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Politik und Boulevard dem islamistischen Terror auf der Spur

Eine Ermittlung in den einschlägigen „Szenen“

Von Herbert Auinger

Endlich! Endlich war es soweit! Endlich war ER auch in Österreich eingetroffen! So oft wurde über IHN schon berichtet, wurde sein Kommen prophezeit – aber ER ließ sich einfach nicht blicken. Musste man sich Sorgen machen? Hatte ER was gegen Österreich? Sind „wir“ nicht wichtig genug? Fast überall war ER schon aufgetreten – London, Paris, Nizza, Berlin, Manchester … –, aber um Österreich hatte ER immer einen großen Bogen gemacht. Bloß, weil Österreich nicht wirklich zu den kriegführenden Mächten im Nahen und Mittleren Osten zählt? Lächerlich! ER hat doch, das steht fest, etwas gegen „uns alle“ …

Endlich, am 30. Juni 2017 war es soweit: Er war da. In Linz. Sicher, er hatte versucht, sich zu tarnen; das hat ihm aber nichts genützt. Üblicherweise bekennt er sich nämlich öffentlich zu seinen Untaten – es geht ihm schließlich darum, Angst und Schrecken (lat. „Terror“) zu verbreiten, schon deswegen muss er lautstark sein Urheberrecht geltend machen. Diesmal nicht. Aber egal: Ein „Netzwerk“ aus Politik und Boulevard-Medien hat ihn entlarvt. Endlich war er da. Auch bei „uns“.

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Am 30. Juni tötet ein Mann aus Tunesien, seit 28 Jahren in Österreich lebend, ein altes Ehepaar. Nach der Tat begibt er sich zur Polizeiinspektion und reiht sich ein, in die dort Wartenden. Aber nicht, um sich inmitten der Beamten in die Luft zu sprengen. Vielmehr legt er, als er an der Reihe ist, ein volles Geständnis ab. Die Erkenntnisse der Exekutive unmittelbar nach der Tat und auf Basis dieses Geständnisses, die zeichnen das Bild eines hervorragend integrierten Zuwanderers, der sich sogar zur in Österreich weit verbreiteten Spezies des „Wutbürgers“ fortentwickelt hat – allerdings eines Wutbürgers, der es nicht bei der Internet-Hetze belassen hat, sondern der zur Tat schritt:

„Mann tötete aus Hass auf FPÖ Ehepaar … Der 54-jährige Muslim aus Tunesien soll laut Polizei viele schlechte Erfahrungen, die er in den vergangenen Jahren in Österreich gemacht hatte, auf die FPÖ projiziert haben. … An seinen Opfern, denen fälschlicherweise ein Naheverhältnis zur FPÖ unterstellte, habe er ein Exempel statuieren wollen, sagte der oberösterreichische Landespolizeidirektor Andreas Pilsl am Samstag in einem Hintergrundgespräch. Der unter Doppelmord-Verdacht stehende Mann, der seit 1989 in Österreich lebt, war 2012 nach einer Anzeige eines lokalen FPÖ-Mandatars wegen Tierquälerei verurteilt worden. Von da an machte er die FPÖ für alle negativen persönlichen Erfahrungen verantwortlich, etwa wenn er seiner Ansicht nach beim AMS schlecht behandelt wurde oder als ihm einmal die Mindestsicherung gekürzt wurde. … Der 54-jährige Tunesier soll laut Polizei wenige Tage vor der Bluttat den Entschluss gefasst haben, an der Gesellschaft ein Exempel zu statuieren und sich für erlittenes Unrecht zu rächen. … Die Ermittler sehen den Täter nicht in der Nähe der radikalislamischen Szene. Der Mann habe ein religiöses Leben geführt, der politische Islam habe ihn jedoch nicht interessiert, betonte Pilsl. Der Tunesier sei bisher weder durch Radikalisierungstendenzen aufgefallen noch einschlägig vernetzt.“ (derstandard.at, 2.7.2017)

