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Deutschland: Sozialistische Gleichheitspartei zieht gegen Verfassungsschutz vor Gericht

Wenn sich kapitalismuskritische Menschen in Deutschland in einer Partei zusammenschließen, laufen sie Gefahr vom Verfassungsschutz als Linksextremisten, welche die freiheitliche-demokratische Grundordnung gefährden, denunziert zu werden. Droht ein neues Sozialistengesetz?

Von Roman Dietinger

Im Jänner 2019 hat die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) gegen das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Klage eingereicht und beantragt, „den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, den von ihm herausgegebenen Verfassungsschutzbericht 2017 in digitaler, schriftlicher oder sonstiger Form zu verbreiten, verbreiten zu lassen oder sonst der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, soweit die Klägerin in dem Bericht genannt wird.“ Am 18. November 2021 hat am Verwaltungsgericht Berlin der Prozess begonnen.

Vorwurf „Linksextremismus“

Laut dem deutschen Verfassungsschutzbericht 2017 richte sich die „Sozialistische Gleichheitspartei“ (SGP) „schon in ihrer Programmatik gegen die bestehende, pauschal als „Kapitalismus“ verunglimpfte staatliche und gesellschaftliche Ordnung, gegen die EU, gegen vermeintlichen Nationalismus, Imperialismus und Militarismus sowie gegen die Sozialdemokratie, die Gewerkschaften und auch gegen die Partei DIE LINKE.“ Sie versuche „durch die Teilnahme an Wahlen sowie durch Vortragsveranstaltungen […] für ihre politischen Vorstellungen öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen“.

So weit, so demokratisch möchte man denken. Aber der deutsche Verfassungsschutz sieht das anders.

Für ihn ist jemand der Kapitalismus ablehnt, diesen für das Grundübel unserer Gesellschaft hält, für soziale Ungerechtigkeit, eine falsche Wohnpolitik, Kriege, Rechtsextremismus und Rassismus verantwortlich macht, ein Linksextremist.

Die Ideologie und Politik linksextremistischer Parteien und parteiähnlicher Organisationen würde „im Wesentlichen auf den Theorien kommunistischer Vordenker wie Karl Marx, Friedrich Engels oder Wladimir Iljitsch Lenin“ beruhen. Ihr zentrales Ziel sei „die Schaffung einer so­zialistischen Gesellschaftsordnung, um – von dieser ausgehend – eine „klassenlose“, kommunistische Gesellschaft zu errichten. Dazu bedienen sich linksextremistische Parteien rechtsstaatlicher Mit­tel; sie beteiligen sich auch an Parlamentswahlen.“

Hier ist nicht die Rede von Waffenlagern, politischen Attentaten oder anderen gewaltförmigen Handlungen. Hier wird eine Gruppe von Menschen, welche sich in einer politischen Partei gesammelt hat, die öffentlich ihre Ideen bei Wahlkämpfen und Vortragsreihen bekennt und sich dabei auf Personen beruft, nach denen in Wien zum Teil große Gemeindebauten benannt sind, als potentielle Bedrohung dargestellt. Immerhin so bedrohlich, dass sie Ziel geheimdienstlicher Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wurde.

In der Klage wird in der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts die Erwähnung der SGP im Verfassungsschutzbericht 2017 als rechtswidrig bezeichnet, da die Voraussetzungen für eine solche Aufnahme in dem Bericht nicht gegeben seien. Eine Veröffentlichung einer natürlichen oder juristischen Person im Verfassungsschutzbericht sei „mit einer belasteten negativen Sanktion gegenüber den dort erwähnten Personen verbunden“. Daher seien bei der Erstellung eines Verfassungsschutzberichtes „besondere Sorgfaltsanforderungen zu beachten“

