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SPÖ: Zurück zu Hainfeld!?

Als Reaktion auf die herbe Niederlage der SPÖ bei den Nationalratswahlen ging deren Ex-Bundesgeschäftsführer Max Lercher mit der bisherigen Linie und Parteiführung hart ins Gericht. Er sprach sich Anfang Oktober im ORF sogar für eine Neugründung der Sozialdemokratischen Partei aus. „Es braucht ein zweites Hainfeld“, so der (selbsternannte) „SPÖ-Rebell“. Doch was meint er mit Hainfeld? Was ist dort zum Jahreswechsel 1888/1889 eigentlich passiert? Und was müsste auf einem „zweiten Hainfeld“ passieren?

Kurz erklärt und dokumentiert von Michael Wögerer

Vom 30. Dezember 1888 bis zum 1. Jänner 1889 trafen sich 73 Vertreter von Arbeitervereinen aus Wien und allen damaligen Kronländern – mit Ausnahme  Dalmatiens – im niederösterreichischen Hainfeld; die Delegierten beschlossen hier die Gründung einer neuen Partei und verabschiedeten die von Victor Adler verfasste „Prinzipien-Erklärung“. Auf Grund der dortigen Einigung auf ein Programm wird der Hainfelder Parteitag als eigentliche Geburtsstunde der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs gesehen.

Ein „zweites Hainfeld“ würde der SPÖ angesichts der aktuellen innerparteilichen Streitigkeiten wohl sicher gut tun, allerdings nicht nur als „Einigungsparteitag“, um organisatorische und personelle Zwistigkeiten zu begraben, sondern sich auch ideologisch auf ihre historischen Ziele zu besinnen. Insofern schadet es bestimmt nicht, sich die damalige „Prinzipien-Erklärung“ ausführlich zu Gemüte zu führen und in die heutige Zeit zu transferieren. 

Das Proletariat politisch zu organisieren, es mit dem Bewusstsein seiner Lage und seiner Aufgabe zu erfüllen, es geistig und physisch kampffähig zu machen und zu erhalten, ist daher das eigentliche Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Österreich, zu dessen Durchführung sie sich aller zweckdienlichen und dem natürlichen Rechtsbewusstsein des Volkes entsprechenden Mitteln bedienen wird. („Hainfelder-Programm“ 1888/1889)

Die Prinzipienerklärung von Hainfeld beginnt mit einer Präambel, in der u.a. die Interessen der Arbeiterklasse, die Bedeutung technischer Entwicklung hinsichtlich der Produktivkräfte und vor allem die Forderung nach dem „Übergang der Arbeitsmittel in den gemeinschaftlichen Besitz der Gesamtheit des arbeitenden Volkes“ zusammengefasst sind. Darauf folgen acht Punkte mit Forderungen in verschiedenen politischen Bereichen: Internationalismus, Presse- und Meinungsfreiheit, Parlamentarismus, Arbeiterschutzgesetzgebung, Bildung und Laizismus, allgemeine Volksbewaffnung sowie die Abschaffung der indirekten Steuern. Am Ende steht die für die Geschichte der SPÖ besonders wichtige „Einigungsresolution“, mit der die Fraktionskämpfe angesichts des Programms für beendet erklärt wurden.

Prinzipienerklärung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs

(„Hainfelder-Programm“ 1888/1889 und die „Einigungs-Resolution“)

I. Prinzipienerklärung
Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Österreich erstrebt für das gesamte Volk ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechtes die Befreiung aus den Fesseln der ökonomischen Abhängigkeit, die Beseitigung der politischen Rechtlosigkeit und die Erhebung aus der geistigen Verkümmerung.

Die Ursache dieses unwürdigen Zustandes ist nicht in einzelnen politischen Einrichtungen zu suchen, sondern in der das Wesen des ganzen Gesellschaftszustandes bedingenden und beherrschenden Tatsache, dass die Arbeitsmittel in den Händen einzelner Besitzender monopolisiert sind.

Der Besitzer der Arbeitskraft, die Arbeiterklasse, wird dadurch zum Sklaven der Besitzer der Arbeitsmittel, der Kapitalistenklasse, deren politische und ökonomische Herrschaft im heutigen Staate Ausdruck findet. Der Einzelbesitz an Produktionsmitteln, wie er also politisch den Klassenstaat bedeutet, bedeutet ökonomisch steigende Massenarmut und wachsende Verelendung immer breiterer Volksschichten.

Durch die technische Entwicklung, das kolossale Anwachsen der Produktivkräfte erweist sich diese Form des Besitzes nicht nur als überflüssig, sondern es wird auch tatsächlich diese Form für die überwiegende Mehrheit des Volkes beseitigt, während gleichzeitig für die Form des gemeinsamen Besitzes die notwendigen geistigen und materiellen Vorbedingungen geschaffen werden.

