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Arbeit für die Tonne

Über die Zunahme sinnentleerter Jobs in den vergangenen Jahrzehnten und deren ökonomische und mentale Auswirkungen auf die Menschen, die sie ausüben. – Sonntag ist Büchertag

Von Cornelia Stahl (kritisch-lesen.de)

Buchcover
David Graeber – Bullshit Jobs (Klett-Cotta-Verlag)

Immer vielseitiger werden unsere Jobs. Finanzdienstleistungen, Telefonwerbung, Hochschul- und Gesundheitsverwaltung, Personalwesen, Public Relations deuten an, wie groß das Berufspektrum heutzutage ist – und wie problematisch. „Es ist, als würde sich irgendjemand sinnlose Tätigkeiten ausdenken, nur damit wir ständig arbeiten“ (S. 15), so der Anthropologe David Graeber. Denn was sich hier aufdrängt, ist die Frage: Wie zufrieden bin ich eigentlich mit meiner Arbeit? Finde ich meinen Job sinnvoll? Eine zunehmende Zahl von Menschen kann diese Frage leider nur verneinen und ist zutiefst unzufrieden mit dem eigenen Job. „Ein Drittel unserer Jobs ist sinnlos“, resümierte David Graeber noch 2018 in einem Interview mit der österreichischen Zeitung Der Standard.

In die Tiefen dieses sinnlosen Arbeitsirrsinns begleitet uns Graeber 2018 in seinem Buch „Bullshit-Jobs“, das inzwischen so etwas wie einen Klassiker der Anthropologie zeitgenössischer Arbeit geworden ist. In diesem Text stellt er in sieben Kapiteln Beispiele sinnentleerter Jobs und deren persönliche und gesellschaftliche Auswirkungen vor, beleuchtet dabei die Außenperspektive, kategorisiert Typen von sogenannten Bullshit-Jobs, zeigt aber auch auf, wie sich Menschen fühlen, die in einem Bullshit-Job tätig sind. Er markiert dabei schonungslos Formen der seelischen Gewalt. Doch Graeber belässt es nicht bei einer bloßen Beschreibung, sondern geht den Gründen für die stetige Vermehrung von Bullshit-Jobs nach und der Frage, wie sie finanziert werden. Und fragt schließlich, wie Alternativen zu bestehenden sinnentleerten Jobs aussehen könnten?

Arbeit ohne Wert

Ist meine Arbeit sinnvoll oder Bullshit und wie lässt sich das bewerten? Graeber schreibt dazu:

„Das eigentlich heikle Problem stellt sich erst, wenn es darum geht, ob bestimmte Formen der Arbeit (beispielsweise Telefonwerbung, Marktforschung und Beratung) Bullshit sind, das heißt, ob man von ihnen behaupten kann, dass sie irgendeinen positiven gesellschaftlichen Wert produzieren.“ (S. 43)

Und die Einschätzung dazu kommt am besten von den Menschen, die solche Tätigkeiten ausführen. Denn ihnen ist oft bewusst, wie nutzlos ihre Arbeit für das Wohlergehen der Welt ist. Anders sieht es weiter oben auf der Karriereleiter aus: „Unternehmenslobbyisten oder Finanzberater [sind möglicherweise] tatsächlich Anhänger einer Theorie der gesellschaftlichen Werte nach der ihre Arbeit für die Gesundheit und das Wohlergehen der Nation unentbehrlich sind.“ (ebd.) Wer also führender Teil einer Unternehmensstruktur ist, stellt diese nicht mehr infrage, da er oder sie selbst materiell und im beruflichen Ansehen immens von diesen Strukturen profitiert.

Aber oft sitzen Menschen in Bullshit-Jobs abwartend herum. Eigentlich könnten sie die freie Zeit während der Arbeit für andere, sinnvollere Dinge nutzen. Aber, „[w]arum führt eine sinnlose Tätigkeit so regelmäßig dazu, dass Menschen sich elend fühlen?“ (S. 117) Man könnte doch annehmen, dass Menschen, die für ihr Nichtstun bezahlt werden, besonders glücklich sind. Doch das Gegenteil ist der Fall: Viele fühlen sich wertlos, deprimiert und unglücklich.

