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Warum Tradition alleine als Argument nicht reicht

Eine Tradition nur um ihrer selbst willen aufrechtzuerhalten, den Sinn dahinter nicht zu hinterfragen und keine Veränderung zu wagen, zeugt nicht nur von Ignoranz, sondern gefährdet auch die Tradition an sich.

Ein Kommentar von Moritz Ettlinger

„Haaaaabt Acht!“, hallt es in die Stille an einem Sonntag in Tirol. Doch es ist nicht irgendein Sonntag; es ist Herz-Jesu-Sonntag, ein wichtiger Feiertag im heiligen Land Tirol. Die Vereine und Formationen haben sich aufgestellt, um gemeinsam durch Dörfer und Städte zu marschieren, zu beten, zu musizieren. Die Musikkapelle ist dabei, die Feuerwehr, die Schützen, natürlich der Pfarrer, MinistrantInnen und Gläubige. Das ist Tradition, seit hunderten Jahren schon. Überzeugte PazifistInnen werden dieses Marschieren, dieses militärische Getue verabscheuen, für so manche TirolerInnen „gehört das eben dazu“. Da ist dann auch selten Platz für irgendwelche Änderungen, sei es das Ausziehen der heißen Trachtenjacken bei 30 Grad im Schatten oder das Aufsetzen von Sonnenbrillen bei tiefstehender Sonne um neun Uhr in der Früh. Es ist eben Tradition, das war schon immer so, das wird nicht hinterfragt.

Dabei können Traditionen durchaus etwas Schönes sein. Sie dienen als Orientierungshilfe, sie geben Halt, bringen eine gewisse Regelmäßigkeit in das hektische Leben des Menschen, der an sich ja ein Gewohnheitstier ist und deshalb gerne an Traditionen festhält. Grundsätzlich ist dagegen auch nichts einzuwenden. Regelmäßig stattfindende Ereignisse, die in weiterer Folge dann eben zur Tradition werden können, finden wir in vielen Lebensbereichen, seien es Familienfeiern (z. B. Weihnachten), kulturelle Veranstaltungen (z.B. das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker) oder auch sportliche Events (wie die Fußball-WM); sie bringen Menschen zusammen, vereinen diejenigen mit denselben Interessen und sorgen dafür, dass der Alltag der Bevölkerung zwischendurch etwas interessanter wird. So gesehen sind Traditionen eine gute Sache.

Traditionen brauchen Kritik und Veränderung

Allerdings wäre da noch die andere Seite der Medaille. Viele Traditionen, die noch vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten gang und gäbe waren, gibt es heute nicht mehr, und zwar aus gutem Grund. Entweder sind sie nicht mehr zeitgemäß, nicht mehr interessant genug oder schlicht und ergreifend verboten. Hexenverbrennungen zum Beispiel, waren im Mittelalter gang und gäbe. Heute gibt es sie natürlich und zum Glück nicht mehr, kein vernünftiger Mensch würde diese „Tradition“ heute noch als legitim ansehen. Die „Tradition“, dass Männer keine Männer und Frauen keine Frauen heiraten dürfen, wurde mit Recht genauso gekippt wie jene, Kinder in der Schule oder zu Hause zu schlagen und das als „Erziehungsmethode“ zu bezeichnen.

Diese Beispiele zeigen, dass es enorm wichtig ist, Traditionen und Gewohnheiten zu hinterfragen und sie nicht nur deswegen so hinzunehmen, weil „es immer schon so war“. Würden wir das nicht tun, wären viele Fortschritte in unserer Gesellschaft so nicht passiert.

Traditionen sind dazu da, neu erfunden, verbessert zu werden. Eine Tradition, die vor zweihundert Jahren exakt gleich aussah wie sie es heute tut, war entweder zur damaligen Zeit extrem fortschrittlich (sehr unwahrscheinlich) oder ist im wahrsten Sinne des Wortes ewiggestrig und damit nicht zu gebrauchen (sehr wahrscheinlich). Auch ist es wichtig, sich mit Kritik an Traditionen zu beschäftigen, denn durch Kritik können sich Dinge verbessern, das gilt nicht für jede/n Einzelne/n, sondern eben auch für Bräuche oder Systeme.

„Das war schon immer so“ ist und bleibt kein Argument

Dinge nur deswegen zu tun, weil sie immer schon so waren, Traditionen nur deshalb aufrecht zu erhalten, weil es unsere Urgroßväter genauso getan haben, zeugt nicht nur von Ignoranz, sondern ist auch gefährlich für das Fortbestehen eben jener, geliebten Tradition. Sinnlose Gewohnheiten aufrecht zu erhalten, wird sich irgendwann rächen, weil sie, Achtung Überraschung, sinnlos sind.

Wenn das einzige Argument dafür, eine Sache zu machen, lautet, „das war schon immer so“, können Sie getrost weitergehen und diese angebliche Tradition links liegen lassen, denn so toll kann die nicht sein, wenn sie nur um ihrer selbst willen weiter besteht. Oder würden Sie ein Produkt kaufen, für das der Verkäufer als einziges Verkaufsargument bringt „das ist das beste Produkt aller Zeiten“, Sie dann nachfragen warum es denn das beste Produkt sei und der Verkäufer antwortet, „weil es schon immer das beste Produkt auf dem Markt war“? Wohl eher nicht. Denn Tradition alleine reicht als Argument nicht. Nicht gestern, nicht heute, und in keiner noch so weit entfernten Zukunft.

 

 

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Moritz Ettlinger

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