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EU-Agrarpolitik: Wie die Ausbeutung in der Landwirtschaft verhindert werden könnte

Wissen wir, wie viel Ausbeutung in unserem Essen steckt? Die fehlende soziale Nachhaltigkeit unserer Lebensmittel ist seit den Berichten über miserable Unterkünfte und Hungerlöhne für ErntearbeiterInnen in aller Munde. EU-Institutionen versuchen nun verstärkt, sich des Problems anzunehmen, und ergreifen Initiative. Wirksame Instrumente liegen am Tisch. Doch viele Mitgliedstaaten – allen voran die österreichische Bundesregierung – stellen sich gegen EU-weite Regeln, die ein besseres Leben für LandarbeiterInnen in der gesamten EU bringen könnten.

Von Maria Burgstaller (A&W-Blog)

Gute Gesetze sind ohne ausreichende Kontrollen wertlos

Agrarbetriebe in Österreich werden stichprobenmäßig von der Finanzpolizei kontrolliert, um zu überprüfen, ob die Bestimmungen des Sozialversicherungsgesetzes, des Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes und des Ausländerbeschäftigungsgesetzes im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Saison- und ErntearbeiterInnen eingehalten werden. Die eigentlich zuständigen Land- und Forstarbeitsinspektionen der Bundesländer sind seit Jahrzehnten unterbesetzt und können daher ihrer Kontrollaufgabe nicht ausreichend nachkommen. Genaue Zahlen, wie viele ArbeitnehmerInnen in Österreichs Landwirtschaft arbeiten, fehlen. Die Schätzungen liegen bei rund 20.000 Saison- oder ErntearbeiterInnen, die für einen unterschiedlich langen Zeitraum auf den Höfen und Feldern oft unter harten Arbeitsbedingungen und mit niedriger Entlohnung beschäftigt sind.

Dass die Nichteinhaltung der gesetzlichen Bestimmungen ein gar nicht so seltenes Problem ist, belegen auch mittlerweile einige Berichte von Betroffenen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie z. B. ein Beitrag von Stephanie Müller-Wipperfürth und einer von Cordula Fötsch und Elisa Kahlhammer. Dazu, wie häufig und wie schwerwiegend die Verstöße sind, gibt es keine ausreichenden Informationen. Berichte der EU-Grundrechteagentur zeigen auf, dass die Ausbeutung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft in der gesamten EU verbreitet ist. Diese Erkenntnisse hatten bisher keinerlei Folgen für die Gestaltung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP), da sich die EU-AgrarministerInnen nicht für die Einhaltung der Rechte der LandarbeiterInnen zuständig fühlen.

Soziale Verantwortung: Die EU-Agrarpolitik kann, wenn die Mitgliedstaaten wollen

Bei genauerer Betrachtung lässt sich jedoch eine klare Zuständigkeit der EU auch für das Wohlergehen der ArbeitnehmerInnen in der Landwirtschaft ableiten. Denn die GAP bezieht sich auf ein noch immer geltendes Ziel im EWG-Vertrag von 1958. Konkret heißt es darin: „Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik ist es, der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten.“ In der Umsetzung der Maßnahmen zur GAP wurde bisher den LandarbeiterInnen – als Teil der „landwirtschaftlichen Bevölkerung“ bzw. „der in der Landwirtschaft tätigen Personen“ – keine Beachtung geschenkt. Finanzielle Unterstützung und Marktregelungen durch die GAP waren ausschließlich auf die Interessen der Landwirtschaftsbetriebe und deren LeiterInnen fokussiert. Während die Einkommen der BetriebsinhaberInnen direkt oder indirekt mit jährlich 55 Milliarden Euro aus dem Agrarbudget der EU unterstützt werden, wurde in der GAP bislang nicht darauf geachtet, ob diese ihren ArbeitnehmerInnen faire Löhne zahlen und die gesetzlichen Bestimmungen beachten.

Um auf EU-weite soziale Missstände zu reagieren, haben in den vergangenen Monaten und Jahren Interessenverbände, europäische Institutionen und die Vereinten Nationen unter anderem folgende Empfehlungen und Rechtstexte verabschiedet, die die Situation der prekären Arbeitsverhältnisse in der Landwirtschaft verbessern könnten.

Sehr engagiert sind sowohl das EU-Parlament als auch die Kommission

Am 19. Januar 2017 wurde die Entschließung des Europäischen Parlaments zu einer europäischen Säule sozialer Rechte verabschiedet. Gemäß dieser ist sicherzustellen, dass die in der europäischen Säule sozialer Rechte verankerten Grundsätze gewahrt werden – vor allem in den Bereichen der Beschäftigungsanmeldung, der prekären und der saisonalen Arbeit. In der im Mai 2020 veröffentlichten „Farm-to-Fork“-Strategie hat die EU-Kommission die soziale Dimension der GAP spezifiziert und festgehalten: „Die COVID-19-Pandemie hat uns auch die Bedeutung des systemrelevanten Personals, wie z. B. der Beschäftigten im Agrar- und Lebensmittelsektor, vor Augen geführt. Aus diesem Grund wird es besonders wichtig sein, die sozioökonomischen Auswirkungen auf die Lebensmittelkette abzumildern und sicherzustellen, dass die in der europäischen Säule sozialer Rechte verankerten Grundsätze gewahrt werden, insbesondere im Hinblick auf prekäre, saisonale und nicht angemeldete Beschäftigung. Anliegen wie der soziale Schutz der Beschäftigten, Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse sowie Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit werden beim Aufbau fairer, starker und nachhaltiger Lebensmittelsysteme eine wichtige Rolle spielen …“

