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Guantánamo-Vergleich zulässig: Wie das ICMPD mit Klage gegen Kid Pex scheiterte

Hoch her ging es vergangene Woche beim Prozess gegen Petar Rosandić alias Kid Pex. Das ICMPD von Michael Spindelegger klagte ihn – und scheiterte. Eine Anhalte-Einrichtung in Bosnien als österreichisches Guantánamo zu bezeichnen, sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. “Das ist ein richtungsweisendes Urteil für Österreich”, sagt er zu MOMENT.at. Laut ihm sollte die Klage vor allem eines: einschüchtern. Ausgestanden ist die Geschichte für Kid Pex aber wohl noch nicht. Und in Betrieb gehen soll die Hafteinheit nun doch.

Von Andreas Bachmann (MOMENT)

Petar Rosandić ist entspannter. Jetzt, wo alles erstmal vorbei ist. Am Telefon spricht er mit MOMENT.at über das, was zwei Tage vorher am Wiener Handelsgericht ablief. Rosandić – vielen wohl besser bekannt als Rapper Kid Pex – musste dort am Dienstagnachmittag als Beklagter in einem völlig überfüllten Verhandlungssaal Platz nehmen.

Ihm gegenüber: Das International Centre for Migration and Policy Development, kurz ICMPD. Die vom ehemaligen Vizekanzler und ÖVP-Chef Michael Spindelegger geleitete Organisation hatte ihn und seine NGO SOS Balkanroute geklagt. Sie warf ihm Ehrenbeleidigung und Kreditschädigung vor.

Verurteilung hätte Kid Pex ruiniert

Rosandić und SOS Balkanroute hatten sich in Pressemitteilungen und Tweets kritisch zu dem umstrittenen Neubau einer „Anhalte-Einrichtung“ im bestehenden Flüchtlingslager Camp Lipa in Bosnien-Herzegowina geäußert. ICMPD kümmerte sich um dessen Bau. Bis zu zwölf Personen sollen dort untergebracht werden können. Auch wegen der Aufregung um den Neubau, steht es leer. Von innen gesehen hat es bisher kaum jemand.

„Unser Druck und unsere Veröffentlichungen waren entscheidend für die Absage des Projekts“, sagt Rosandić. Schon im Gespräch mit MOMENT.at ahnte er, dass es dabei nicht bleiben wird. Kurz darauf bestätigte das ICMPD am Donnerstag: Die Hafteinheit werde nun doch bald in Betrieb gehen.

Anstoß für die Klage war vor allem ein Tweet von Rosandić: „So sieht das österreichische Guantánamo aus“, schrieb er auf Twitter. Er ist oft vor Ort im Camp Lipa. Das ICMPD klagte auf Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung und rief einen Streitwert von 34.100 Euro plus 21.000 Euro Rechtsanwaltsgebühren aus. Wenn es schlecht für ihn ausgegangen wäre, „hätte mich das finanziell ruiniert“, sagt Rosandić zur Klage. Aber es ging nicht schlecht für ihn aus: Am Ende der vierstündigen Verhandlung wies Richter Pablic die Klage am Dienstagabend ab.

ICMPD kündigt Berufung an, und zögert jetzt

Rosandić und SOS Balkanroute durften die innerhalb des Flüchtlingslagers nahe der Grenze zu Kroatien stehende „Anhalte-Einrichtung“ mit Guantánamo gleichsetzen. Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Ursula Zeller, Anwältin der klagenden ICMPD kündigte an, in Berufung zu gehen. Ganz ausgemacht scheint das aber noch nicht: „Wir werden darüber nach Sichtung des schriftlichen Urteils endgültig entscheiden“, sagt Bernhard Schlagl, Sprecher der Spindelegger-Organisation, am Donnerstag zu MOMENT.at.

Das Interesse am Prozess war groß. Der Verhandlungssaal war restlos belegt. Viele weitere, die draußen warteten, wurden nicht in den Saal gelassen. Ein halbes Dutzend Polizist:innen waren ebenfalls da. Sie mussten nur einmal tätig werden. Richter Pablik bat einen großgewachsenen Uniformierten zu Beginn der Verhandlung abzuschätzen, wie viele Personen im Saal Platz genommen haben. Es waren mehr als 60, darunter viele Unterstützer:innen von Rosandić. Viele weitere, die draußen warteten, wurden nicht in den Saal gelassen. „Wer nicht tagtäglich am Gericht ist: Also normalerweise sitzt hier kein Mensch“, sagte Richter Pablik und erntete einige Lacher.

