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Katalonien-Konflikt: Abgesang auf die Demokratie in Spanien

Ein Kommentar von Jairo Gomez

Ich will nicht pathetisch sein, aber für mich ist heute ein sehr trauriger Tag – als Demokrat, als Europäer und als gebürtiger Spanier.

Als Demokrat, weil heute deutlich geworden ist, dass Bürgerrechte von den Regierenden nicht ernst genommen werden und keine Skrupel bestehen, physische Gewalt einzusetzen, um die Bevölkerung mundtot zu machen.

Natürlich ist das Referendum in Katalonien illegal, weil es nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllt hat. So zumindest haben die spanischen Gerichte geurteilt. Das wussten beide Konfliktparteien von Anfang an: die Zentralregierung in Madrid und die katalanische Regionalregierung in Barcelona. Die Menschen in Katalonien wussten es auch. Und trotzdem sind sie zur Abstimmung gegangen.

Ihnen ging es darum ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, und nur so kann ein Referendum ohne gesetzliche Grundlage und somit ohne Rechtsverbindlichkeit interpretiert werden. In vielen Äußerungen von interviewten Katalanen wurde das auch deutlich. Dieser Aspekt kam in den hiesigen Medien zu kurz oder wurde gar nicht erwähnt.

Polizeiknüppel gegen Wahlzettel

Die Zentralregierung hat sich hinter einer schon lange nicht mehr zeitgemäßen Verfassung verschanzt, deren Väter zu einem großen Teil noch zum faschistischen Franco Regime gehörten.

Nun ist die Maske der Demokraten zerrissen. Hinter ihr kam die Fratze des Faschismus zum Vorschein, als am Sonntag Angehörige der spanischen Polizei auf die Menschen einprügelten, die ihre Stimme abgeben wollten und als einzige Waffe einen Wahlzettel in der Hand hielten. Manch einer hatte noch eine Nelke dabei – ein Zeichen für friedlichen Protest. Dem Repressionsknüppel war es egal, wen er traf – junge oder alte Menschen, Frauen oder Männer.

Das später Steine auf die Polizei geworfen wurden und auch einige Polizisten verletzt worden sein sollen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hunderte Menschen Opfer von sinnloser Polizeigewalt wurden.

Gewalt ersetzt Dialog

Als Europäer bin ich zutiefst betrübt, weil in Brüssel und in vielen anderen Hauptstädten zur angeordneten Gewalt geschwiegen wurde, obwohl man wusste, dass sich seit Jahren der Katalonien-Konflikt anbahnt. Das Verlangen nach einem Referendum erschien ja nicht plötzlich aus dem Nirgendwo.

Und dann wäre da noch Deutschland zu erwähnen, die führende Nation innerhalb der EU, und mit dem wohl größten Einfluss ausgestattet. Doch statt zu vermitteln, bevor es zu spät ist, wird sich zu dem Konflikt geäußert, als in Spanien schon die staatliche Gewalt den Dialog ersetzte.

Der Zentralregierung wird Unterstützung zugesagt. Die Frage sei erlaubt: Bei was denn? Etwa bei weiterer Repression? Bei der Vertiefung der Gräben innerhalb der spanischen Gesellschaft? Das wäre keine Unterstützung, sondern Beihilfe zur Unterdrückung.

Als gebürtiger Spanier krampft sich mir das Herz zusammen, wenn ich sehe, welch einen Keil die Politik eines Mariano Rajoy und seiner Partido Popular quer durch die spanische Gesellschaft getrieben hat. Heute ist der Geist von Francisco Franco durch die Städte Kataloniens geweht und hat viele Bande zerrissen, die es zwischen Spanien und Katalonien gab.

Korrupte Politik ausgeblendet

Sowohl Spanier als auch Katalanen sind korrupten Politikern auf den Leim gegangen, die hüben wie drüben die Karte des Nationalismus ausgespielt haben. Hunderte von Korruptionsfällen in die Mitglieder der Regierungspartei verstrickt sind, wurden dadurch fast völlig in den Hintergrund gedrängt.

Die Einheit Spaniens galt es in Katalonien zu schützen. Doch gerade jene, die durch eine Politik des persönlichen Profits eben diese Einheit gefährdet haben, sind nun aus dem Fokus gerückt.

