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Anschlag auf die Floridsdorfer Ziesel

Montagmorgen erfolgte ein weiteres „Bagger-Attentat“ auf die letzten Ziesel von Wien – sowie auf den Tier- und Artenschutz. Streng geschützte Tiere und ihr Lebensraum am Heeresspital werden plattgewalzt und zubetoniert. Hinter dem Tiermord stehen Baulöwen und Behörden.Von Robert Manoutschehri

Anrainer in der Umgebung des Wiener Heeresspitals in Wien Floridsorf wurden am Montagmorgen unsanft durch Motoren- und Baulärm geweckt – und sie wurden Zeugen eines neuerlichen „Bagger-Attentats“ auf die seltensten Tiere Österreichs. Die streng geschützten Europäischen Ziesel (Spermophilus citellus), die in den meisten mitteleuropäischen Ländern bereits ausgestorben sind und entlang des Marchfeldkanals im Norden Wiens eines der letzten Rückzugsgebiete im urbanen Raum gefunden haben, werden wortwörtlich niedergewalzt und zubetoniert.

Obwohl Zieseln von der Stadt Wien laut Naturschutzverordnung aber auch auf internationaler Ebene strengster Schutzstatus zugestanden wird und sie laut EU und FHH Richtlinie weder gestört, vertrieben, verletzt oder gar getötet werden dürfen, fahren jetzt wieder Bagger auf, um ihren – ebenfalls geschützten – Lebensraum für immer zu zerstören und für diverse Bauprojekte am Wiener Stadtrand zu opfern.

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„Wie ist soetwas etwa überhaupt möglich?“, fragen sich sämtliche Naturschutzorganisationen und Sprecher fast aller politischen Parteien schon seit 2011, als das Thema mitsamt einer im Auftrag der Wiener Umweltschutzabteilung erstellten Studie zur Artenkartierung von S. citellus erstmals im Gemeinderat landete. Warum werden Gebiete, die eigentlich zur Schutzzone deklariert werden müssten, zu Baugrund umgewidmet und teuer von der Stadt Wien an Bauträger verkauft, die dort natürlich bauen wollen? Gelten die Natur- und Artenschutzgesetze oder gelten sie nicht? Und kann man sich etwa mit genügend Investoren-Geldern davon freikaufen?

Wie sonst ist es zu verstehen, dass Behörden bei manchen Bauprojekten auf vorschriftsmäßige artenschutzrechtliche Prüfungen und ggf. ernsthafte Alternativenprüfungen des Standortes verzichten und im Gegenteil sogar Ausnahme-Genehmigungen erteilen, um die Bauvorhaben – entgegen rechtlichen Artenschutzbestrebungen – zu legitimieren?

Nachdem die Wiener Umweltbehörde MA 22 bereits letztes Jahr dem Bauträger „Kabelwerk“ die Zerstörung von ca. zwei Hektar am Heeresspital genehmigte – hier wurde der Ziesel-Lebensraum bereits erfolgreich zubetoniert – erhielt im jetzigen Anlassfall die teilweise in SPÖ-Besitz stehende „Sozialbau“ eine Ausnahme-Genehmigung für den Bodenabtrag von weiteren rund 0,3 Hektar. Und zwar auf einem Areal, das eigentlich als Ausgleichsfläche für die Zieselpopulation dienen sollte. (Im Originaltext: ”Auf der Fläche nördlich des Heeresspitals gibt es noch ca. 5 ha weiteren Lebensraum, die von den gegenständlichen Maßnahmen nicht betroffen sind”.) Und hatte man im Vorjahr noch Ersatzflächen im Ausmaß von 1:1 als Kompensation verlangt, reichen nun nur mehr 0,2 ha aus – mehr Platz war in der Umgebung des Heeresspitals einfach nicht mehr aufzutreiben.

Die letzten am Marchfeldkanal und in der Umgebung des Heeresspitals verfügbaren Lebensräume für Ziesel schrumpfen und schwinden jedenfalls immer weiter. Die hier beheimatete Population hat seit dem letzten Jahr durch verschiedene Maßnahmen mehr als 4,5 ha an Lebensraum verloren. Das Ergebnis ist ein enormer Dichtestress für die Tiere. So sollen die kleinen Nager, die für gewöhnlich in Erdbauen leben, mangels übrig gebliebenen Lebensraumes in der Kernzone des Vorkommens bereits Mauerrisse besiedeln.

Ausnahme wird zum Regelfall

Welchen realen Schutzeffekt Artenschutzgesetze haben, wenn Projekte mit politischer Unterstützung im Lebensraum geschützter Arten durchgezogen werden sollen, wird am Beispiel Heeresspital deutlich: Die im Gesetz vorgesehene Ausnahme wird zum Regelfall. Die nacheinander zur Genehmigung eingereichten Projekte sind immer nur kleine Teilstücke eines Gesamtprojekts, dessen gesamt-Impact auf die Umgebung damit nie zur Untersuchung kommt – im Volksmund bis hinein in die EU-Gremien bereits als „Salami-Taktik“ bekannt – und eigentlich auch verboten.

NGOs, wie die Interessensgemeinschaft Lebensqualität Marchfeldkanal, fordern deshalb diesen unhaltbaren Zustand zu beenden. Konkret heißt es in einer Aussendung:

  1. Ein Ende der Projektstückelung – die gesamte Umgebung des Heeresspital ist im Zuge naturschutzrechtlicher Verfahren als das zu betrachten, was sie ist: Ein städtebauliches Gesamtprojekt.

  2. Die Prüfung alternativer Standorte hat, wie gesetzlich vorgesehen, ernsthaft zu erfolgen, nicht nur wie bisher pro-forma.

  3. Angesichts der Relevanz des Zieselvorkommens (mit 800 bis 1.000 Tieren eines der größten Österreichs) ist das Habitat unter Schutz zu stellen, um ggf. nötige Schutzmaßnahmen durchsetzen zu können.

Weiterführende Links:

  • Pressekonferenz von www.ziesel.org mit namhaften Experten vom 12. April 2016
  • Offizielle Information der Stadt Wien, die strengen Schutz für die Ziesel beim Heeresspital postuliert
  • Studie aus dem Jahr 2011 („Artenkartierung Europäisches Ziesel und Feldhamster in Wien 21“)
    Damals wurde überhaupt nur eine landwirtschaftliche Nutzung untersucht – dass der Lebensraum in Wirklichkeit aber immer weiter zubetoniert und mit Wohnhäusern überbaut werden sollte, liest sich hier dann so: „Sollte die Landwirtschaft auf dem betroffenen Feld aufgegeben und die derzeit aufrechte Widmung als Bauland genutzt werden, würde die MA 22, wie in vielen anderen Fällen auch, ein konkretes Vorhaben nach den Vorgaben des Naturschutzrechtes genauestens prüfen.“

Fotos/Grafiken: Robert Manoutschehri

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