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Den Mächtigen auf den Zahn gefühlt

Am 20. Juni 2022 übergab der belgische Ministerpräsident Alexander de Croo Vertretern der Demokratischen Republik Kongo einen Zahn. Einen mit einer Goldfüllung, um genau zu sein. Eben jene Goldfüllung soll belegen, dass es sich dabei um das Beißwerkzeug von Patrice Lumumba handelt, der 1961 von belgischen Söldnern im Auftrag der CIA ermordet worden war.

Von Andreas Pittler

Eigentlich hieß Patrice Lumumba, als er am 2. Juli 1925 in einem kongolesischen Dorf geboren wurde, Elias Okit-Asombo. Ob er sich selbst den Kampfnamen „Lumumba“, der in der Sprache der Batetele so viel wie „Team“ oder auch „Masse an Menschen“ heißt, gab, oder ob er ihm von seinen frühen Anhängern verliehen wurde, ist umstritten. Fakt ist hingegen, dass er schon in früher Jugend wegen Ungehorsam und progressiver Äußerungen der Schule verwiesen wurde. Er fand in dem Dorf Yangambi Anstellung als Postbeamter, wo er zunächst am Schalter Dienst tat, ehe er in Stanleyville für Postschecks zuständig war. Nebenher engagierte er sich in kulturellen Angelegenheiten und schrieb für diverse liberale Blätter.

Bald jedoch erkannte er, dass die belgischen Kolonialherren die einheimische Bevölkerung niemals als gleichwertig ansehen würde, weshalb er sich, beeinflusst durch die zentralafrikanische Revolutionärin und Theoretikerin Andrée Blouin (1921-1986) zu einer Art revolutionären Panafrikanismus hinentwickelte. Er begann, mit anderen führenden Kämpfern für ein freies Afrika wie Ghanas Kwame Nkrumah oder Guineas Ahmed Sekou Touré zusammenzuarbeiten und gründete 1958 die „Mouvement National Congolais“, die sich zum Ziel setzte, den Kongo aus den Klauen der belgischen Kolonialherren zu lösen.

Die Belgier versuchten zunächst, Lumumba durch nackte Gewalt zu besiegen. Oftmals wurde er inhaftiert, mehrmals gefoltert und diversen Attentaten ausgesetzt, ehe die Belgier, da sich ihre Niederlage abzeichnete, gezwungen waren, ausgerechnet mit ihm zu verhandeln. So wurde Lumumba im Januar 1960 freigelassen und nach Brüssel gebracht, wo an einem runden Tisch über die Unabhängigkeit des Kongos verhandelt wurde.

Teil der Vereinbarung für die Eigenstaatlichkeit war die Abhaltung demokratischer Wahlen nach westlichem Vorbild. Lumumbas MNC gewann diesen Urnengang überlegen, sodass Lumumba der erste Premier des neuen Staates wurde. Und er zeigte gleich beim Festakt zur formalen Übergabe der Souveränität, dass er nicht gewillt war, die westlichen Lügen unwidersprochen zu lassen. Als der belgische König etwas davon schwadronierte, dass die Weißen den Eingeborenen immerhin Zivilisation und Kultur gebracht hätten, wodurch diese jetzt in der Lage seien, sich selbst zu regieren, antwortete Lumumba gegen jede diplomatische Gepflogenheit mit der Wahrheit. Er sprach von „erniedrigender Sklaverei, die uns mit Gewalt auferlegt wurde. Wir haben zermürbende Arbeit kennengelernt und mussten sie für einen Lohn erbringen, der es uns nicht gestattete, den Hunger zu vertreiben, uns zu kleiden oder in anständigen Verhältnissen zu wohnen oder unsere Kinder als geliebte Wesen großzuziehen. Wir kennen Spott, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und nachts unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger waren.“ Und weiter: „Wir haben erlebt, wie unser Land im Namen von angeblich rechtmäßigen Gesetzen aufgeteilt wurde, die tatsächlich nur besagen, dass das Recht mit dem Stärkeren ist. Wir werden die Massaker nicht vergessen, in denen so viele umgekommen sind, und ebenso wenig die Zellen, in die jene geworfen wurden, die sich einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung nicht unterwerfen wollten.“

Es waren Reden wie diese, welche die Belgier und deren Schirmherren, die USA, sofort hellhörig werden ließen. Noch mehr alarmierte sie Lumumbas Ankündigung, er wolle die Bergbauunternehmen und die großen Plantagen verstaatlichen. Dies ließ für die Profitgier der Amerikaner nichts Gutes erwarten, denn der Kongo ist überreich an Bodenschätzen – Uran, Kupfer, Gold, Zinn, Cobalt, Diamanten, Mangan, Zink -, weshalb das Land niemals wirklich zur Ruhe kam, da diverseste Kapitalisten bis zum heutigen Tag versuchen, das Land für ihren eigenen Profit auszubeuten, wobei sie nach wie vor buchstäblich über Leichen gehen.

