AktuellEuropaNachhaltigkeitStandpunkte

Hungerhilfe als trojanisches Pferd der europäischen Agrarindustrie

Gedanken zu Hunger in der Welt, Klimakrise, der Paradoxie unserer aktuellen Weltwirtschaft und einem Bedingungslosen Grundeinkommen.

Ein Gastkommentar von Ilse Kleinschuster

Wie paradox die Weltwirtschaft funktioniert beschreibt Tina Wirnsberger (Referentin für Klima, Frauenrecht und kleinbäuerliche Rechte bei FIAN Österreich) in ihrem Gastkommentar sehr anschaulich.

Aufmerksame Zeitgenossen wissen längst, dass nicht ein ‚zu wenig‘ an Nahrungsmitteln, sondern ein ‚zu viel‘ das globale Dilemma eines unfairen und nicht-nachhaltigen Ernährungssystems verursachen. Diesem katastrophalen Dilemma etwas entgegenzusetzen bemüht sich FIAN, die internationale Organisation für das Recht auf Nahrung mit ihren vielen Teilorganisationen in aller Welt und mit Beratungsstatus bei der UNO, schon sehr lang.

Es wäre daher jetzt höchst an der Zeit, dass die EU-Kommission mit ihrem Paket für den „Green Deal“ und für „next generation EU“ den Aufruf der europäischen Agrarindustrie zur „Hungerhilfe“ in die Schranken weist. Nicht erst der neueste Bericht des Weltklimarats (IPCC) sollte Regierungsverantwortliche aufhorchen lassen, wenn es dort heißt, dass eine „nicht nachhaltige landwirtschaftliche Expansion die Anfälligkeit der Ökosysteme und der Menschen erhöht“.

Wie sehr dieses Paradigma des Weiterproduzierens-von-Lebensmitteln-wie-bisher gescheitert ist, zeigt die steigende Zahl an Hungersnöten in vielen Teilen der Welt und sollte ein Beweis dafür sein, dass wesentliche Voraussetzung für langfristige Sicherheit vor Unterernährung und Hunger eine grundlegende Ernährungswende sein muss: „die Umstellung auf Agrarökologie und die Förderung von Ernährungssouveränität“ seien „der einzige Weg zu langfristiger Ernährungssicherheit,“ so der Bericht.

Nun ist mit dem letzten IPCC-Klimabericht vielen Menschen klar geworden, dass der Einsatz gegen die Klimakatastrophen gestärkt werden muss. In Österreich bilden sich immer mehr INITIATIVEN, die sich diesem Thema widmen. Es ist allerdings aus der Perspektive der uns nun mal zur Verfügung stehenden Ziele zu einer globalen, nachhaltigen Entwicklung – der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, den SDGs mit ihren vielen Unterzielen – wichtig, grundsätzlich zu verstehen, welche Bereiche näher zu untersuchen und zu berücksichtigen wären, wollten wir die Welt wirklich, wirklich verändern.

Mit diesem tiefergehenden Verständnis hat sich Harald J. Orthaber schon vor Jahren auf den Weg gemacht. Er hat mit seiner langjährigen, selbstständigen, wissenschaftlichen Arbeit ein geniales Konzept entwickelt, das – sobald als Projekt-in-progress verstanden und angenommen – vielleicht unsere Welt eher verändert könnte – by designe, not by desaster! – Auf mehreren Projektschienen will er – gemeinsam mit einem wachsenden Team und weiteren relevanten Kooperationspartnern die ihrerseits damit in Zusammenhang stehenden Teilprojekte (zB ProNaWi) und auch übergeordnete Projekte (zB FairNaWi-Wirtschaftsgemeinschaft) weiter verfolgen – dieser Vision in die Praxis verhelfen. Im Verlauf des Prozesses wird – oft für die Mitwirkenden selbst überraschend – im Zusammenhang mit anderen Alternativen eine Paradoxie aufgezeigt, die solchen Systemveränderungen infolge eines Perspektivenwechsels innewohnt. 

Die Paradoxie unserer aktuellen Weltwirtschaft

Das Projekt beruht letztlich auf einer progressiven Beschreibung einer gesellschafts- und finanzpolitischen Systemveränderung, in deren Verlauf die aktuelle Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) auch eine wesentliche Rolle spielt. Diese aus der Not vieler Menschen und ihrer Umwelt sich moralisch aufdrängende Systemveränderung bedeutet letztlich ein völliges ‚Auf-den-Kopf-stellen‘ der momentanen Gegebenheiten. Verändern müssten sich nicht nur unser gesellschaftliches Zusammenleben, sondern auch unsere relevanten Begriffe. Innovatives Denken steckt ja zunächst schon einmal in der Idee des BGE, wenn es als eine Entkoppelung von Erwerbsarbeit und Existenzsicherung gesehen wird. 

