AktuellStandpunkte

Die gefühllose Isolierung

human-barcode1Kapital schlagen mit Gerfried Tschinkel

Ich bin wieder einmal zu Besuch in der Weltstadt Wien. Am Bahnhof drängt sich ein Grüppchen von Menschen in einer abgegrenzten Raucherzone. Sie machen darin nervöse Schritte in die eine und dann wieder in die andere Richtung. Keiner würdigt den Nebenstehenden eines Blickes. In der U-Bahn ist es nicht anders. Security-Leute im Auftrag der Wiener Linien stehen an den Stationen der U6, damit sich „kriminelle Rauschgifthändler nicht wohlfühlen in der Stadt“ (Häupl). Die Menschen sind dem gegenüber gleichgültig, jeder ist in sich selbst oder sein Smartphone versunken. Massen von Männern und Frauen gehen in den Gängen der Stationen aneinander vorüber und scheinen nichts miteinander gemein zu haben. Unweigerlich fällt mir eine Stelle aus Friedrich Engels „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ ein, in der es über London heißt: „Die brutale Gleichgültigkeit, die gefühllose Isolierung jedes einzelnen auf seine Privatinteressen tritt um so widerwärtiger und verletzender hervor, je mehr diese einzelnen auf den kleinen Raum zusammengedrängt sind; und wenn wir auch wissen, dass diese Isolierung des einzelnen, diese bornierte Selbstsucht überall das Grundprinzip unserer heutigen Gesellschaft ist, so tritt sie doch nirgends so schamlos unverhüllt, so selbstbewusst auf als gerade hier in dem Gewühl der großen Stadt.“

Woher kommt diese Isolierung des einzelnen, die heute nicht selten als Individualisierung gefeiert wird, als ob dadurch ein Freiheitsgewinn für den Menschen entstünde. Marx sah die Entfremdung als ein Schlüsselproblem, das ihm schließlich auch die Türen in Richtung einer Arbeitswerttheorie öffnen sollte. In einem Zustand, wo der Mensch nur für seine Bedürfnisse produziert, da entsteht keine Entfremdung. Die Arbeit, die er verrichtet, verrichtet er für sich selbst und die Produkte die er erzeugt, gehören ihm, bzw. dem ganzen Gemeinwesen. Erst in einem Zustand, wo der Mensch für andere, für einen anonymen Markt produziert, tritt Entfremdung ein. Die erzeugten Waren sind dann Gegenstand des Tausches. Sie werden für andere hingegeben, und man erhält von anderen wiederum Waren im Austausch. Die Gegenstände, die man gibt, haben keinen Nutzen für den Warenproduzenten, sondern nur für denjenigen, der sie erwirbt. Die Menschen treten einander alsdann als Produzenten von Waren und die Kapitalisten als Besitzer dieser Waren gegenüber. Damit aber führen die Gegenstände ein getrenntes Dasein vom Produzenten. Sie verselbständigen sich ihm gegenüber und führen ein Eigenleben. Es scheint nun, da der gesellschaftliche Bezug der Menschen zueinander durch Sachen hergestellt wird, dass diese Sachen mit gesellschaftlichen Eigenschaften ausgestattet sind. Das Geld drückt als Gebrauchsding zugleich Wert aus. Und so hat es den Eindruck, als ob dem Geld selbst übermächtige Eigenschaften zukommen, die von seiner dinglichen Natur herrühren. Dabei spiegelt das Geld nur die Produktionsverhältnisse wider, die die Menschen untereinander eingehen. Den Menschen erscheinen ihre Produktionsverhältnisse nicht als unmittelbare Beziehungen zwischen ihnen, da sie durch Dinge, durch Waren vermittelt sind. Die Beziehungen der Menschen zueinander werden rein sachliche Beziehungen. Und von den Sachen die sie schaffen, werden sie beherrscht. Die menschliche Bande zwischen den Produzenten tritt in den Hintergrund gegenüber ihrer Trennung und Absonderung. Das Ergebnis der Entfremdung ist die Isolierung des Individuums in der Gesellschaft.

Wenn man also fragt, warum heute eine subjektive Klassenzugehörigkeit scheinbar an Bedeutung verloren hat, dann ziehe man die Erkenntnis von Marx und Engels heran, dass der Kapitalismus, neben der Eigenschaft zwei Hauptklassen zu erzeugen, Proletariat und Bourgeoisie, auch „die Auflösung der Menschheit in Monaden“ (Engels) herbeiführt. Die Entfremdung ist ein Produkt der Ausbeutung und sie wird mit der Ausbeutung untergehen. Im Krieg Aller gegen Alle behauptet sich der Kapitalist, doch ihm gegenüber steht die Arbeiterklasse die seinen Untergang bereitet. Das zum Bewusstsein Kommen der Getretenen, bedeutet nicht den Fetisch zu „durchschauen“, wie er den Verhältnissen innewohnt, es bedeutet die Verhältnisse umzuwerfen, die diesen Fetisch notwendig machen.

Gerfried Tschinkel ist Ökonom und lebt in Kottingbrunn.

Bisher in „Kapital schlagen“:

Foto: pixabay.com (Public Domain); Titelbild: Smartphone zombies (Mansion House, Lizenz: CC BY 2.0)

Artikel teilen/drucken:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.