„Leiche“ war auch schnell das Stichwort bei den belgisch-amerikanischen Beratungen zum weiteren Vorgehen gegen Lumumba. Zunächst versuchte die CIA jene Methode, mit der sie bis zum heutigen Tag gegen ihr nicht genehme Persönlichkeiten vorgeht. Lumumba wurde desavoiert. Nicht nur, dass man ihn als Kommunisten und schwarzen Rassisten (!) darstellte, ihn als einen „Weißenfresser“ (unnötig darauf hinzuweisen, welche Bilder mit einem solchen Wort transportiert werden sollten) bezeichnete, man versuchte ihn zudem als korrupt, unfähig und sogar „triebhaft“ darzustellen. Bereits im Juli 1960, nicht einmal zwei Monate nach Lumumbas Wahlsieg, wurde von US-Präsident Eisenhower die tatsächliche Ermordung Lumumbas als eine der möglichen Varianten zur Beseitigung des beliebten Staatsmannes ins Spiel gebracht. Vorerst versuchte man es aber noch mit einem Konzept, das in den letzten Jahren ja auch in Serbien, in Kirgisien oder – mehrmals – in der Ukraine angewandt wurde. Die CIA bestach kongolesische Politiker, bezahlte einfach Leute dafür, gegen Lumumba zu demonstrieren und behauptete eine politische Krise, da das demokratische Volk des Kongo seinen „Diktator“ gestürzt sehen wolle.

Nachdem das kongolesische Parlament Lumumba am 12. September 1960 mit großer Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen hatte, kaufte sich die CIA den – später als besonders korrupt und blutrünstig bekannten – Stabschef der kongolesischen Armee, Joseph Mobutu, der in der Folge bis 1997 das Land diktatorisch beherrschen sollte und seinem Namen übrigens „Sese Seko“ hinzufügte, was frei übersetzt so viel bedeutet, wie „der, der immer kann“, was sich freilich mehr auf die vorgebliche sexuelle Potenz als auf die politische Omnipotenz bezog. Zwei Tage später putschte Mobutu, Lumumba musste sich unter den Schutz der UNO flüchten.

Als Lumumba im November 1960 das UNO-Camp verließ, wurde er sofort von den Truppen Mobutus verhaftet, ab diesem Zeitpunkt gehen die Aussagen über den weiteren Verlauf der Ereignisse auseinander. Der offizielle westliche Narrativ stellt die Behauptung auf, Lumumba sei Anfang Januar 1961 die Flucht gelungen, woraufhin er in Katanga untergetaucht und von der dortigen Bevölkerung in ihrem berechtigten Zorn gelyncht worden sei. Erst knapp 40 Jahre später konnte ein objektiver und wissenschaftlich fundierter Untersuchungsbericht (er hat fast 1.000 Seiten) an die Öffentlichkeit gebracht werden, der mit dieser amerikanisch-belgischen Legende hart ins Gericht geht.

In Wahrheit war Lumumba unmittelbar nach seiner Festnahme schwer gefoltert worden. Mobutu und seine Verbündeten brachten Lumumba in eine Waldhütte, wo er seinen politischen Gegnern überlassen wurde. Diese folterten Lumumba abermals, ehe ihn ein belgisches Militärkommando exekutierte. Es gilt mittlerweile als erwiesen, dass König Baudouin von Belgien über die geplante Vorgangsweise Bescheid wusste und sie auch billigte, wobei es ebenso als gesichert gilt, dass der König weder die Regierung noch gar die Volksvertretung über diese Pläne informiert hatte. Um die erfolgte Ermordung zu vertuschen, wurde Lumumbas Leichnam in Stücke gehackt, die anschließend in Batteriesäure – welche die belgische Minengesellschaft zur Verfügung stellte – aufgelöst wurden. Danach ließ man beinahe vier Wochen verstreichen, ehe man das Gerücht mit der Lynchjustiz in die Welt setzte.

Lumumbas Tod sorgte für einen Aufschrei in der progressiven Welt. Jean Paul Sartre würdigte ihn als einen Visionär, der auch nach seinem Tod ganz Afrika inspiriere. In der Sowjetunion und in der DDR wurden Bildungseinrichtungen, Gewerkschaftsheime, Straßen und Plätze nach ihm benannt, Dichter schrieben Werke über ihn, Miriam Makeba widmete ihm einen eigenen Song. Und die fortschrittliche Jugend stellte dem „Cuba Libre“ ein eigenes, nach Lumumba benanntes Getränk entgegen, das aus heißem Kakao, Rum (oder auch Grappa bzw. Amaretto) und Schlagobers besteht. Ironischerweise wurde zuletzt gerade dieser „Lumumba“ von besonders einfältigen „Wokes“ kritisiert, weil ihre Bildung nicht ausreichte, den Hintergrund für die Benennung zu kennen und ihnen allein schon die Kombination – dunkel und besoffen – als eine Beleidigung der Schwarzen erscheint.