Das gleiche gilt für die Katalanen, die für die Unabhängigkeit sind. Sie scheinen völlig vergessen zu haben, dass gerade diejenigen, die sich im Windschatten des Präsidenten der Generalitat, Carles Puigdemont, bewegen, in der Vergangenheit Erfüllungsgehilfen der Madrider Politik in Barcelona waren und selbst in Korruptionsfälle verwickelt sind.

Hier baut sich vor meinem inneren Auge ein neues Bild auf: Man hat einer hungrigen Meute die Knochen der Einheit Spaniens und der Unabhängigkeit Kataloniens hingeworfen, und während sich die vielen Mäuler darauf stürzten, trägt man hinter ihrem Rücken die fetten Würste fort nach Madrid und Barcelona.

Mittel autoritärer Staaten

Dieses Bild trifft aber nicht nur auf Spanien zu, sondern gilt überall in Europa. Und wenn ich schon dabei bin, wie sehr sich die Bilder gleichen, erinnere ich mich an prügelnde Polizisten in Frankreich, wo Bürger gegen die Arbeitsrechteformen protestierten – in Belgien und Italien aus denselben Gründen -, und an prügelnde Polizisten in Griechenland sowie in Deutschland beim G-20-Gipfel, und dabei beziehe ich mich nicht auf die Krawalle im Schanzenviertel, sondern auf die Polizeiübergriffe während der anderen friedlichen Demonstrationen.

Das sind Maßnahmen, die zu autoritären Staaten passen, nicht aber in Demokratien, die auf Deeskalation, Diplomatie und politische Lösungen setzen, so wie ich eben Demokratie verstehe.

Wenn sich eine Regierung gegen eine Abstimmung, die laut Gerichtsurteil illegal ist und somit ein Muster abbildet, aber keinen Wert, nicht anders zu helfen weiß, als Befehlsempfänger in Uniform sinn- und hirnlos auf Bürger einprügeln zu lassen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass einiges im Argen liegt.

Dazu gehört auch das Verständnis von Recht und Gesetz. Denn selbst wenn die Katalanen mit dem Referendum gegen Gesetze verstoßen, so zeichnet sich ein Rechtsstaat eben nicht dadurch aus, dass er sich eines Unrechts bedient, um Gesetze durchzusetzen, sondern das Recht an sich – und dazu gehören die Menschenrechte und das von Katalonien angeführte Selbstbestimmungsrecht der Völker – verteidigt.

Die Demokratie hat verloren

Die Last der Geschichte wiegt ebenso schwer. Die Wunden des Bürgerkriegs sind in Spanien noch nicht völlig verheilt, trotzdem haben es beide Konfliktparteien zugelassen, dass 78 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs und 42 Jahre nach dem Tod Francos neue Wunden geschlagen wurden.

Ich befürchte, dass noch mehr hinzukommen, wenn nicht die Vernunft siegt. Doch woher soll sie kommen? Marino Rajoy als auch Carles Puigdemont haben sich durch die Eskalation der Gewalt als absolut unfähig erwiesen, das Vertrauen, das die Menschen in sie gesetzt haben, zu rechtfertigen.

Dieses Versagen wird auf katalanischer Seite auch nicht dadurch gemildert, dass über zwei Millionen Menschen trotz Polizeigewalt abgestimmt haben sollen, 90 Prozent für eine Abspaltung von Spanien votierten und man die Unabhängigkeitserklärung noch in dieser Woche verkündet will. Die Demokratie hat auf jeden Fall verloren…

Bernardo Jairo Gomez Garcia wurde im spanischen Granada geboren und lebt seit 1967 in Deutschland. Sein Vater stammt aus Kolumbien, seine Mutter aus Spanien. Schon vor seinen Ausbildungen zum Trockenbaumonteur und Kfz-Lackierer entdeckte Gomez seine Leidenschaft für die Kunst. Er studierte an einer privaten Kunsthochschule Airbrushdesign und wechselte aus der Fabrikhalle ans Lehrerpult. 14 Jahre war Gomez als Spanischlehrer in der Erwachsenenbildung tätig. Seine Interessen gelten der Politik, Geschichte, Literatur und Malerei.

Titelbild: Via Laietana (Foto: Josep Renalias Lohen11; Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Der Beitrag erschien zuerst auf neue-debatte.comKooperationspartner von „Unsere Zeitung“.

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