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Massensterben ante portas

Vom Insektenschwund über das Vogelsterben zum Massenexodus der Tier- und Pflanzenwelt. Von Robert Manoutschehri

Es passiert jetzt, hier und heute. Es gibt keine Ausreden mehr. Es wird kritisch, sagen immer mehr Zustandsberichte über die Biodiversität in unserem Land und auf dem gesamten Planeten. Bis zu 48 Prozent aller Arten werden in Kürze ausgestorben sein.
 
Am CNRS, Frankreichs National Center for Scientific Research, fühlt man sich derzeit wieder an die 60er Jahre erinnert, in denen der jahrzehntelange Einsatz des berüchtigten Insektizids DDT beinahe zum Aussterben der gesamten Singvögel Populationen v.a. in den USA geführt hatte.
Von Hersteller Geigy damals in ähnlicher Manier wie heute Glyphosat und Neonicotinoide als „gänzlich ungiftig für den Menschen“ beworben, stellte sich im Laufe der Zeit heraus, dass sich DDT und seine Abbauprodukte im Gewebe von Menschen und Tieren anreichern, hormonähnliche Wirkungen zeigen und sogar Krebs auslösen können. Bei vielen Vögeln führte DDT auch zu dünneren Ei-Schalen, die noch während des Legens oder der Brut zerbrachen, was zu erheblichen Bestandseinbrüchen führte.
 
Pestizide am Acker (Foto: CNRS/Claudius Thiriet/Biosphoto)

Auch heute zeichnet sich wieder eine ökologische Katastrophe ersten Ranges ab und es gibt eine wachsende Zahl von Studien, in denen Lebensraumfragmentierung und die schädlichen Auswirkungen intensiver Landwirtschaft sowie der massive Einsatz von Pestiziden auf die Biodiversität ursächlich damit in Zusammenhang gebracht und kritisiert werden.

 
Der generelle Insektenschwund, darunter auch das Bienensterben, welches unabsehbare Folgen auf die Bestäubung aller Blütenpflanzen haben wird, ist naturgemäß zu den Hauptursachen des europaweit beobachteten Vogelsterbens zu zählen, da sie die Nahrungsgrundlage für rund 60 Prozent aller Vögel bilden. So zeigten zwei Langzeitbeobachtungs-Studien aus dem Vorjahr, dass Deutschland und Europa in den letzten 30 Jahren 80 Prozent ihrer Insekten-Biomasse und 421 Millionen Vögel verloren haben.
 
Auch in anderen Ländern warnen Ornithologen vor einem zunehmenden Vogelsterben auf den Agrarflächen. In Österreich etwa enthüllten der Zensus von BirdLife, dass vor allem Feld- und Wiesenvögel wie das früher weit verbreitete Braunkehlchen, der Wiedehopf und die Feldlerche bedroht sind. Mangels regierungsseitig vorhandener Artenschutz-Konzepte für die Landwirtschaft will man diesem Trend hier mithilfe der Österreichischen Bundesforste entgegen wirken und 500 Vogelschutzinseln im Wald schaffen, kleine Rückzugsgebiete, die der forstlichen Nutzung entzogen werden.
 

Insekten- und Vogelsterben auch in Frankreich dokumentiert

Jetzt ergaben zwei auf landesweiten Vogelzählungen von insgesamt 175 Arten beruhende Studien vom französischen National Museum of Natural History und dem CNRS, dass in den letzten 17 Jahren ein Drittel aller Vögel aus Frankreich verschwunden ist. Bei manchen Arten ist der Bestand sogar um zwei Drittel geschrumpft und einzelne Spezies wie der Wiesenpieper, der früher zu den häufigsten Singvögeln Europas gehörte, die Feldlerche und der Bluthänfling seien bereits zu knapp 70 Prozent dezimiert oder sähen ihrer Eintragung auf der Roten Liste vom Aussterben bedrohter Spezies entgegen.
 
Viele Vogelarten sind den Langzeitstudien zufolge in allen überwachten Lebensräumen rückläufig, aber besonders in landwirtschaftlichen Gebieten sei die Dezimierung erschreckend. Die Populationen bekannter Ackerlandvögel wie Lerchen und Rebhuhn brechen buchstäblich zusammen, wobei ihre Anzahl in den letzten 25 Jahren um 50 bis 90 Prozent gesunken ist.
„Die Situation ist eine Katastrophe. Unsere ländlichen Regionen drohen zu Wüsten zu werden“, sorgen sich die Studienautoren um CNRS-Ökologe Vincent Bretagnolle und Biologe Benoit Fontaine vom Cesco Naturgeschichtsmuseum. „Was wirklich beunruhigend ist, ist, dass alle Vögel verschwinden, die in landwirtschaftlich genutzten Gebieten leben, selbst die verbreitesten Arten und Waldbewohner“, sagt Bretagnolle. „Dies deutet darauf hin, dass sich die Gesamtqualität dieses Ökosystems verschlechtert.“
 

Komplexe Ursachen? Ja, aber schuld ist der Mensch und sein wachstumsorientiertes (Wirtschafts-) System

