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Todesstrafe in Japan, oder: Gesetzliche Grausamkeit

Japan, die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt, gehört zu den wenigen Demokratien, die an der Todesstrafe festhalten. Nun ist der Justizminister zurückgetreten. An der Hinrichtungs-Praxis wird sich auch künftig nichts ändern – ein Thema beim 8. Weltkongresses gegen die Todesstrafe, der am Dienstag in Berlin beginnt.

Von Helmut Ortner 

Tokyo, ein milder, blauer Samstag, der 17. Dezember 2017. Als Gastreferent bin ich bei der fünfjährigen Jubiläumsveranstaltung der ERCJ – Education and Research Center of Criminal Justice and Juvenile Justice eingeladen. Vor einem interessierten Fachpublikum aus Richterschaft, Strafrechts-Wissenschaftlern und Bewährungshelfern spreche über die Todesstrafe, über den weltweiten Rückgang dieser archaischen Strafe und über die moralische Verpflichtung, die Todesstrafe abzuschaffen ­– auch in Japan.

Während wir an diesem Sonntagnachmittag im Anschuss an mein Plädoyer – zwar mühsam, aber immerhin – diskutieren, werden nur wenige Kilometer vom Tagungsort entfernt, letzte Vorbereitungen für zwei Hinrichtungen getroffen. Keine 48 Stunden später ist es offiziell: Ungeachtet internationaler Kritik hat die Regierung Japans ihre Zustimmung zur Vollstreckung zweier Todesurteile gegeben. Zwei wegen Mordes wurden gehängt. Einer der beiden Verurteilten war zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt und damit nach japanischem Recht noch minderjährig. Es war es die erste Hinrichtung eines Verurteilten, der die Tat als Minderjähriger begangen hatte, seit 20 Jahren. In den japanischen Medien finden die Hinrichtungen keine besondere Erwähnung, allenfalls kurze Berichte, aber keine Kommentare oder gar kritische Statements. Die Politik schweigt, auch aus der Richterschaft ist Protest kaum wahrnehmbar, ebenso wenig von japanischen Strafrechtler*innen.

Das japanische Recht sieht die Todesstrafe für 18 Straftaten vor. Dazu gehören dreizehn im Strafgesetzbuch (Keihô) definierte Verbrechen wie zum Beispiel Mord, Raub mit Todesfolge, Vergewaltigung, wenn sie zum Verlust von Menschenleben führt, Brandstiftung mit Todesfolge sowie Verbrechen gegen den Staat. Zwingend ist die Todesstrafe lediglich vorgeschrieben für den Straftatbestand der Unterstützung einer feindlichen Invasion, ansonsten können die Gerichte bei Vorliegen bestimmter strafmildernder Umstände auch auf lebenslangen oder befristeten Freiheitsentzug erkennen. Seit 1967 ist die Todesstrafe ausschließlich für Mord, Raubmord und Sprengstoffanschläge mit Todesfolge ausgesprochen worden.

Laut einem Bericht von Amnesty International formulierte der Oberste Gerichtshof im Frühjahr 1987 eine Reihe von Kriterien, die bei der Verhängung der Todesstrafe Berücksichtigung finden müssen: So ist von Bedeutung, ob mehr als eine Person getötet wurde, der Mord besonders grausam gewesen ist, der Mörder Reue zeigt und die Familie des Opfers ihm verzeihen kann.

Der Tod am Strang ist verfassungskonform

Die Justiz-Wirklichkeit: 2014 ergingen zwei Todesurteile, 2015 vier, 2016 und 2017 jeweils drei, 2018 vier, 2019 zwei, 2020 und 2021 jeweils drei. Ende 2021 befanden sich 117 Menschen im Todestrakt, darunter sechs ausländische Staatsbürger und sieben Frauen. Bei nahezu allen Gefangenen ist das Todesurteile bereits bestätigt worden und somit rechtskräftig. Die Hinrichtungen werden durch den Strang vollzogen. Sie finden in speziellen Hinrichtungskammern statt, die in sieben dafür vorgesehenen Haftzentren des Landes angesiedelt sind. Als Henker fungieren drei Gefängniswärter. Der Mechanismus, der die Falltür unter dem Galgen öffnet, wird über einen Knopf in einem Raum abseits der Hinrichtungskammer ausgelöst. Insgesamt gibt es drei dieser Knöpfe, jedoch nur einer löst die Falltür aus. Drei Beamte drücken gleichzeitig die Knöpfe. Der Delinquent fällt an seinem Strick in die Tiefe, dadurch bricht sein Genick. Wer den Tod des Verurteilten ausgelöst hat, bleibt unklar. Keiner muss sich schuldig fühlen. Am 31. Oktober 2011 urteilte ein Bezirksgericht in Osaka, die Hinrichtungsmethode durch Erhängen sei verfassungskonform. Tod im Namen der Gerechtigkeit.

