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„Hände weg von unseren Frauen!“


belindaÜber rassistischen „Feminismus“, Islamophobie und häusliche Gewalt

Ein Kommentar von Belinda Zangerl

Österreich hat nun sein Köln und es heißt Kapfenberg. Die obersteirische Variante ist zwar geringer gestreut und dafür drastischer, die Symptomatik ist dieselbe. Wenn Pest und Cholera sich vereinen, ist der rassistische „Feminismus“ in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Als letzte Woche in Kapfenberg zwei junge Frauen getötet wurden, ist eigentlich nichts Außergewöhnliches geschehen. Immer wieder werden Frauen von ihren (Ex)Partnern ermordet und das Messer ist die übliche Mordwaffe. Wir kennen alle die kleinen Viertelseiter im Regionalteil, die gern überblättert werden, wenn wieder einmal eine gewöhnliche „Beziehungstat“ mit dem klassischen Eifersuchtsmotiv für eine Frau tödlich endet. Manchmal trifft es auch anwesende Kinder und meistens wird Alkoholeinfluss relativierend erwähnt. Dafür, dass es nicht hängenbleibt, wird gesorgt, denn diese Berichterstattungen sind kaum reißerisch oder emotional geprägt, geschweige denn werden sie mit einer gesamtgesellschaftlichen Relevanz oder ferner, irgendeiner Forderung verknüpft. Die Berichterstattung zur „Flüchtlingskrise“ bildet bekanntlich das krasse Gegenstück ab: Hier werden Feindbilder en masse angeboten, während das Thema der geschlechtsspezifischen Gewalt, wenn überhaupt, nur mit Samthandschuhen und beinah sachlich angefasst wird. Medial interessant wird es erst dann, wenn es sich mit Rassismus verbinden lässt. Gibt es kein verwertbares Feindbild, sondern nur ein systematisches Grundübel, muss ein soziales Problem ein gesellschaftliches Tabu bleiben. Gewalt an Frauen liefert kein entsprechendes Feindbild und ist ebenso ökonomisch nötig, wie moralisch unbequem für den Kapitalismus. Deshalb muss sie für ihn genau dort bleiben, wo sie in der „modernen“ Gesellschaft normgerecht stattfindet: hinter Hausfassaden. Besinnung auf christliche Werte in der scheinsäkularisierten Ordnung heißt Verlegung des Schlachtplatzes vom mittelalterlichen Marktplatz ins Ikea-Schlafzimmer. Dieses ungeschriebene Gesetz zur Aufrechterhaltung einer Pseudogleichberechtigung hat der eifersüchtige Mann durchbrochen, der kürzlich in Kapfenberg seine Expartnerin und deren Schwester erstochen hat, denn er hat es mitten am Tag auf offener Straße getan. Dennoch bleibt es kategorial häusliche Gewalt, denn das Motiv für diese und viele anderer solcher Taten entsand und entsteht in einem häuslichen und monogamen Beziehungsbild, in dem die Frauenrollen Mittel zum männlichen Zweck sind. Zum Beispiel als Dekoration oder Egokick, als Mutterersatz oder Kellerhaustier, als Putzfetzen oder Sandsack für Psyche/Faust/Schwanz. Alles dienlich, um die Unterdrückung der Frau zu verfestigen, was für manche wenige sehr nützlich ist. Stelle sich eine einen (sozialpartnerschaftlichen) Kapitalismus vor, in dem Frauen nicht mehr mitspielen. Alle weiblich definierten Aufgaben, von der Hausfrau bis zur Hure, sind unerlässlich für die Profitmaximierung. Der Kapitalismus ist von der Unterdrückung der Frau abhängig, darum muss sie seiner Logik brutal und perfide unterworfen werden. Und sobald die Frau ihren Platz in diesem Konstrukt als zu Besitzende/zur Reproduktions der Arbeitskraft Benutzende einnimmt, steht sie auf verlorenem, schlimmstenfalls tödlichem Posten. Verlieren tun dabei Männer wie Frauen. Wer gewinnt? (Nicht vergessen: Super-Reiche haben Namen und Adressen!). Und wo? Innerhalb „abendländischer“ Wertesysteme, voller traditioneller Beziehungsformen und Rollenbilder, aus denen solche blutigen Realitäten entspringen.

