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Costa Rica: Ein Land ertrinkt in Gift

Atemberaubende Natur, riesige Artenvielfalt – und jede Menge Gift. Beim Pestizideinsatz liegt das Naturparadies Costa Rica ganz weit oben.

Von Giorgio Trucchi (Pressenza / NPLA)

Costa Rica gehört zu den Ländern mit dem höchsten Pestizideinsatz auf dem amerikanischen Kontinent. Eine kürzlich vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) veröffentlichte Studie des Agrarwissenschaftlers Elidier Vargas Castro zeigt, dass Costa Rica weit mehr Pestizide einsetzt als die anderen amerikanischen Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die meisten der eingesetzten Giftstoffe gelten als hochgefährlich.

Nach offiziellen Angaben der Staatlichen Pflanzenschutzbehörde liegt der sogenannte Hektaraufwand (l/ha), also die pro Hektar eingesetzte Menge an Pestiziden, in Costa Rica im Durchschnitt zwischen 10 und 11,5 Kilogramm. Länder wie Kanada, den Vereinigten Staaten, Mexiko, Chile und Kolumbien, die ebenfalls der OECD angehören, oder Ecuador, Honduras und Guatemala, die ähnliche landwirtschaftliche Bedingungen aufweisen, verbrauchen durchschnittlich 2 kg. 

Die Zahlen, die das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen einbringt, sind noch alarmierender. Laut UNDP-Erhebungen wurden in Costa Ricas im Zeitraum 2012–2020 im Durchschnitt über 34 kg I/ha eingesetzt. Die Diskrepanz ist allerdings auf einen Unterschied in den Berechnungen zurückzuführen: Das Pflanzenschutzamt berücksichtigt die gesamte Aussaatfläche auf nationaler Ebene (Acker- und Weideland), während das UN-Programm nur die Anbauflächen berücksichtigt.

Hochgefährliche Pestizide

93 Prozent der Wirkstoffe gelten dabei als hochgefährlich. Mindestens 80 von ihnen werden mit akuten Auswirkungen auf den Menschen in Verbindung gebracht. Etwa die Hälfte ist in der EU verboten, und mehr als zwei Drittel gelten als krebserregend. 119 ausgeschüttete Moleküle wirken sich schädigend auf Tiere, insbesondere Bienen, und Ökosysteme aus. Mehr als 60 Prozent sind in Europa verboten. Die meistgenutzten Pestizide in Costa Rica sind Mancozeb, Glyphosat, Paraquat, Chlorothalonil, Ethoprophos, Diazinon und 2,4-D.

Die Situation hat auch wirtschaftliche Folgen für den costa-ricanischen Staat: Die Steuerbefreiung beim Kauf von Pestiziden beläuft sich pro Jahr auf 22 und 36 Millionen US-Dollar entgangene steuerliche EinnahmenGesundheitliche Folgeschäden erzeugen derzeit Kosten von mindestens neun Millionen Dollar.

Im Zeitraum 2012–2020 wurden im Durchschnitt jährlich schätzungsweise 18,3 Tausend Tonnen Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft eingesetzt. Der Studie zufolge sind vor allem Landwirtschaftsarbeiter*innen und die ländliche Bevölkerung davon betroffen (durchschnittliche Aussetzung von 74 kg/l pro Person), gefolgt von Oberflächengewässern und Lebensmitteln. 2020 war der Einsatz von Pestiziden bei Bananen am höchsten, dicht gefolgt von Ananas, Reis, Kaffee und Zuckerrohr.

Falsches Paradigma

In Costa Rica herrscht eine unerträgliche Doppelmoral im Hnblick auf Umwelt und Natur“, empört sich Clemens Ruepert, Forscher und Umwelttechniker am Regionalen Institut für Studien über Toxische Substanzen der Universidad Nacional (IRET-UNA). „Die große Ausdehnung der Landwirtschaft auf agroindustrielle Monokulturen, insbesondere Bananen, Ananas und Zuckerrohr, führt zu einem massiven Einsatz von Pestiziden und einem zunehmenden Verlust an biologischer Vielfalt“.

Ruepert zufolge wird die Situation durch das falsche Paradigma verschärft, dass solche Praktiken unerlässlich für die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Wirtschaftswachstum des Landes seien. „Es gibt genügend Daten, die das Gegenteil beweisen. Hinzu kommen enorme Kosten, die der Staat für die Umweltverschmutzung und die Auswirkungen auf Mensch und Tier zu tragen hat“. 

Vor dem Hintergrund der fast völligen Missachtung der Arbeits- und Gewerkschaftsrechte der zigtausend Beschäftigten im Agrarsektor ergibt sich die Situation einer tickenden Zeitbombe. Die Bombe ist dabei zu explodieren. Leider sind hier wichtige Interessen im Spiel. Und so wird allenthalben, auch seitens der Behörden, alles mögliche getan, um einen anderen Eindruck zu vermitteln“, warnt Ruepert.

Soziale Verbände, Initiativen und Gewerkschaften müssten aktiver und sichtbarer nach außen gehen, um mehr Menschen zu erreichen, Informationen zu verbreiten und ihre Mitglieder entsprechend zu schulen. „Das ist der einzige Weg, einen Wandel zu erzielen. Wir stehen auf derselben Seite. Diesen Kampf müssen wir gemeinsam führen“, so sein Fazit.


Dieser Beitrag erschien am 27.11.2022 auf npla.de, lizensiert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international. Originalartikel: pressenza.com/es

Titelbild: Arturo Sotillo via flickrCC BY-SA 2.0

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