In den Empfehlungen der Kommission vom 18.12.2020 für den GAP-Strategieplan Österreichs, der die Basis für die Förderperiode bis ins Jahr 2028 darstellt, wird unter Punkt 1.3 auf den notwendigen Schutz der ArbeitnehmerInnen hingewiesen: „Gleichzeitig wird die Gewährleistung des Schutzes von Arbeitnehmern in der Landwirtschaft, insbesondere von solchen in prekärer, saisonaler und nicht angemeldeter Beschäftigung, eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der gesetzlich verankerten Rechte spielen, ein wesentliches Element des in der Strategie ,Vom Hof auf den Tischʻ vorgesehenen fairen Lebensmittelsystems der EU.“

Sehr konkret ist die Forderung des Europäischen Parlaments vom 23.10.2020 zu seinen Abänderungen zum GAP-Strategieplan, die milliardenschweren GAP-Zahlungen an die Landwirtschaftsbetriebe zukünftig mit der Einhaltung der geltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu verknüpfen (Amendment 732, neuer Artikel 11a) und auch entsprechende Kontrollen dafür vorzusehen. Dies wäre besonders wichtig, um die Verbindlichkeit – und daher die Wirksamkeit – der Regelungen sicherzustellen.

Forderungen von Gewerkschaften und NGOs werden von der portugiesischen Präsidentschaft ernst genommen

In einem offenen Brief hat die Gewerkschaft EFFAT (European Federation of Trade Unions in the Food, Agriculture and Tourism sectors) mit der Unterstützung zahlreicher Organisationen im Februar 2021 an die EU-Kommission, das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten appelliert, die soziale Dimension in der GAP zu verankern und so die Arbeitsstandards in der europäischen Landwirtschaft zu erhöhen und der Ausbeutung von LandarbeiterInnen endlich ein Ende zu setzen.

Schließlich hat jüngst die portugiesische Ratspräsidentschaft das Ansinnen des Europäischen Parlaments, der Kommission und der Gewerkschaften aufgenommen, indem sie im Februar 2021 ein Optionenpapier vorgelegte, welches die Verknüpfung der Einhaltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen mit den EU-Agrarförderungen beinhaltet. Agrarbetrieben, die sozial- und arbeitsrechtliche Gesetze nicht einhalten, sollten die GAP-Förderungen gestrichen bzw. gekürzt werden.

Dieses Optionenpapier der portugiesischen Ratspräsidentschaft wurde prompt durch ein offizielles Papier der österreichischen Delegation – einer eingebrachten „Note“ – gemeinsam mit 13 anderen Mitgliedstaaten abgelehnt. In diesem Schriftstück lehnen es die unterzeichnenden AgrarministerInnen ab, dass EU-Agrarförderungen an die Einhaltung sozial- und arbeitsrechtlicher Mindeststandards geknüpft werden, und stellen sich gegen wirksame EU-weite Kontrollen, die sie als einen „zu hohen Verwaltungsaufwand“ und „zu viel Bürokratie“ ablehnen. Agrarbetriebe, die Dumpinglöhne zahlen, sollen nach ihrem Bestreben weiterhin Agrarsubventionen erhalten – statt effektiver Kontrolle möchten sie eine bessere Beratung für Betriebe vorsehen.

Auch der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union, welche speziell für Niedriglohnbranchen wie die Landwirtschaft von Bedeutung ist, wird von der österreichischen Bundesregierung nicht unterstützt. Diese Richtlinie für Mindestlöhne könnte das Lohngefälle zwischen den Mitgliedstaaten verkleinern und käme daher auch den österreichischen Agrarbetrieben zugute. Schließlich stehen sie – auch in der EU – mit Betrieben im Wettbewerb, die niedrigere Löhne zahlen.

AgrarministerInnen müssen jetzt ihre soziale Verantwortung wahrnehmen

Die Verhandlungen zur GAP-Periode, die die Ausrichtung der Förderpolitik bis 2028 fixieren wird, gehen Ende Mai 2021 in den Endspurt. Wenn die AgrarministerInnen ihre Blockade nicht aufgeben, wird es auch in den nächsten sieben Jahren keine EU-weite soziale Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft geben. LandarbeiterInnen wären nach mehr als 60 Jahren von der GAP weiterhin ausgeschlossen. KonsumentInnen wissen dann vielleicht zwar, aus welchem Land ihre Lebensmittel großteils stammen, aber haben weiterhin keine Sicherheit, dass die ArbeiterInnen diese unter fairen Bedingungen geerntet oder produziert haben. SteuerzahlerInnen müssen EU-weit Agrarsubvention an Betriebe zahlen, die sich nicht an Arbeitsrechtsbestimmungen halten.

Und auch „ehrliche“ ProduzentInnen kommen unter Druck, wenn ihre MitbewerberInnen weiterhin kaum kontrolliert werden, Dumpinglöhne zahlen und hohe Agrarsubventionen erhalten. Es gibt demnach nur eine Gruppe, die nicht von der sozialen Nachhaltigkeit in der GAP profitieren würde: Das sind jene Betriebe, die Sozial- und Arbeitsrecht brechen. Diese zu unterstützen darf nicht im Interesse der AgrarministerInnen sein!


Titelbild: Peter H auf Pixabay 

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