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Ungarn-Wahl 2022: Entscheidung zwischen Pest und Cholera? 

Voraussichtlich im April finden in Ungarn die Parlamentswahlen statt. Eine Wahlallianz will Orbáns satte Mehrheit brechen. Dieser kontert mit Meldetricks, Steuerzuckerln und kräftigen Mindestlohn-, Lohn- und Gehalts- sowie Pensionserhöhungen zur Vermehrung seiner Wähler*innenstimmen.

Es berichtet Josef Stingl aus Ungarn

Derzeit hat die rechte FIDESZ-Partei unter Viktor Orbán im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Keine ihrer Kontrahent*innen traut sich alleine zu, diese satte Mehrheit zu brechen und sie haben sich zu einer Allianz zusammengeschlossen. Ein Zweckbündnis, das politisch von Mitte-„Links“ bis Rechts-Außen verbindet. 

Neben den Sozialdemokrat*innen und den Grünen sind auch Konservative, Liberale und Sozialliberale Parteien in der Wahlallianz, aber auch die Partei Jobbik, die jahrelang mit rechtsextremen Positionen von sich reden machte. Angeführt wird die Liste vom Vorwahlgewinner Péter Márki-Zay. Der konservative Vater von sieben Kindern sorgt immer wieder für RECHTE Aufregung – mit homophoben Äußerungen oder diversen Verschwörungstheorien. Seine Qualifikation: Er war schon einmal Sieger gegen die FIDESZ-Übermacht, allerdings nur bei einer Bürgermeisterwahl in einer mittelgroßen ungarischen Gemeinde. 

Offen ist die Frage, wie sich die Stammwähler*innen der einzelnen Parteien in der bunt-colorierten Wahlallianz verhalten werden. Werden beispielsweise die sozialdemokratischen Stammwähler*innen dem erzkonservativen Frontmann oder den rechtsextremen Jobbik-Mitkandidat*innen die Stimme geben, sich eine Wahlalternative suchen, oder gar Nichtwählen? 

Umfragen sprechen für Orbán, aber… 

… der Abstand dürfte knapper ausfallen und die Zwei-Drittel-Mehrheit der FIDESZ der Vergangenheit angehören. Viktor Orbán versucht allerdings, dies mit allen Mitteln zu verhindern. Über seinen Flüchtlingshass, seine restriktive Asylpolitik und seine homophobe Gesetzgebung wird ständig international berichtet. Weniger Berichte gibt es schon über seine diversen „Wahl(manipulations)tricks“.

Portrait von Viktor Orbán
Viktor Orbán will mit allen Mitteln an der Macht bleiben. Foto: Európa Pont auf Flickr/CC BY 2.0

So muss man seit Neuestem nicht mehr bei der Meldeadresse auch tatsächlich wohnen. Mögliche Folgen: Bis jetzt konnten Auslands-Ungar*innen zwar die landesweiten Parteilisten wählen, hatten aber keine Erststimme für die Wahlkreiskandidat*innen. Das kann jetzt mit einer Alibi-Meldeadresse elegant umschifft werden und betrifft sowohl die ungarischen Auswander*innen als auch die Arbeitsmigrant*innen. Aber auch die ungarischen Minderheiten in Rumänien oder der Slowakei werden so zu Orbáns Zielgruppe für den FIDESZ-Stimmenfang.

Bei Steuern, Mindestlohn, im Lohn- und Gehaltswesen der öffentlichen Bediensteten und den Rentner*innen betreibt Orbán einen großangelegten „Stimmenkauf“: So bekommen alle berufstätigen Eltern eine Ermäßigung ihrer Einkommenssteuer für 2021 und unter 25-Jährige werden gänzlich von der Einkommenssteuer befreit. Außerdem werden bei Wohnungssanierungen bei Haushalten mit Kindern die Kosten bis zu einem Höchstbetrag von 8.400 Euro von der Öffentlichen Hand getragen.

Dreh an Lohn- und Rentenschraube

Weiters wurde der gesetzliche Mindestlohn mit 1. Jänner um knapp 20 Prozent angehoben und den Arbeitgeber*innen dafür um vier Prozent gesenkt. Zudem kommt es zu deutlichen Gehalts- bzw. Lohnzuwächsen im Öffentlichen Dienst: Krankenpfleger*innen plus 21 Prozent,  Tagesmütter und Angestellte im Kultur- und Sozialbereich plus 20 Prozent, Polizei, Militär und Lehrer*innen plus zehn Prozent und besonders erfreut zeigen sich Haus- und Zahnärzt*innen mit einem 40-prozentigen Gehaltszuwachs. Nur für die Lehrer*innen ist ihr Plus „inakzeptabel und viel zu niedrig“. Denn das Grundgehalt mit einer drei- bis fünfjährigen Berufserfahrung liegt trotzdem nur bei der Mindestlohnhöhe für Facharbeiter*innen (rund 720 Euro). 

Natürlich vergisst Orbán auch nicht auf die Rentner*innen. Sie werden mit einer Prämie von 220 Euro zwecks Corona- und Inflationsabgeltung bedient. Außerdem wurden die Renten um fünf Prozent angehoben und die 13. Monatsrente wieder eingeführt. Fast schon ironisch klingt es da, dass diese 13. Monatsrente ausgerechnet in der sozialdemokratischen Regierungszeit abgeschafft wurde. 

Abschließend, der Vollständigkeit halber: Auch kleine Links-, Rechts- und Spaßparteien, sowie Einzel- und Minderheitenlisten werden am Stimmzettel aufscheinen. Alle sind laut Umfragewerten aber weit vom Parlamentseinzug entfernt.


Titelbild: Das Parlament in Budapest zur Morgendämmerung. Foto: Tibor Lezsófi auf Pixabay 

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