Schon Anfang Oktober 2016 hatten sich der Bund der japanischen Anwaltskammern erstmals klar gegen die Todesstrafe positioniert. Die Anwalt-Vereinigung forderte von der Regierung, eine lebenslange Haftstrafe einzuführen und damit die Todesstrafe zu ersetzen. Der Verband der Rechtsanwälte erinnerte daran, dass Japan eine der niedrigsten Mordraten der Welt aufweise und insofern keine Notwendigkeit für die Todesstrafe – etwa als Abschreckung ­–  bestehe. Als weitere Begründung wurden auch das Risiko von Fehlurteilen angeführt. Im Dezember 2011 entschied sich die Vereinigung der Rechtsanwaltskammern in Japan für die Gründung eines Ausschusses, um sich weiter für die Abschaffung der Todesstrafe einzusetzen. „Die Abschaffung der Todesstrafe zu einem weltweiten Trend geworden ist, der sich nicht erschüttern lässt. Jetzt ist es an der Zeit, eine gesellschaftliche Debatte über ihre Beendigung zu beginnen“, hieß es in einer Erklärung. Trotz aller Eingaben und Reformbestrebungen – alles blieb, wie es war. Die Politik, allen voran die Justizminister, zeigten nur wenig Interesse und noch weniger Bereitschaft, das Thema Abschaffung der Todesstrafe auf die politische Agenda zu setzen.

Buchcover von "Ohne Gnade"
Mehr über die Geschichte der Todesstrafe findet sich im Buch „Ohne Gnade“ von Helmut Ortner.

Keine Signale, an der bisherigen Hinrichtungspraxis etwas zu ändern

Tatsache ist: Auch die Mehrheit der japanischen Bevölkerung will auf die Todesstrafe nicht verzichten. Japan, die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt, gehört neben den USA weiterhin zu den wenigen Demokratien, die an der Todesstrafe festhalten. Menschenrechtsaktivisten prangern seit Langem den Umgang mit Hinrichtungen sowie deren Haftbedingungen an. Als besonders grausam kritisieren sie, dass den Todeskandidaten der Zeitpunkt ihrer Hinrichtung nicht mitgeteilt wird. Die zum Tode Verurteilten leben oft jahrelang in Einzelhaft. Wenn dann schließlich der Exekutionsbefehl des Justizministers eintrifft, haben die meisten nur noch wenige Stunden zu leben. Die Gefangenen müssen in ständiger Angst leben, dass der nächste Tag ihr letzter sein kann.

Im Juli 2022 forderte die katholische Kirche in Japan die Abschaffung der Todesstrafe: „Die Gewalt der Todesstrafe kann niemals eine friedliche Gesellschaft aufbauen“, heißt es in einem Brief mehrerer katholischer Bischöfe an den damaligen Justizminister Yoshihisa Furukawa. Die Todesstrafe sei ein „Angriff auf die Unverletzlichkeit und Würde der Persönlichkeit“ und daher „inakzeptabel“, so eine Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der japanischen katholischen Bischöfe. Der Appell war eine unmittelbare Reaktion auf die Hinrichtung eines 9-jährigen Mehrfach-Mörders, der am 26. Juli 2022 gehängt wurde. Es wird nicht die letzte Hinrichtung gewesen sein. Änderungen sieht nicht in Sicht. Von Seiten der Politik gibt es bislang keine klaren Signale, an der bisherigen Hinrichtungspraxis etwas zu ändern.

Auch nicht ein Nachfolger von Justizminister Yasuhiro Hanashi, der mit einer Aussage in Japan gerade Aufsehen erregt hat: „Ich habe einen anspruchslosen Posten, bei dem ich nur dann an die Spitze der Mittagsnachrichten komme, wenn ich morgens meinen Stempel auf einen Vollstreckungsbefehl setze”, hatte der Minister gegenüber Parteikollegen geäußert. Der Job helfe weder viel Geld noch Wählerstimmen zu sammeln. Dies wurde als Herabwürdigung der Rolle des Justizministers bei der Genehmigung von Hinrichtungen von Todeskandidaten angesehen. Der Minister musste umgehend zurücktreten, auf Form und Rituale legen die Japaner besonderen Wert. Das Thema Todesstrafe aber spielte einmal mehr nur eine marginale Rolle. Wieder einmal.

Beim Kongress in Berlin, auch gedacht als Impuls für Staaten, die erwägen, die Todesstrafe abzuschaffen, wird auch über Japan zu sprechen sein: eine der zwei Demokratien der Welt, in der die Todesstrafe noch vollstreckt wird. Neben den USA. Die Versuche der deutschen Regierung, US-amerikanische Vertreter zur Teilnahme zu bewegen, blieben allerdings ohne Erfolg.


Buchhinweis:
HELMUT ORTNER – OHNE GNADE. Eine Geschichte der Todesstrafe
Nomen Verlag, 230 Seiten, 22 Euro

Titelbild: Roméo A. auf Unsplash

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