Die Linke braucht mehr Castros
Erinnerungen an Santiago de Cuba im Jubiläumsjahr 2013. Von R. K.
Nur wenige Menschen können für sich beanspruchen, über ein halbes Jahrhundert die Geschicke der Menschheitsgeschichte dermaßen beeinflusst zu haben wie Fidel Castro. Als eine der Führungsfiguren des M-26-7 – der Bewegung 26. Juli – brach er mit nur 81 weiteren überzeugten RevolutionärInnen 1956 in der Granma – nicht mehr als ein Schinackl – von Mexiko in Richtung jener kleinen Karibikinsel auf, welche von den Vereinigten Staaten und der organisierten Mafia jahrzehntelang als Hinterhofcasino missbraucht wurde, um eben diese in einem jahrelang andauernden Guerillakampf im Gebirge der Sierra Maestra vom Joch der US-amerikanischen Marionettenregierung Batistas zu befreien. 82 Menschen brachen auf um eine Diktatur zu stürzen, welche von den Vereinigten Staaten installiert und protegiert wurde – und sie waren siegreich dabei. Sie konnten die Kubaner und Kubanerinnen davon überzeugen, sich gemeinsam der Fesseln der Unterdrückung zu entledigen, einen bewaffneten Kampf gegen eine von Großgrundbesitzern kontrollierte Gesellschaft zu fechten und deren Repräsentanten zur Rechenschaft zu ziehen um so eine Gesellschaft zu etablieren, welche kollektive Solidarität über individuelle Egoismen stellt.
Als im Jubiläumsjahr 2013 zum 60. Mal dem Angriff auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba 1953 und somit dem damals noch zurückgeschlagenen Beginn der kubanischen Revolution gedacht wurde, befand sich nicht nur die versammelte lateinamerikanische Staatsspitze auf der Insel sondern auch meine Wenigkeit. Raul hatte bereits den Parteivorsitz vom ‚maximo lider’ übernommen und lud bei rund 40 Grad Celsius zu einer großen Feierlichkeit auf das heutige Schul- bzw. Museumsgelände der Kaserne mit mehreren Tausend Gästen – unter ihnen viele Jugendverbände aus aller Welt. Die Feierlichkeiten begannen bei Sonnenaufgang – wie auch damals der Angriff selbst 1953. Aus persönlicher Vermessenheit über die Wichtigkeit dieses Staatsakts ging ich davon aus, mich bei den Zelebrationen einfach unter die Anwesenden zu mischen um so mit einigen RevolutionärInnen von damals und heute ins Gespräch zu kommen. Ich quälte mich also nach einem durchzechten Abend um 4:00 Uhr früh, noch vor den ersten Sonnenstrahlen, auf, um mich auf den Weg zum „Festivalgelände“ zu machen. „Nur geladene Gäste!“ hieß es dort. Pustekuchen also! Sicherlich eine Naivität meinerseits, welche die Enttäuschung im ersten Moment nur noch bitterer machte. Ein Alternativplan war also vonnöten. In Ermangelung der Anteilnahme am Buffet machte ich mich also auf die Suche nach Frühstückbarem und gelangte so wenige hundert Meter vom Haupteingang entfernt zu einem kleinen Lokal, vor welchem sich eine Menschentraube mit rund 50 Personen gebildet hatte. Was im ersten Moment als Freibiervergabe wirkte, war dann auch tatsächlich so. Public viewing! Der Ladenbesitzer ließ über seinen 36cm-Schwarz-Weiß-Fernseher die Übertragung der Reden aus der Kaserne laufen und spendierte zur Feier des Tages jedem Gast ein eiskaltes Cristal. „Viva Cuba! Viva Fidel! Viva Raul! Viva la revolución!“ hörte ich es ständig rufen. Vor mir, hinter mir, neben mir. Auch unter mir, denn selbst die Kleinsten starrten gespannt auf den Fernseher, lauschten aufmerksam den Reden der zahlreichen internationalen Gäste und kommentierten diese lautstark.