Graeber stellt Menschen wie Eric vor, der als Interface-Administrator in einem Designunternehmen arbeitet und die Arbeit verschiedener Filialen in Großbritannien aufteilen soll. Seine Arbeit war „Flickschusterei“ – wie Graeber dies nennt – für ein internes Kommunikationsproblem auf der Führungsebene, bei der „die Partner nicht in der Lage waren, zum Telefon zu greifen und sich untereinander abzustimmen“. (S. 120) Bullshit-Jobs sorgen zwar für ein finanzielles Auskommen, jedoch höhlen sie Menschen von innen aus. Und das ist kräftezehrend und seelisch zermürbend. Wo das Prinzip der Selbstwirksamkeit, also das Gefühl, etwas bewirken zu können, fehlt, da fehlt auch der Sinn. Und Fragen nach einem Sinn im Leben sind nun einmal eng an Fragen einer Sinnhaftigkeit beziehungsweise Sinnstiftung in der Arbeit geknüpft.

Indifferenz der Gesellschaft

Einen Grund für den Anstieg von Bullshit-Jobs sieht Graeber in der Finanzbranche, in der sinnentleerte Tätigkeiten nach wie vor anwachsen: „Lakaienstellen werden geschaffen, weil die Inhaber von Machtpositionen in einem Unternehmen ihre Untergebenen für ein Statussymbol halten“ (S. 243) Je mehr Untergebene ich habe, desto höher ist mein Status im Unternehmen selbst. Dem Autor geht es in seinen Ausführungen nicht nur um das Aufzeigen von irren Alltagsdetails aus dieser Branche, sondern auch um eine gewisse Haltung und Moralvorstellung seitens der Arbeitgeber*innen, also um Manager*innen, die „stolz darauf sind, mit welcher Rücksichtslosigkeit sie andere Unternehmen übernommen haben und sie im Namen von Gesundschrumpfung und Effizienz mit gewaltigen Schulden belasten. Die gleichen Manager sind auch stolz auf ihren aufgeblasenen Personalbestand.“ (S. 257f.)

Dieser Umstand geht zu Lasten der Psyche der Beschäftigten, wie Graeber an vielen anschaulichen Beispielen herausstellt. Doch warum haben wir als Gesellschaft eigentlich nichts gegen das Wachstum sinnloser Beschäftigung einzuwenden? Graeber konstatiert, dass wir es bisher noch nicht erlebt haben,

„dass Politiker sich abschätzig über Bullshit-Jobs geäußert hätten, dass wissenschaftliche Tagungen der Frage nachgegangen wären, warum die Bullshit-Jobs sich vermehrt haben, dass Meinungsartikel die kulturellen Auswirkungen von Bullshit-Jobs erörtert hätten oder dass Protestbewegungen auf die Straße gehen würden, um sie abzuschaffen. […] Warum fahren wir die globale Arbeitsmaschine nicht herunter?“ (S. 281f.)

Graeber ist davon überzeugt, dass wir mit weniger Arbeitszeit, mit circa 15 bis 20 Arbeitsstunden pro Woche auskommen würden. Aber wir haben „als Gesellschaftskollektiv entschieden, dass es besser ist, wenn Millionen Menschen viele Jahre ihres Lebens so tun, als würden sie etwas in Tabellenkalkulationen eintragen oder als geistige Landkarten für PR-Meetings vorbereiten.“ (S. 282) Dem müsse mit einer Anti-Bullshit-Kampagne entgegengetreten werden. Es bedarf überhaupt einmal eines gesellschaftlichen Bewusstseins für die Problemlage. Und Graeber geht hier noch weiter, in dem er „ein vollständiges Grundeinkommen“ fordert, das den Zwang zum Arbeiten völlig beseitigen“ (S. 401) würde. Ob das schon die Lösung des Problems darstellen kann, ist fraglich. Eine größere Empathie für Arbeiter*innen in Bullshit-Jobs einzufordern, ist wichtig, aber eine Überwindung des finanzialisierten Kapitalismus bleibt unerlässlich. Den Finger in eine Wunde kapitalistischen Wirtschaftens zu legen, Arbeiter*innen eine Stimme zu geben und die Einführung des Kampfbegriffs Bullshit-Job, sind die Verdienste dieses wichtigen Buches.


David Graeber 2023: Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit.
Übersetzt von: Sebastian Vogel. 6. Auflage.
Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart.
ISBN: 978-3-608-98245-9.
464 Seiten. 15,00 Euro.

Dieser Beitrag wurde am 11.04.2022 auf kritisch-lesen.deKooperationspartner von Unsere Zeitung, unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen zu nicht kommerziellen Zwecken.

Titelbild: Elisa Ventur auf Unsplash

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