Der Kongo versank nach Lumumbas Tod in einer ebenso furchtbaren wie blutigen Diktatur, gegen die sich immer wieder entschlossene Kräfte auflehnten. So gründete einer von Lumumbas Anhängern, Laurent Kabila, eine eigene Partisanentruppe, die nach dem Vorbild der kubanischen Barbudos die Diktatur Mobutus aufrollen sollte. Dabei konnte Kabila das Vorbild gleich aus nächster Nähe studieren, denn niemand Geringerer als Che Guevara kämpfte neun Monate lang an der Seite von Kabilas Guerilleros gegen Mobutu. Doch es sollte 30 weitere Jahre, bis 1997, dauern, ehe die Herrschaft desjenigen, der angeblich immer konnte, gebrochen war. Kabila wurde zum ersten demokratischen Staatsoberhaupt in der Geschichte des Landes, fiel jedoch 2001 einem Attentat zum Opfer. Seitdem tobt in dem an sich so reichen Land permanent Krieg, was dazu führte, dass mittlerweile Infrastruktur, Verwaltung und Wirtschaft vollkommen zerfallen sind. Weder gibt es ansprechende Gesundheitsversorgung, noch genügend Nahrung für die Bevölkerung. Ausländische Mächte wie Uganda und Ruanda, lokale Warlords, aber auch westliche Söldner mischen kräftig mit und beuten das rohstoffreiche Land systematisch aus, ohne dass auch nur die kongolesische Regierung, geschweige denn das kongolesische Volk etwas davon hätte.

So eskalierte seit Sommer 2007 der permanente Konflikt in den sogenannten „dritten“ Kongokrieg, der mittlerweile nicht nur entlang weltanschaulicher Differenzen verläuft, sondern zunehmend auch durch Stammesrivalitäten gekennzeichnet ist. Der Gegensatz zwischen Hutu und Tutsi, der Ende des 20. Jahrhunderts im benachbarten Ruanda zu trauriger Berühmtheit gelangte, er tobt auch im Kongo in zunehmender Härte.

Gegenwärtig operieren auf dem Staatsgebiet der „Demokratischen Republik Kongo“ mehrere Dutzend bewaffneter Gruppierungen, deren Stärke von weniger als hundert Mann bis zu mehreren tausend Kämpfern reicht. Die Grenzen – und damit auch die Frontlinien – sind fließend, da immer wieder nennenswerte Kontingente einer Gruppierung zu einer anderen überlaufen, sich Einheiten, die eben noch verbündet waren, plötzlich bekriegen, Abkommen ebenso schnell gebrochen wie abgeschlossen werden. Insgesamt muss der Kongo als einer der zahlreichen failed states angesehen werden, in dem täglich hunderte Menschen sterben, auch wenn davon in den westlichen Medien naturgemäß nicht berichtet wird. Und die einseitige Ausrichtung der reichen Staaten der Erde auf die ausschließliche Unterstützung der Ukraine bedeutet real eine weitere Verschlechterung der Lage im Kongo, da nun noch weniger Hilfsgelder und Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Joseph Conrad nannte den Kongo einst das schwarze Herz Afrikas. Derzeit ist jedenfalls die Zukunft des Kongo schwarz. Rabenschwarz, um genau zu sein.

Und was hat es nun mit dem Zahn auf sich, der mit nachgerade militärischen Ehren restituiert wurde? Einer der Schergen, die Lumumbas Leiche vernichteten, konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich ein „Souvenir“ mitzunehmen, denn immerhin war Lumumba zu seiner Zeit fast so bekannt wie Che Guevara. Er brach also das Beißerchen aus dem Gebiss des Toten und nahm es mit ins heimatliche Belgien, wo es bis zu seinem Tod 2000 in seinem Besitz blieb. Kurz zuvor hatte er die Geschichte jedoch öffentlich gemacht, sodass die belgischen Behörden den Zahn beschlagnahmten und einmotteten. Erst, als Lumumbas Tochter 2020 den belgischen Staat auf Herausgabe des Überbleibsels ihres Vaters klagte, kam Bewegung in die Sache. Die letzte Erinnerung an den Freiheitskämpfer und Staatsgründer Patrice Lumumba soll nun, so heißt es, in einem Mausoleum in Kinshasa aufbewahrt werden.

P.S.: Ob es sich bei besagtem Goldzahn wirklich auf einen Bestandteil des Körpers von Lumumba handelt, ist nicht zu beweisen. Ein DNA-Test ist nämlich ob der extremen Porösität des Zahnes nicht durchführbar. Aber ein Symbol bleibt der Zahn allemal. Ein Symbol, eine Mahnung und ein Auftrag.


Titelbild: Harry Pot, CC0, via Wikimedia Commons

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