Mit einem älteren Herrn kam ich hierbei ins Gespräch: „Weißt du, wir auf Kuba haben es nicht leicht. Wir haben eine der schönsten und fruchtbarsten Inseln der Welt, ein ausgezeichnetes Gesundheits- und Bildungssystem, eine Geschichte, die uns voller Stolz füllt. Wir trotzen gemeinsam als Volk verheerenden Wirbelstürmen, dem Handelsembargo der USA und sämtlichen Wirtschaftsintrigen der kapitalistischen Staatengemeinschaft. Dennoch glaubt die halbe Welt, uns vor irgendetwas retten zu müssen. Dass wir alle todunglücklich in einem Land seien, das sich seit über einem halben Jahrhundert geschlossen vor Eingriffen aus dem Ausland wehrt. Die Dissidenten ziehen in ein anderes Land und werden dort mit Gratifikationen und Sozialleistungen für verleumderische Aussagen über Kuba boniert. Nenn mir doch ein Land, in dem alle Bewohner mit allem zufrieden sind. Auf Kuba ist es nicht anders aber wir stehen zur Revolution“.
Fidel Castro war einer der wesentlichen Gründe, warum ich mich für Politik interessiere. Hierfür zeigten sich ursprünglich allerdings nichts seine Positionen verantwortlich, sondern – und so ähnlich wird es vielen Kubanerinnen und Kubanern ergangen sein – sein schier unbändiges Charisma. Im Gegensatz zu vielen Exponenten der Linken, welche oft oberlehrerhafte Elfenbeinturmpolitik propagieren, dogmatische Sektiererei betreiben oder im Falle der Sozialdemokratie gleich dem Verrat der eigenen Prinzipien anheim fallen, konnte Fidel das kubanische Volk durch seine absolute Entschlossenheit und den notwendigen Pragmatismus, vor allem aber durch die „Emotionalisierung“ der Revolution selbst um sich vereinen. Fidel wusste, dass eine politische Rede die Menschen durch das Wecken der ihnen inne wohnenden Emotionen begeistern muss und nicht nur analytisch-utilitaristisch sein darf.
Ich bin der absoluten Überzeugung, dass Menschen nicht durch objektive Fakten für eine Revolution überzeugt werden können sondern durch emotionale Wünsche dafür begeistert werden müssen.
Hierfür muss die handelnde Person allerdings greifbar und authentisch sein. Sie muss identifikationsstiftend sein. Sie muss das freie Wort und nicht nur die ausgeklügelte Rede beherrschen, sie muss Ziele äußern und verfolgen, die kollektiv erstrebenswert sind und sie muss Humor besitzen. Fidel Castro verband für mich wie kein Zweiter all diese Eigenschaften, welche beispielsweise in seiner bekannten Rede „Die Geschichte wird mich frei sprechen“ oder auch in Oliver Stones Dokumentarfilm „Comandante“ augenscheinlich zur Geltung kommen.
Als 85er-Jahrgang warte ich seit Jahren sehnlichst auf eine derart charismatische und zugleich polarisierende Persönlichkeit wie Fidel Castro in europäischen Gefilden. Warum? Weil es auch hierzulande eine Revolution braucht! Eine Revolution, die die Banker, Großgrundbesitzer und Kapitalisten endlich in ihre Schranken weist und das arbeitende Volk sich endlich jene Bäckerei aneignet, von der es täglich nur ein paar Krümel bekommt. Die Linke braucht endlich wieder Praktiker! Charismaten! Menschen, die begeistern und mitreißen können. Menschen, die Ziele haben und diese verständlich und mit einem Scherz auf den Lippen ausdrücken können. Menschen, die entschlossen handeln und ihrer Überzeugung treu bleiben. Menschen, die tatsächlich verändern und nicht nur unterschiedlich interpretieren. Menschen, wie Fidel Castro.
„Du weißt ja nicht, wie es den Kubanerinnen und Kubanern unter Batista gegangen ist. Darüber hört man wenig. Es ist glücklicherweise auch lange her, war ich doch selbst noch ein Kind damals. Aber müsste ich die Revolution und Kuba heute verteidigen, ich würde es noch immer jederzeit mit der Waffe in der Hand tun“ erklärt mir der ältere Herr beim Lokal. „Außerdem gibt’s hier doch auch den besten Rum der Welt!“ prostete er mir abschließend zu.
Viva Fidel! Viva Cuba! Hasta siempre!
Fotos: R.K.