Der Übergang der Arbeitsmittel in den gemeinschaftlichen Besitz der Gesamtheit des arbeitenden Volkes bedeutet also nicht nur die Befreiung der Arbeiterklasse, sondern auch die Erfüllung einer geschichtlich notwendigen Entwicklung. Der Träger dieser Entwicklung kann nur das klassenbewusste und als politische Partei organisierte Proletariat sein. Das Proletariat politisch zu organisieren, es mit dem Bewusstsein seiner Lage und seiner Aufgabe zu erfüllen, es geistig und physisch kampffähig zu machen und zu erhalten, ist daher das eigentliche Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Österreich, zu dessen Durchführung sie sich aller zweckdienlichen und dem natürlichen Rechtsbewusstsein des Volkes entsprechenden Mitteln bedienen wird. Übrigens wird und muss sich die Partei in ihrer Taktik auch jeweils nach den Verhältnissen, insbesondere nach dem Verhalten der Gegner zu richten haben. Es werden jedoch folgende allgemeine Grundsätze aufgestellt:

  1. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Österreich ist eine internationale Partei, sie verurteilt die Vorrechte der Nationen ebenso wie die der Geburt, des Besitzes und der Abstammung und erklärt, dass der Kampf gegen die Ausbeutung international sein muss wie die Ausbeutung selbst.
  2. Zur Verbreitung der sozialistischen Ideen wird sie alle Mitteln der Öffentlichen Presse, Vereine, Versammlungen, voll ausnützen und für die Beseitigung aller Fesseln der freien Meinungsäußerung (Ausnahmegesetze, Preß-, Vereins- und Versammlungsgesetze) eintreten.
  3. Ohne sich über den Wert des Parlamentarismus, einer Form der modernen Klassenherrschaft, irgendwie zu täuschen, wird sie das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht für alle Vertretungskörper mit Diätenbezug anstreben, als eines der wichtigsten Mittel der Agitation und Organisation.
  4. Soll noch innerhalb des Rahmens der heutigen Wirtschaftsordnung das Sinken der Lebenshaltung der Arbeiterklasse, ihre wachsende Verelendung einigermaßen gehemmt werden, so muss eine lückenlose und ehrliche Arbeiterschutzgesetzgebung (weitestgehende Beschränkung der Arbeitszeit, Aufhebung der Kinderarbeit u.s.f.), deren Durchführung unter der Mitkontrolle der Arbeiterschaft, sowie die ungehinderte Organisation der Arbeiter in Fachvereinen, somit volle Koalitionsfreiheit angestrebt werden.
  5. Im Interesse der Zukunft der Arbeiterklasse ist der obligatorische, unentgeltliche und konfessionslose Unterricht in den Volks- und Fortbildungsschulen sowie unentgeltliche Zugänglichkeit sämtlicher höheren Lehranstalten unbedingt erforderlich; die notwendige Vorbedingung dazu ist die Trennung der Kirche vom Staate und die Erklärung der Religion als Privatsache.
  6. Die Ursache der beständigen Kriegsgefahr ist das stehende Heer, dessen stets wachsende Last das Volk seinen Kulturaufgaben entfremdet. Es ist daher für den Ersatz des stehenden Heeres durch die allgemeine Volksbewaffnung einzutreten.
  7. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei wird gegenüber allen wichtigen politischen und ökonomischen Fragen Stellung nehmen, das Klasseninteresse des Proletariats jederzeit vertreten und aller Verdunkelung und Verhüllung der Klassengegensätze sowie der Ausnützung der Arbeiter zu Gunsten von herrschenden Parteien energisch entgegenwirken.
  8. Da die indirekten, auf die notwendigen Lebensbedürfnisse gelegten Steuern die Bevölkerung umso stärker belasten, je ärmer sie ist, da sie ein Mittel der Ausbeutung und der Täuschung des arbeitenden Volkes sind, verlangen wir die Beseitigung aller indirekten Steuern und Einführung einer einzigen, direkten, progressiven Einkommenssteuer.

Einigungs-Resolution

In Erwägung, dass der Zwist der Fraktionen die Interessen der Partei und somit der Arbeiterklasse schwer geschädigt hat, dass die Entwicklung der Partei jene wenigen Streitpunkte beseitigt hat, welche, durch die Ränke und den Druck der Feinde der Arbeiterklasse sowie durch verwerfliche Pflege des Personenkults in ihrer Wichtigkeit übertrieben, die Spaltung der Partei veranlasst haben.

In Erwägung, dass die Einigung der Partei dem energisch geäußerten Willen der Genossen im ganzen Lande entspricht, beschließt der heutige Parteitag einstimmig in Anwesenheit von Mitgliedern beider ehemals bestandenen Fraktionen:

Der Parteitag erklärt den Parteizwist durch die Annahme des Programms für beendet und erwartet von jedem Parteigenossen ehrliches und brüderliches Eintreten für die Gesamtpartei sowie energische und unerschrockene Arbeit auf dem gemeinsamen Boden unseres Programms zum Besten des Emanzipationskampfes der Arbeiterklasse.

Quelle: rotbewegt.at
Titelbild: SPÖ Bezirksorganisation Mödling (unserbezirkmoedling.at)

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