Der rechte Rand hat bekanntlich neuerdings Frauenrechte für sich entdeckt und dabei bemühen sich die Würschtelvereine auch nicht zu verbergen, dass es hier um eine Besitzsicherung geht. So wirbt zum Beispiel die blaue Parteijugend mit „Hände weg von unseren Frauen!“. Für den stereotypen weißen Mann – geprägt und gefestigt im westlichen Patriarchat – stellt es wohl die schlimmste Kränkung, ja „Entehrung“ dar, wenn ein angeblich minderwertigerer, sprich „ausländischer“ Mann in den „Besitz“ einer weißen Frau gelangt. Und der erbittertste Feind des „abendländischen“ Mannes ist in Zeiten, da Islamophobie gesellschaftsfähig ist, der Muslim. Ob das nun im Kapfenberger Doppelmordfall überhaupt zutrifft, ist unerheblich für jene mitunter FPÖ-Gemeinderäte, die am Folgetag auf fremde Parteidächer in Graz stiegen, um mit Kunstblut vor der „tötenden Islamisierung“ zu warnen. Den „Identitären“ im rebellischen Hipsterkleid sind auch gerade gestorbene Menschen gerade Recht, um sie für ihre faschistischen menschenverachtenden Zwecke zu missbrauchen. Mögen die Traumata der fünf hinterbliebenen Kleinkinder sie irgendwann heimsuchen. Apropos Heimsuchen, der Papst bohrt im weiblichen polnischen Volkskörper herum, konkret in Millionen Gebärmüttern. Doch die breitere Sorge gilt Kopftüchern. Und solange christlich geprägte Männer Frauen abschlachten, ist es kein Thema und notfalls werden sie in der rechten Propaganda einfach zu Moslems gemacht.

Pseudoliberale und reaktionäre Massenmedien veröffentlichen selektiv Statistiken und suggerieren dem_der inkompetenten Leser_in falsche Schlüsse. Denn wer, die_der sich Rassismus mit schnellen Zeitungszahlen bestätigen lassen will, liest bis zum Ende, wo dann sogar die Staatsgewalt einräumen muss, dass von einer unfassbar großen Dunkelziffer von nicht angezeigten Vergewaltigungen vor allem im privaten Raum auszugehen ist. Selbst die Statistiken der Frauenhäuser erfassen sehr wahrscheinlich nur einen geringen Teil, denn einerseits gibt es in Österreich viel zu wenige Kapazitäten, auch wenn die FPÖ regelmäßig Frauenhäuser gänzlich abdrehen will. Andererseits finden unter der gesellschaftlichen Tabuisierung und Stigmatisierung der Frauen („Warum ist sie nachts auch alleine raus?/Warum trägt sie auch so einen kurzen Rock?/Hätte sie ihn halt nicht betrügen dürfen!“) bei Weitem nicht alle Betroffenen den Weg in ein Frauenhaus. In der medialen Aufarbeitung wird jeden Fall nur einem Bild gedient: Der dunkle Mann gefährdet die helle Frau. Dass Frauen, die es ja aufgrund ihrer eigenen Betroffenheit (erfassbar jede dritte Frau in Österreich) besser wissen müssten, wo die eigentliche Gefahr seit jeher lauert, sich vom rassistischen „Feminismus“ teilweise so mitreißen lassen und neue Ängste entwickeln, lässt sich womöglich mit der Ambivalenz in Gewaltbeziehungen erklären. Der vertraute Täter nimmt in der Wahrnehmung des Opfers im Gegensatz zum fremden Täter, eine viel widersprüchlichere Rolle ein, weswegen er auch tendenziell vom Opfer geschützt wird und seine Taten von ihm relativiert werden. Weil ein fremdes, abstraktes Feindbild viel einfacher zu greifen ist, als die Anerkennung des „eigenen“ Täters zu Hause als solchen, kann die Islamophobie als falsches Ventil für echte Ängste herhalten. Der in jeglicher Hinsicht fremde Vergewaltiger aus dem nächtlichen Gebüsch wird stets heraufbeschworen und in weibliche Psychen gepflanzt. Deshalb ist nicht weniger Angst vorm Heimtäter vorhanden, jedoch zwingt eine emotionale und/oder ökonomische Abhängigkeit, die in der monogamen Paarbeziehung verdinglichte Frau in einen zunehmenden ohnmächtigen Kreislauf. Schafft es eine Frau aus diesem Kreislauf auszubrechen und der Mann verliert seine Macht, muss sie es ab und an auch mit ihrem Leben bezahlen. Ganz ohne Burka.