Dem Verfassungsschutzbericht komme eine Warnfunktion zu. „Mit der Erwähnung einer Person oder eines Personenzusammenschlusses in dem Verfassungsschutzbericht verbindet sich zugleich die Aufforderung an die Öffentlichkeit, diesen Personenzusammenschluss nicht zu unterstützen, ihm nicht beizutreten und dessen Angebote – welcher Art auch immer – nicht anzunehmen. Er ist geeignet, Bürger davon abzuhalten, sich mit diesem Personenzusammenschluss näher zu befassen oder ihm sogar beizutreten. Über den Verfassungsschutzbericht wird in den Medien regelmäßig berichtet und in der Öffentlichkeit diskutiert, so dass ihm eine breite Außenwirkung zukommt. Dies hat zur Folge, dass bei einer Erwähnung in dem Verfassungsschutzbericht (potentielle) Kooperationspartner von einer Zusammenarbeit abgeschreckt werden und es dem Personenzusammenschluss erschwert wird, geschäftliche, kulturelle, soziale oder sonstige Beziehungen mit Anderen einzugehen. Eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht ist damit mit einer eindeutigen negativen Stigmatisierung in der Öffentlichkeit verbunden.“ 

Eine Erwähnung sei daher nur zulässig, wenn sie „tatsächlich erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne“ ist.

Doch sei weder der „Kapitalismus“, noch die EU, Nationalismus, Imperialismus, Militarismus, die Sozialdemokratie, die Gewerkschaften oder die Partei DIE LINKE verfassungsschutzrechtliche Schutzgüter im Sinne des § 4 Abs. 1c) i.V.m. Abs. 2 BVerfschG. Auch stehe das Streiten für eine demokratisch, egalitäre, sozialistische Gesellschaft „nicht im Widerspruch mit den zentralen Werten des Grundgesetzes“.

Eben so wenig sei „in der Durchführung von Veranstaltungen, der Dokumentation von Berichten und Analysen und der Teilnahme an Bundestags- und Europawahlen kein ziel- oder zweckgerichtetes Verhalten, das auf die Beseitigung oder Umgestaltung der Staats- und Gesellschaftsordnung in Richtung einer mit den Grundprinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbarenden Ordnung abzielt, zu sehen“.

Auch sei davon das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin betroffen. Von Art. 19 Abs. 3 GG umfasst sei „der Schutz vor staatlichen Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Bild der betroffenen Person in der Öffentlichkeit auszuwirken. Hierzu zählen auch das Verfügungsrecht und das Selbstbestimmungsrecht über die eigene Außendarstellung sowie der Schutz des Geltungsanspruches, der sog. „äußeren Ehre“ als das Ansehen in den Augen anderer“.

In einer Stellungnahme der SGP bezeichnet sie die Vorgehensweise des Inlandgeheimdienstes als „Verleumdung“ und „durchsichtigen Versuch, jeden einzuschüchtern, der gegen die rechte Gefahr und insbesondere die rechtsextremen Seilschaften im Staatsapparat eintritt.“ Die SGP sei „weder linksextremistisch noch verfassungsfeindlich, sondern revolutionär und sozialistisch“. Sie verstehe sich als „Teil der trotzkistischen Weltbewegung und steht konsequent gegen die Rückkehr von Militarismus, Faschismus und Krieg“.

Der Geheimdienst habe „keinerlei rechtliche Grundlage für diesen Angriff auf die SGP“. Er versuche „nicht einmal ansatzweise nachzuweisen, dass die SGP gewalttätig oder verfassungsfeindlich“ sei. Er bestätige „in seinem Bericht sogar ausdrücklich, dass sie ihre Ziele mit legalen Mitteln verfolgt“.

Parallel zu Klage wurde eine Petition gestartet, in der dazu aufgefordert wird, die Sozialistische Gleichheitspartei bei der Verteidigung gegen den Verfassungsschutz zu unterstützen.

Update: Inzwischen hat die World Socialist Web Site berichtet, dass die Klage der SGP durch den vorsitzenden Richter Wilfried Peters abgewiesen und die Partei zum Tragen der vollen Prozesskosten verurteilt worden sei. Den Streitwert des Prozesses habe das Gericht auf 20.000 Euro festgesetzt.


Titelbild:  Tingey Injury Law Firm auf Unsplash

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