Wie jeder andere, so kultiviert auch dieser „Wutbürger“ eine ganz spezielle Form von Wahn. Er geht davon aus, dass das Leben im demokratischen Kapitalismus eine Ansammlung von Gelegenheiten ist, von besseren und schlechteren Gelegenheiten freilich, aber insgesamt doch so beschaffen, dass jemand, der seine Pflichten erfüllt und seine Leistungen bringt, ein schied­lich-fried­liches Auskommen findet. Die unvermeidlichen schlechten Erfahrungen, die jeder rechtschaffene Mensch bei der praktischen Umsetzung dieser Lebenslüge macht, die verarbeitet der sich entfaltende Wutbürger auf sehr charakteristische Art und Weise: Er sucht nach Schuldigen, nach Sündenböcken, die er für seine schlechten Erfahrungen verantwortlich macht, also nach Leuten, die – alles im Rahmen dieser seiner fixen Idee – als Beamte, als Nachbarn, Kunden, Sozialbürokraten, Taxifahrer, als Kollegen etc. etc. gerade nicht so korrekt handeln wie er selber, sondern die ihm bitteres Unrecht zufügen, weil sie ihm schaden wollen. Und da hat sich dieser spezielle Wutbürger zu einer „Einsicht“ vorgearbeitet, die seine Weltsicht endgültig als Ausgeburt des Irrsinns entlarvt: Die verbreitete und speziell von der FPÖ betreute Manier autochthoner Wut-Kollegen, „die Ausländer“ für alles und jedes Unbill verantwortlich zu machen, die stand ihm wohl nicht zur Verfügung, er ist schließlich selber einer. Aber umgekehrt wird ein Schuh draus – dieser Irre verdichtet seine schlechten Erfahrungen tatsächlich zum Befund, als Ausländer in Österreich benachteiligt zu sein! Sagenhaft! Und er versteigt sich sogar zur verrückten Idee, die FPÖ könnte etwas damit zu tun haben! Unglaublich!

Natürlich kann jeder Inhaber einer derart populären Vorstellung – dieses Bild von seiner persönlichen Gutheit inmitten einer schlechten Welt, von seinem erlebten Unrecht und den bösen Gemeinheiten der lieben Mitmenschen – natürlich kann jeder seine daraus gezogene Verbitterung ein Leben lang in sich hineinfressen, und auf diese Art bewältigen. Oder am Stammtisch ausleben, oder wählen gehen, oder im Internet posten, oder, oder … Aber ab und an meint dann einer, sich an „der Gesellschaft“ rächen zu müssen – und wenn der Amoklauf das letzte ist, was er in Freiheit anrichtet. So weit, so schlecht.

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Die „Krone“ auf ihrer Facebook-Seite (screenshot, 8. Juli 2017)

Zum Zeitpunkt der Vernehmung waren den ermittelnden Beamten allerdings die Bedürfnisse ihres obersten Chefs noch unbekannt; eine ziemlich fahrlässige Unterlassung, weswegen sie anschließend gehörig unter „Zugzwang“ gerieten:

„ … Wahnsinnstat erschüttert Österreich. Umso mehr, als der Tunesier, der seit 28 Jahren in unserem Land lebt, laut Innenminister Wolfgang Sobotka massive Verbindungen mit dem Höllengezücht des IS-Terrorismus haben soll. Die oberösterreichische Polizei steht nun unter Zugzwang, diese Ermittlungsergebnisse zu belegen.“ („Krone“, 8.7.2017)

Da dachte man als naiver Mensch und „Tatort“-Konsument immer, „Ermittlungsergebnisse“ seien der spätere Beweis, eben das Ergebnis von Ermittlungen. Aber woher denn! Die oö Exekutive steht vor der herkulischen Aufgabe, bereits vorliegende ministerielle „Ergebnisse“ (sic!) in Bezug auf das „Höllengezücht“ nachträglich auch noch belegen zu müssen! Braucht denn ein ministerielles Machtwort noch einen Beleg? Der wohlinformierte Medienkonsument erinnert sich doch da sofort an die „Terrorismusbekämpfung“ etwa in der Türkei – auch da verlautbart der Chef aus seinen politischen Bedürfnissen heraus die erwünschten „Ermittlungsergebnisse“, und die Polizei soll anschließend liefern. Bezüglich des ministeriellen Motivs liegt glücklicherweise ebenfalls ein volles Geständnis vor:

„Dieser Fall zeigt drastisch, wie wichtig das Sicherheitspaket und vor allem auch die Überwachung der Internet-Kommunikation ist.“ (Sobotka in der „Krone“ vom 6.7.2017)

Ja – wenn der Täter seine Tat im Internet angekündigt hätte, was der Minister gar nicht wissen konnte, weil er nicht überwachen durfte, dann hätte der Fall drastisch gezeigt, wie recht der Minister immer schon hatte! Oder so ähnlich.

