz oder lang ein Thema aufkommen wird, um welches wohl in diesem Jahr die wenigsten herumkommen werden können: Fußball.
Vom 10. Juni bis zum 10. Juli findet in Frankreich die 15. Fußballeuropameisterschaft der UEFA statt – erstmals hat sich auch das zugegebenermaßen sehr sympathische österreichische Nationalteam für dieses Endrundenturnier (sportlich) qualifiziert. Olé olé! Tausende werden wieder in die ausverkauften Stadien Frankreichs strömen während weitere Millionen dieses Spektakel vor dem Bildschirm, in Bars oder Fanzonen verfolgen werden, um sich dort aus Trauer in den Armen zu liegen oder vor Freude zu weinen. Und manche, um den Fußball als Vorwand für gewalttätige Ausschreitungen zu nutzen.
Doch was zeichnet Fußball aus? Wie ist seine Begeisterungsfähigkeit zu erklären? Warum zieht er Menschen in nahezu allen Regionen der Erde in seinen Bann? Wie lässt sich erklären, dass sich Fans mit einem Verein „identifizieren“? Warum finden außerhalb der Stadien regelmäßiger gewalttätige Ausschreitungen statt als beispielsweise am Rande eines Skirennens? Ist Gewalt vielleicht gar Teil des Fußballs? Welchen Einfluss hat die Politik auf den Fußball, welchen die Fans auf die Politik? Und ist Fußball überhaupt politisch?
Diese Fragen sollen mit der folgenden 6-teiligen Serie für Unsere Zeitung beleuchtet werden und den LeserInnen die geschichtliche Entwicklung des Fußballs, seinen politischen Kontext und aktuelle Entwicklungen bei den Vereinen und ihren Fans näher bringen.
Während rund um die kapitalistischen „Vorzeigebetriebe“ UEFA und FIFA – also jene zwei Fußballverbände, in denen das „big business“ stattfindet – der Offensichtlichkeit von Korruption, Bestechung und Postenschacher innerhalb dieser Eignerverbände in den vergangenen Jahren mittlerweile auch juristisch nachgegangen wird, in den sogenannten Topligen (England, Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich) Spielergehälter und Ablösesummen bezahlt werden, die Lohnabhängige eventuell von einem reichen Onkel aus Amerika erben, aber ganz sicher nicht in einem Leben erarbeiten können und in manchen Profiligen Eintrittspreise verlangt werden, die (am Beispiel Chelsea FC; Tageskarte) das achtfache des gesetzlichen Mindestlohns ausmachen können (1), reißt die Begeisterung für den Fußballsport an sich in immer breiteren Teilen der Bevölkerung(en) nicht ab. Immer mehr pilgern Woche für Woche zu den Bolzplätzen aller Welt, verfolgen Meisterschaft, Cup und Turniere von zu Hause aus, im Beisl oder beim public viewing. Sie unterstützen ihren Klub neben aber auch abseits des Rasens indem sie Fangesänge und Choreographien konzipieren oder schlicht die neuesten Merchandisewaren kaufen. Hierbei sind allerdings zwei Entwicklungen zu beobachten, die den Fußball seit einiger Zeit immer intensiver und wahrnehmbarer prägen und sich als „Kommerzialisierung“ auf der einen Seite und als „Proletarisierung“ auf der anderen beschreiben lassen können.
Um diese beiden Entwicklungen sowie ihre politische Relevanz im heutigen Fußballdiskurs zu erörtern, wird im ersten Teil dieser Serie mit einem Geschichtlichen Abriss ein Blick auf die Entstehung des Fußballs als Massenphänomen geworfen. Im zweiten Teil soll die ganz und gar nicht unbedeutende Rolle Österreichs für den internationalen Durchbruch des Profifußballs näher begutachtet werden. Im dritten Teil wird der ballesterer’sche Scheinwerfer auf die Entwicklungen des Fußballs in der Epoche des Austrofaschismus und des Zweiten Weltkriegs gerichtet, wobei sich auch hier ein intensiver Blick auf Österreich aufdrängt. Der vierte Teil Das Kapital und der Widerstand der Fans nimmt die Entwicklung des Fußballsports und dessen spätestens seit den 80er-Jahren immer intensiver wahrnehmbare „Kommerzialisierung“ des Sports, die dadurch entstehenden spannungsbeladenen Wechselwirkungen zwischen Fankurven, Verein und Verband sowie alternative Vereinskonzepte unter die Lupe. Im fünften Teil soll Das Phänomen Ultra und die Entstehungsgeschichte dieser weit über den Fußball hinaus bekannten Subkultur gesondert beleuchtet werden, die heutzutage oft jene Rolle übernimmt, welche früher Jugendzentren hatten. Im letzten Teil Perspektiven möchte ich versuchen, die weiteren Tendenzen des heutigen Fußballs und seine daraus resultierenden, möglichen Entwicklungen zu skizzieren.
Da Fußball ein derartig großes Feld – sowohl historisch, politisch, kulturell als auch medial – darstellt, kann selbstverständlich keine Garantie auf Vollständigkeit gegeben werden; dies würde den Rahmen sprengen. Ich hoffe aber, rudimentäre Einblicke in die wohl beliebteste „Monarchie“ weltweit zu ermöglichen: König Fußball
Noah Krügl ist politischer Aktivist, jahrelanger Fußballfan und Gründungsmitglied einer linken Ultragruppierung in Österreich.
(1) Eintrittspreise Premier League vs. gesetzlicher Mindestlohn UK
Fotos: Österreich – Ungarn im April 1913 (gemeinfrei); Titelbild: Fußballspieler aus einem Wandbild in Tepantitla bei Teotihuacán – ca. 6. Jh. (Daniel Lobo, Lizenz: CC BY 2.0)