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Die historische Wahrheit ist antifaschistisch

Am 10. Februar begeht Italien den „Tag der Erinnerung“ zum Gedenken an die Opfer der „Foibe-Massaker“. Während die extreme Rechte diesen Gedenktag für wildeste Geschichtsfälschungen nutzt, um von den Verbrechen des Faschismus abzulenken, werden linke HistorikerInnen mundtot gemacht.

Von Gernot Trausmuth

Der „Tag der Erinnerung“ wurde offiziell erstmals 2005 auf Gesetzesinitiative der Rechtsregierung unter Medienmogul Silvio Berlusconi begangen. Er wurde auf den 10. Februar gelegt, dem Tag, an dem 1947 mit dem Vertrag von Belgrad die Grenze zwischen Italien und der damaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien unter Tito festgelegt wurde. Gedacht werden soll dabei den Opfern der Verfolgung und Vertreibung von ItalienerInnen durch jugoslawische PartisanInnen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Die extreme Rechte verwendet in diesem Zusammenhang sogar gerne den Begriff des „Holocausts der Italiener“ und nutzt seit Jahren diesen Tag für eine konsequente Umdeutung der Geschichte. Dabei geht es in erster Linie darum, die Kriegsverbrechen des italienischen Faschismus als Handlanger des Nationalsozialismus, die Shoah und die brutale Verfolgung von AntifaschistInnen zu relativieren, indem sie mit den Opfern der sogenannten „foibe“ aufgewogen werden.

Konzentrationslager Gonars (marxismo.net)

Zwar gab es in der Tat nach der Befreiung Istriens durch die PartisanInnen Vergeltungsmaßnahmen gegen faschistische Funktionäre und Nazi-Kollaborateure, bei denen wohl einige hundert Personen hingerichtet wurden oder spurlos verschwanden. Genaue Zahlen fehlen bis heute, doch entbehren die von der Rechten gern vorgetragenen Statistiken, die von Zehntausenden Opfern ausgehen, jeder Grundlage. Was diese Geschichtsrevisionisten dabei völlig unter den Tisch fallen lassen, ist die Bilanz des italienischen Faschismus während der Besatzung Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg. Mindestens 230.000 kroatische, slowenische und montenigrinische ZivilistInnen wurden massakriert, erschossen oder bei lebendigem Leib verbrannt, Tausende wurden deportiert und in Konzentrationslager gesperrt.

Dieser Anspruch, „alle Opfer dieser schrecklichen Zeit“ in Ehren zu halten, verdunkelt völlig die tatsächliche politische Verantwortung für Krieg und systematische Menschenrechtsverletzung. So kamen seit 2004 spät aber doch noch rund 300 Repräsentanten von Mussolinis „Republik von Salò“, die fast allesamt in militärischen Formationen dienten, die eng mit den Nazis zusammenarbeiteten, in den Genuss posthumer Auszeichnungen durch das offizielle Italien. Darunter befinden sich zumindest fünf erwiesene Kriegsverbrecher. Besondere Legitimation hat diese neue Gedenkkultur dadurch erlangt, dass auch Vertreter der Demokratischen Partei bis hin zum damaligen Staatspräsidenten Napolitano derartige historisch äußerst umstrittene Ehrungen vorgenommen hat. Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Rechten.

Die Veranstaltungen zum „Tag der Erinnerung“ erweisen sich somit auch immer mehr als Tummelplatz der extremen Rechten und offen faschistischer Gruppierungen. In Florenz und Mailand etwa plante die Lega Nord gemeinsam mit dem „Kulturverein“ Lealtà azione, hinter dem sich die Nazigruppierung Hammerskin versteckt, Gedenkfeiern. In Mailand war sogar ein Konzert mit einem bekannten Nazirocker geplant, das erst aufgrund massiver antifaschistischer Proteste abgesagt wurde.

Im Gegenzug zeigt die extreme Rechte bei Veranstaltungen, wo antifaschistische HistorikerInnen die These vom Massenmord an ItalienerInnen durch die Tito-PartisanInnen kritisch hinterfragen wollen, schnell ihr wahres Gesicht. So machte die Historikerin Claudia Cernigoi mit einem Offenen Brief darauf aufmerksam, wie sie wegen ihrer wissenschaftlichen Arbeit diffamiert und bedroht wird. Sie schreibt: „Wenn es nach diesen Personen geht, die mich zum Schweigen bringen wollen, besteht meine ‚Schuld‘ darin, dass ich Dokumente gesucht, gefunden und analysiert habe, die die jahrzehntelange national-faschistische Propaganda bezüglich der ‚foibe‘ widerlegen. In einer ’normalen‘ Gesellschaft würde meine Forschungsarbeit als wertvoll anerkannt werden, weil sie historische Unwahrheiten widerlegt. Ich hingegen werde der ‚Holocaustleugnung‘ beschuldigt, und zwar genau von den Leuten, die weiterhin diese Unwahrheiten verbreiten.“
Aus Sorge, dass es zu rechtsextremen Ausschreitungen kommen könnte, hat die zuständige Präfektur sogar anklingen lassen, dass sie eine geplante Veranstaltung mit Cernigoi aus „Rücksicht auf die öffentliche Ordnung“ untersagen werde. In mehreren Fällen wurden antifaschistischen Organisationen öffentliche Räume für derartige Informationsveranstaltungen über die „foibe“ nicht zur Verfügung gestellt und angekündigte ReferentInnen bedroht und eingeschüchtert.

Wie wichtig die Arbeit von diesen HistorikerInnen ist, zeigt auch die Arbeit von Alessandra Kersevan. Sie hat nicht nur über das Konzentrationslager von Gonars und Visco publiziert, sondern auch revisionistische Geschichtsfälschungen als solche offengelegt. So gibt es ein auch in den Massenmedien weit verbreitetes Foto, auf dem die Hinrichtung von fünf Männern durch ein Erschießungskommando zu sehen ist. Bislang wurde dieses Bild als wichtige Quelle für die Verbrechen der Tito-Partisanen an italienischen Bürgern gewertet. Kersevan hat jedoch nachgewiesen, dass diese Aufnahme vom 31. Juli 1942 (Foto rechts) stammt und die Exekution von fünf slowenische Geiseln aus dem Dorf Dane durch italienische Soldaten zeigt. Dieses Foto wird besonders gerne bei Plakaten für Gedenkfeiern für die Opfer der „foibe“ verwendet und als solches auch auf der Website des italienischen Innenministeriums veröffentlicht. Es gibt aber noch eine Reihe anderer Bildquellen, die von rechten Historikern bewusst falsch interpretiert werden, um damit die Gewalt der PartisanInnen zu kritisieren.

Auch über 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den Schrecken des Faschismus ist die Erinnerungs- und Gedenkkultur ein heiß umkämpftes Terrain. Die Rechte, die sich generell im Vormarsch befindet, lässt auch auf diesem Feld keine Chance aus, ideologisch in die Offensive zu gehen. Die Verteidigung der historischen Wahrheit ist die Aufgabe aller aufrechten AntifaschistInnen. Auch hier gilt: Kein Fußbreit dem Faschismus!

Der Beitrag erschien zuerst auf gernottrausmuth.at.
Titelbild: Exekution von fünf slowenische Geiseln aus dem Dorf Dane durch italienische Soldaten, 31. Juli 1942 (Quelle: wumingfoundation.com)

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Ein Gedanke zu „Die historische Wahrheit ist antifaschistisch

  • Rosmarie Thüminger

    Danke für Eure Information. Gerade heute ist es wichtig, aufzuklären und der Wahrheit eine Stimme zu verschaffen.

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