Danach wurde es ernst. Die Verhandlung war lebhaft. Hin und her ging es zwischen den Beteiligten. Im Zentrum stand Rosandićs Vergleich der „Anhalte-Einrichtung“, mit dem US-Gefängnis auf Kuba. „Guantánamo ist kein angemessener Begriff dafür, hier wurde eine Grenze überschritten“, sagte ICMPD-Anwältin Ursula Zeller. „Salopp gesagt: Blöd gelaufen für den Beklagten.“

Foltergefängnis oder „nur“ ein rechtsfreier Raum

Im Kern stand für Richter Pablik die Frage: Womit verbindet man Guantánamo? Sind es Foltermethoden wie Waterbording, Schlafentzug und Isolationshaft, wie sie die USA in ihrem Gefängnis anwendeten? „Dann wäre das von der Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt“, sagte Pablik. In der Klageschrift argumentierte das ICMPD genau so. In den Tweets und Pressemitteilungen von Rosandić und SOS Balkanroute werde der Eindruck erweckt, ICMPD errichte dort ein „Gefängnis im Sinne einer Einrichtung zur systematischen Folterung“.

Richter Pablik sah das skeptisch. „Ich kann nicht die allerschlimmste Interpretation von Guantánamo heranziehen“, sagte er. Und er schlug eine aus seiner Sicht passendere Sichtweise vor. Verknüpfe man Guantánamo damit, dass hier ein rechtsfreier Raum außerhalb des eigenen Landes geschaffen würde, sähe es anders aus. Die mit EU-Geld finanzierte „Anhalte-Einrichtung“ im Nicht-EU-Land Bosnien-Herzegowina damit zu vergleichen, sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, so Pablik.

Für ICMPD-Anwältin Ursula Zeller war das „schwer zu schlucken. Es ist einfach nicht wahr, dass hier ein rechtsfreier Raum entstanden ist“, sagte sie. Richter Pablik bemerkte daraufhin: „Wenn sie sagen, alles ist rechtens dort, liegt es an ihnen, das zu belegen.“ Das gelang nicht. Schließlich wurde die Einhalte-Einrichtung durch ICMPD gebaut, ohne dass die bosnischen Behörden das in dieser Form genehmigt hatten. Und das ist bis heute so.

Das sah Rosandićs Anwältin Maria Windhager ebenso. Die Gleichsetzung mit Guantánamo habe sich auf die „fehlenden Rechtsgrundlagen“ für die Einrichtung bezogen. Niemand habe den Vorwurf erhoben, hier solle gefoltert werden. Im Gerichtssaal wiederholte Rosandić seinen Vorwurf. „Sie haben ein illegales Gefängnis, ein Guantánamo, gebaut“, sagte er an das ICMPD gerichtet. Als Richter Pablik die Klage schließlich abwies, jubelten dessen Unterstützer:innen im und vor dem Gerichtsgebäude in der Marxergasse.

Wollte ICMPD mit der Klage einschüchtern?

„Das ist ein sehr wichtiges Urteil und richtungsweisend für Österreich“, sagt Rosandić jetzt. Er sieht das große Ganze, nicht nur seinen Fall. Denn aus seiner Sicht und der seiner Anwältin Maria Windhager war der eine SLAPP-Klage. Das ICMPD wolle Rosandić und SOS Balkanroute „wegen unliebsamer Kritik“ einschüchtern, heißt es in einer den Prozess vorbereitenden Erklärung der Beklagten.

SLAPP steht für “strategic lawsuit against public participation”. Auf gut Deutsch: Einschüchterungsklage. Beispiele in Österreich dafür waren etwa die Klage der OMV gegen das Investigativ-Magazin Dossier und die von Ex-Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) gegen den Pensionisten Wolfgang Pechlaner. Die OMV zog ihre Klage gegen die Berichterstattung von Dossier zurück. Pechlaner wurde in erster Instanz wegen eines kritischen Tweets schuldig gesprochen. Das Oberlandesgericht Wien hob das Urteil in zweiter Instanz auf.

Seinen Fall jetzt nennt Rosandić einen „Kampf von Goliath gegen David“. Er sagt, es sei „völlig unverhältnismäßig und absurd“, dass das von 19 Mitgliedsstaaten getragene und finanzierte ICMPD ihn als Privatperson verklagte. „Das war eine Kriegserklärung.“ Anwältin Windhager war spätestens als sie den Streitwert sah und wie hoch die Anwaltskosten sein sollten klar: Das ist eine SLAPP-Klage.

ICMPD-Anwältin Zeller sah das vor Gericht anders: “Es geht nicht darum, jemanden mundtot zu machen oder zu schaden”, sagte sie. Sie schlug vor: Rosandić und SOS Balkanroute akzeptieren die Forderung des ICMPD und widerrufen öffentlich ihre gemachten Äußerungen von einem österreichischen Guantánamo in Bosnien “und wir verzichten auf die Kosten”. Rosandić und Windhager verzichteten auf einen solchen Deal.

Vor einem drohenden Berufungsprozess ist ihm nicht bange. “Wir bleiben positiv. Ich glaube an die österreichische Justiz”, sagt er.


Titelbild: SOS Balkanroute

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