Auch andere Interessenten bringen ihre Bedürfnisse zur Geltung. Für die FPÖ ist der Doppelmord ein Beleg für „Erkenntnisse“, die auch sie schon längst hat: Dass nämlich Migranten prinzipiell unverträglich mit der heimatlichen Ordnung sind, weil sie ein fremdes, im Grunde genommen unverträgliches Wertesystem verinnerlicht haben, und daher über kurz oder lang kriminell werden müssen. Deswegen ist jeder Gesetzesbruch eines Ausländers eben nicht nur ein Verstoß gegen das Gesetz und ein Angriff auf die jeweiligen Opfer – sondern ein Angriff auf die Ordnung, also ein politisches Verbrechen, also ein Terrorakt.

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Die Polizei hält sich etwas bedeckt. Womöglich erinnern sich die Beamten, dass ihre „Ergebnisse“ auch vor Gericht halten müssen, und nicht nur in der Pressekonferenz vor den journalistischen Komplizen des Ministers. Aber wenigstens auf die ist Verlass. Die „Vierte Gewalt“ als staatstragende Säule schaltet sich ein, übernimmt die Ermittlungen, und findet sofort einen ehrenamtlichen Muslim-Blockwart als Informanten:

„‘Ich habe am 1. Juli 2015 den Behörden gemeldet, dass Mohamed H. ein IS- Schläfer sein könnte. Aber ich bekam niemals eine Antwort!’ Die ‘Krone’ sprach mit jenem Anrainer, der als Erster Verdacht schöpfte, dass mit Mohamed H. (54), dem mutmaßlichen Doppelmörder von Linz-Urfahr, etwas nicht stimme. ‘Ich war früher oft in dem Bio- Laden seiner Frau einkaufen. Bis sie ihn kennengelernt hat und bald darauf ein Kopftuch zu tragen begann. Seither habe ich Mohamed H. immer wieder beobachtet, wenn ich gegenüber an der Haltestelle auf die Bim gewartet habe’, erinnert sich der Linzer: ‘Er ließ sich nach einigen Jahren einen Bart wachsen, trug nur noch Kaftan und Käppi. 2014, als sich immer mehr Europäer dem IS anschlossen, war er plötzlich weg.’ Als der Tunesier Mitte 2015 wieder auftauchte, war er ganz westlich gekleidet und glatt rasiert. Der Anrainer: ‘Er hat sich verfolgt gefühlt, aggressiv reagiert, wenn man nur in seine Richtung geblickt hat.’ Der Linzer erstattete am 1. Juli 2015 (also einen Tag und zwei Jahre vor dem Doppelmord an einem Seniorenpaar in Linz) per Mail bei der Meldestelle für Rechtsradikalismus Anzeige, dass es sich um einen IS- Schläfer handeln könnte. Tatsächlich wurde Mohamed H. vom Verfassungsschutz einvernommen, aber als ungefährlich eingestuft, nachdem er erzählt hatte, in Tunesien bestohlen und in Libyen inhaftiert worden zu sein. … Er galt als schwierig und aggressiv, fühlte sich stets als Muslim und Ausländer benachteiligt. Partnerin Margarita Z. meint: ‘Seine Tat war ein Aufschrei – er wollte ein Signal setzen, endlich Beachtung bekommen.’ Vom IS, sagt die Konvertitin zur ‘Krone’, wusste sie nichts.“ („Krone“, 7.7.2017)

Ein klarer Fall! Die Indizien sind erdrückend:

Seine Frau beginnt, ein Kopftuch zu tragen!
Er trägt Bart, Kaftan und Käppi!
Er ist rasiert und westlich gekleidet!
Er war weg, und später wieder da!
Er fühlt sich als Muslim und Ausländer benachteiligt!
Er fühlt sich verfolgt, bloß weil er von einem eingeborenen Stasi-Freiwilligen bespitzelt und angezeigt wird!

Und so einer läuft in Österreich tatsächlich frei herum?!

Vom „Höllengezücht“ hat man seither nichts mehr gehört. Bis neulich: „Wie schon in den letzten Jahren geht die größte Gefahr für die innere Sicherheit Österreichs vor allem von islamistischem Extremismus aus. Auch wenn Österreich bisher von Terroranschlägen verschont geblieben ist, müssen die Sicherheitsbehörden wachsam sein, um bereits im Vorfeld gegen potenzielle Gefährder einschreiten zu können.“ (Regierungsprogramm, S. 31)

Titelbild: Terror-Ermittlung (Foto: Erich Ferdinand/flickr.com; Lizenz: CC BY 2.0)

 

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