Es wird also vom rechten Rand aus gezündelt, eine Scheinkorrelation in die gesellschaftliche Wahrnehmung eingebaut, nämlich die zwischen Gewalt an Frauen und der Zunahme von Flüchtlingen. Wie praktisch für die Herrschenden, hier zwei Unterdrückungsfelder verknüpft zu haben, die sich in der Auswirkung gegenseitig befeuern. Wie ein vermeintlicher Feminismus gegen Flüchtlinge ins Feld geführt wird, liegt auf der Hand, eingedenk jahrelanger islamophobischer Hetze und Hochstilisierung aller nichtweißen Täter seit Nine Eleven. Kapfenköln ist hier nur dankbares Symptom, wären die Bilder nicht ohnehin bereits gängig, würden sie nicht auf Anhieb die von rechts gewünschte Wirkung erzielen. Wie verhält es sich aber wechselwirkend umgekehrt? Man könnte ja dem Trugschluss erliegen, dass der rassistische „Feminismus“ zumindest den einen positiven Effekt hat, dass das Thema Gewalt an Frauen endlich breiter öffentlich thematisiert wird, anstatt wie bisher totgeschwiegen zu werden. Das wäre in meinen Augen falsch. Denn diese Form der Thematisierung schadet den Interessen der Frauen wesentlich mehr, als es ihnen je nützen könnte. Zum Einen werden sie objektifiziert als zu schützendes Gut, zum Anderen wird ihr Leid instrumentalisiert, um ein anderes Leid zu legitimieren und zu forcieren. Was nichts anderes heißt, als dass von ihrer objektiven empirischen Betroffenheit, anstatt diese weiterhin zu verschweigen, auf ein subjektives Feindbild abgelenkt wird, dessen angebliches Opfer sie ist. Nicht nur das weibliche Passivum ist hier ein frauenfeindliches Element, sondern auch – und hier liegt der wahre Schaden und Rückschritt für Frauen – die Zementierung eines Themas als Tabu, in dem man es aus der unsichtbaren Ecke holt und zum selben Zeitpunkt sofort mit einer rassistischen Tarnkappe überzieht. Für die tatsächlich fortschrittliche Frauenrechtsbewegung ist das vermutlich eine verschärftere Ausgangsposition, zumal es nicht ihr überlassen wurde, das Thema in den sichtbaren Raum zu bringen und sie nun mit einer fatalen Themenverfehlung zu kämpfen hat, die die Köpfe so schnell nicht mehr verlassen wird. Auch wenn sich diese Dynamik abseits von Verschwörungstheorien niemand kalküliert ausdenken könnte, ist es bewusstseinsunabhängig systemimmanent, dass Leid immer denselben widerfährt und immer denselben nützt. Allen Gegner_innen von Gewalt an Frauen rate ich daher ein kampfbereites Bündnis mit allen Unterdrückten anzustreben, um sie irgendwann nicht mehr als soziale Tatsache anerkennen zu müssen. Für alle Gegner_innen von Rassismus in all seinen Facetten gilt genau dasselbe.

 

Belinda Zangerl hat in einer Gewaltschutzeinrichtung für Frauen und Kinder gearbeitet und lebt in Kapfenberg.

 Foto: privat, Titelbild: KJÖ

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