Die Ursachen für diesen Rückgang müssen auch laut den französischen Forschern in der zunehmenden Intensivierung der Landwirtschaft gesucht werden, wobei die Landschaft immer einheitlicher wird. Es gibt immer weniger brachliegende Flächen, dafür Korn- und Weizenfelder so weit das Auge reicht – und diese Monokulturen werden massiv mit Pestiziden besprüht, die das gesamte Ökosystem kontaminieren. Neonicotinoide und Glyphosat (Roundup), das am häufigsten verwendete Herbizid weltweit, tragen dabei wesentlich zur Dezimierung von Pflanzen und Insekten bei.
Der daraus resultierende, erhebliche Verlust von Nahrungsangebot wie auch von Lebensraum, welcher sich durch Defragmentierung von Rückzugsgebieten und Migrationsrouten noch potentiert, erweist sich als tödlich für Insekten, für Vögel, aber eigentlich für die gesamte Nahrungskette und Artenvielfalt. Und je weniger Elemente ein Ökosystem enthält, desto fragiler und unstabiler wird es auch als Ganzes. „Die Situation ist besorgniserregend, denn heute ist nicht nur ein Pestizidverbot, sondern ein Paradigmenwechsel gefordert“, so die Forscher.
 

Auch der Klimawandel befeuert das Artensterben – rund die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten ist bedroht

Eine weitere Ursache des weltweit beobachteten Artensterbens liegt in zu raschen Klimaveränderungen und dem davon ausgelösten Landschaftswandel. Die Anpassungsfähigkeit artenreicher Ökosysteme erreicht und überschreitet teilweise bereits ihre Grenzen. Die Folgen der Erderwärmung für rund 80.000 wildlebende Arten in den 35 artenreichsten Naturregionen außerhalb der Ozeane hat nun die Studie „Wildlife in a warming World“ zu beziffern versucht und kam zu erschreckenden Ergebnissen.
Rund die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten werden bis zum Jahr 2080 dem Klimawandel zum Opfer fallen, sollten die anthropogenen Treibhausgas Emissionen wie bisher ungebremst weitergehen, so die Studie des WWF und der Universität East Anglia in Großbritannien. Bei diesem „business as usual“ Szenario wäre mit einem durchschnittlichen Temperaturanstieg von 4,5 Grad Celsius zu rechnen. Doch selbst wenn das im Pariser Klimavertrag vereinbarte Zwei-Grad-Limit eingehalten werden kann, wird noch jede vierte Spezies in den Schlüsselregionen aussterben.
 
„Naturparadiese wie der Amazonas oder die Galapagosinseln drohen noch zu Lebzeiten unserer Kinder weitreichend zerstört und der Hälfte ihrer Tier- und Pflanzenarten beraubt zu werden“, sagt Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim WWF Deutschland. „Das ist kein Schicksal, sondern direkte Folge der menschengemachten Klimaerhitzung. Auf der ganzen Welt könnten ikonische Tiere wie Afrikanische Elefanten oder Große Pandas regional verschwinden, genau wie zehntausende Pflanzen, Insekten und kleinere Lebewesen, die die Grundlage des Lebens auf der Erde bilden.“
Die Fähigkeit zur raschen Anpassung an die neuen Begebenheiten vor Ort wird über das Überleben entscheiden – alternativ auch die Abwanderung in andere Gebiete. Wird die dazu notwendige Ausbreitung ermöglicht, errechnet die Studie einen Rückgang der lokalen Wahrscheinlichkeit des Aussterbens von 25 auf 20 Prozent (im Szenario des zwei Grad Zieles). In vielen Fällen wird dies jedoch nicht möglich sein, aufgrund von natürlichen Hindernissen und menschlicher Infrastruktur. Viele Arten werden zudem einfach nicht in der Lage sein, sich über wenige Jahrzehnte hinweg anzupassen oder in andere Gebiete auszubreiten, darunter die meisten Pflanzen, Amphibien und Reptilien, Frösche und Eidechsen.
 
„Um die Vielfalt an Leben auf der Erde zu erhalten, müssen wir die globale Erhitzung so gering wie möglich halten. Die bisher von den Staaten zugesicherten Maßnahmen sind viel zu zaghaft und werden Mensch und Natur vor massive Probleme stellen. Das Ziel muss sein, so nah wie möglich an die in Paris anvisierten 1,5 Grad Celsius zu kommen. Wenn uns das gelingt und wir gleichzeitig die Lebensräume und Wanderwege schützen, können wir das schlimmste Artensterben noch abwenden“, sagt Heinrich. „Als dringendste Maßnahme müssen wir daher so schnell wie möglich aus Kohle, Öl und später Erdgas aussteigen – sie sind die Haupttreiber des Klimawandels.“
 
Wir brauchen nicht nur ein Pestizidverbot, sondern einen Paradigmenwechsel. Wir brauchen nicht nur Dieselverbot sondern eine Energiewende. Wir brauchen einen wirklichen Systemwandel. Sonst sind wir es selbst, die sich auf die Rote Liste gefährdeten Lebens setzen. (R.M.)
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