Noch weiter denkend – könnten wir uns nicht, anstatt eines BGEs, die Möglichkeit einer persönlichen Geldschöpfung – als verankertes Grundrecht – vorstellen? Die schöpferische Kraft, geht sie nicht meist von einzelnen Menschen aus!?! Geld würde dann jeweils von jenen geschöpft, die eine Arbeit verrichtet haben wollen. Das Geld erhalten aber jene, die arbeiten – ganz im Sinne des Allgemeinverständnisses einer gerechten Leistungszuteilung. Also genau verkehrt herum gedacht als es ein BGE den Menschen als leistungsloses Einkommen anbietet.

Der Effekt wäre paradoxerweise aber der gleiche. Es würde dadurch eine Grundversorgung für alle etabliert – und mehr noch – es wäre dann nicht das Geld, dem hinterhergelaufen wird, sondern sinnvolle, selbst- und fremd- erwünschte Arbeit, Kooperation. Diese Art Geldschöpfung wäre somit konkret arbeitsgebunden. Die leidige Finanzierungsfrage des BGE würde sich dann nicht mehr stellen. Aus dem Schuldgeld würde ein Wertschätzungsgeld, aus den Konkurrierenden um Erwerbsgeldbezüge (Löhne) würde eine Kooperation von Arbeitenden. Weiters würde – ja müsste – aus diesen Systemüberlegungen einer werterhaltenden Geldschöpfung, die Umrechnung in eine Währung eliminiert werden, um den Wert der Verrechnungseinheit unabhängig von der Geldmenge (inflationsfrei!) zu halten. Damit würde auf die stets stabile Basis der ArbeitsZEIT-Verrechnung zurückgegriffen, auf die ja letztlich jegliches menschliche Wirtschaftssystem zurückzuführen ist.

Und zu guter Letzt lässt sich dieses ursächliche System dann auch, mitunter aus pragmatisch-praktischen Gründen, wunderbar in das bestehende System kontinuierlich hineinschieben und somit realwirtschaftlich umsetzen. Dass anhand dieser monetären Systemumstellung zugleich auch die ökologische Lösung – ein nachhaltiger Lebensstil mittels eines ressourcenwirtschaftlichen Instruments – mit auf den Weg gebracht wird, wäre nicht nur ein besonderes Schmankerl, sondern dringliche Notwendigkeit. Ähnlich der zurzeit politisch angebahnten, ökosozialen Instrumente, wie einer Zertifikatzuteilung und anderer Handelsmöglichkeiten (um die Klimakatastrophe abzumildern!), würde so ein volkswirtschaftliches Recht auf gleichberechtigten Zugang zu Naturressourcen (Energie, Nahrungsmittel) geschaffen – nur mit dem Unterschied, dass alle Menschen direkt damit ausgestattet würden und somit quasi grundversorgt wären.

Dies ist also ein in sich geschlossenes Konzept, das Arbeit und Umwelt in einzigartiger Weise verbindet und das langfristig die Lebensqualität der Menschen und ihrer Umwelt sichert. Ich glaube, mithilfe der Umsetzung eines derartigen Konzepts müsste Hungerhilfe nicht länger ein trojanisches Pferd bleiben.


Dieser Beitrag erschien zuerst in leicht abgeänderter Form in der Onlineausgabe der Wiener Zeitung vom 28.04.2022 

Titelbild: Vince Veras auf Unsplash

DANKE, DASS DU DIESEN ARTIKEL BIS ZUM ENDE GELESEN HAST!

Unsere Zeitung ist ein demokratisches Projekt, unabhängig von Parteien, Konzernen oder Milliardären. Bisher machen wir unsere Arbeit zum größten Teil ehrenamtlich. Wir würden gerne allen unseren Redakteur*innen ein Honorar zahlen, sind dazu aber leider finanziell noch nicht in der Lage. Wenn du möchtest, dass sich das ändert und dir auch sonst gefällt, was wir machen, kannst du uns auf der Plattform Steady mit 3, 6 oder 9 Euro im Monat unterstützen. Jeder kleine Betrag kann Großes bewirken! Alle Infos dazu findest du, wenn du unten auf den Button klickst.

Unterstützen!

Artikel teilen/drucken:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.