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Wirtschaftliche und soziale Auswirkungen einer Jobgarantie am Beispiel Marienthal

Die Marienthal-Jobgarantie bietet langzeitarbeitslosen Menschen einen garantierten Arbeitsplatz. Dieser ist freiwillig, kollektivvertraglich entlohnt und mit einem Fokus auf sinnvolle Arbeit. Die Ergebnisse des Pilotprojekts zeigen große positive Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wohlergehen sowie die soziale Situation der Menschen. Durch das Programm konnte Langzeitarbeitslosigkeit de-facto abgeschafft werden, ohne bestehende Jobs zu verdrängen.

Von Maximilian Kasy und Lukas Lehner (A&W-Blog)

Die negativen Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit sind hinlänglich bekannt. Arbeitslosigkeit wirkt sich negativ auf Einkommen und Gesundheit der Betroffenen aus, die Wirtschaft leidet unter dem Schwund von Fähigkeiten der Jobsuchenden, und die politische Lage wird durch schwindenden Zusammenhalt in der Gesellschaft beeinflusst. Langzeitarbeitslosigkeit in Österreich wurde durch die Covid-Pandemie zusätzlich verschärft, trotz der günstigen Lage am Arbeitsmarkt und eines Rückgangs der Arbeitslosigkeit blieb der Anteil von langzeitarbeitslosen Personen auf einem hohen Niveau.

Vor diesem Hintergrund hat das AMS Niederösterreich, unter federführender Leitung von Sven Hergovich, ein Pilotprojekt für eine Jobgarantie ins Leben gerufen. Das Modellprojekt hat eine fundierte wissenschaftliche Evaluierung im Rahmen einer Feldstudie über die letzten drei Jahre ermöglicht. Was haben wir dabei gelernt?

Die Marienthal-Jobgarantie

Die Marienthal-Jobgarantie bietet allen Einwohner:innen dieser Gemeinde, die langzeitarbeitslos sind, also bereits 12 Monate oder länger einen Job suchen, einen garantierten Arbeitsplatz. Zentrale Eckpunkte des Programms sind, dass die Teilnahme freiwillig ist, die Teilnehmer:innen angestellt sind und kollektivvertraglich entlohnt werden. Außerdem werden die Arbeitsplätze so gestaltet, dass sie den individuellen Bedürfnissen der Teilnehmer:innen entsprechen und auf deren Einschränkungen Bedacht nehmen. Dabei besteht die Möglichkeit, sowohl Vollzeit als auch Teilzeit zu arbeiten. Besonderes Augenmerk wird darauf gelegt, dass die Tätigkeiten sinnvoll sein sollen – sowohl für die Teilnehmer:innen als auch für die Gesellschaft.

Bei den Arbeitsplätzen selbst handelt es sich entweder um subventionierte Arbeitsplätze bei bestehenden Unternehmen oder – und das trifft auf die Mehrheit der Teilnehmer:innen zu – um Beschäftigung in einem eigens gegründeten Sozialökonomischen Betrieb. Dort werden Möbel in einer Werkstatt renoviert, öffentliche Gärten gepflegt, Bienen gezüchtet und eine Broschüre über den Ort zusammengestellt.

Die Studie

Der Ort, in dem das Pilotprojekt stattfindet, hat bereits vor 90 Jahren Geschichte geschrieben. In den 1930er-Jahren wurde im Ortsteil Marienthal eine bahnbrechende Studie über die Auswirkungen von Massenarbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise durchgeführt. Die Sozialstudie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ dokumentiert in einer großen Untersuchung die Auswirkungen auf das soziale und politische Leben der Dorfgemeinschaft.

90 Jahre später untersuchen wir in einer randomisierten Feldstudie die Auswirkungen eines umgekehrten Ereignisses, indem allen langzeitarbeitslosen Einwohner:innen von Marienthal und der Gemeinde Gramatneusiedl ein Arbeitsplatz angeboten wird. Um die Arbeitsplatzgarantie zu evaluieren, stützen wir uns auf drei Vergleiche, die uns erlauben, die direkten Effekte des Programms von Spill-over-Effekten auf den Arbeitsmarkt und Erwartungseffekten von Teilnehmer:innen zu trennen.

Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen

Die wichtigsten Ergebnisse der Marienthal-Jobgarantie lassen sich wie folgt zusammenfassen. Die Teilnahme hat große positive Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wohlergehen, welches Einkommen, wirtschaftliche Sicherheit und Beschäftigung umfasst. Das ist erwartbar, aber nicht automatisch, da die Teilnahme am Programm freiwillig ist und diejenigen Personen, die die Teilnahme ablehnen, weiterhin Anspruch auf Arbeitslosengeld haben.

Die Teilnahme führt auch zu starken positiven Auswirkungen auf die sogenannten „latenten Funktionen“ der Arbeit, die auf Marie Jahodas Arbeit zurückgehen. Dazu gehören die Zeitaufteilung im Tagesverlauf, regelmäßige Aktivität, die sozialen Kontakte und Interaktionen sowie die soziale Anerkennung und inwiefern jemand Sinn im Leben sieht.

Betrachtet man die Ergebnisse über einen längeren Zeitraum, so sieht man, dass die anfänglich festgestellten Auswirkungen weitgehend bestehen bleiben. Die Vorteile eines garantierten Arbeitsplatzes stammen also nicht nur von anfänglicher Euphorie, sondern bleiben darüber hinaus bestehen.

Im Arbeitsmarkt führt das Programm zu einer starken Verringerung der Arbeitslosigkeit auf Gemeindeebene. Dies ist auf die Beseitigung der Langzeitarbeitslosigkeit in Gramatneusiedl zurückzuführen. Während die Langzeitarbeitslosigkeit in Gramatneusiedl seit Projektbeginn erheblich zurückgegangen ist (rote Linie), stieg sie in den Vergleichsgemeinden (graue Linie). Der starke Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit ist angesichts des freiwilligen Charakters des Programms nicht automatisch und somit ein wichtiges Ergebnis.

Grafik: Langzeitarbeitslosigkeit in Gramatneusidel geht zurück
Grafik: A&W-Blog

Die parallele Studie Marienthal.reversed: The effects of a job guarantee in an Austrian town von Hannah Quinz und Jörg Flecker am Institut für Soziologie der Universität Wien kommt zu dem Schluss, dass die positiven Auswirkungen des Programms davon abhängen, dass den Teilnehmer:innen Arbeit angeboten wird, die als sinnvoll empfunden wird, also ihrer individuellen Gesundheit und Lebenssituation Rechnung trägt. Teilnehmer:innen reagieren auf unterschiedliche Weise auf den neuen Arbeitsplatz: Während einige in erster Linie dankbar für die Möglichkeit zum beruflichen Wiedereinstieg sind, steht für andere die Sprungbrettfunktion für Jobs außerhalb des Programms im Vordergrund. Wieder andere möchten die Zeit bis zur Pensionierung mit sinnvollen Tätigkeiten überbrücken.

Was lernen wir daraus?

Das Projekt zeigt das Potenzial aus der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Verwaltung. Randomisierte Feldstudien – in Österreich noch selten umgesetzt – unterstützen evidenzbasierte Politik. Im Fall der Marienthal Jobgarantie hat dies zu großem Interesse von Medien und internationalen Organisationen geführt.

Basierend auf den Ergebnissen unserer Studie stellt die EU-Kommission 23 Mio. Euro für Jobgarantie-Projekte zur Verfügung. Der Europäische Ausschuss der Regionen hat sich einstimmig für 750 Millionen Euro für Jobgarantie-Projekte ausgesprochen. Und der UN-Sonderberichterstatter für Armut und Menschenrechte hat seinen jährlichen Bericht dem Thema gewidmet und dem UN-Menschenrechtsrat eine Jobgarantie empfohlen. Internationale Beispiele zeigen dabei, wie es großflächig funktionieren kann. In Frankreich wird garantierte Arbeit bereits großflächiger umgesetzt.

Damit bewegt sich die Arbeitsmarktpolitik international einen Schritt näher dahin, das Recht auf gute Arbeit zu verwirklichen. Gute Arbeit ist dabei nicht nur durch angemessene Löhne, sondern auch durch gute Arbeitsbedingungen, ein soziales Sicherheitsnetz und demokratische Arbeitsbeziehungen gekennzeichnet – und natürlich durch freiwillige Arbeitsaufnahme.

Dieser Beitrag basiert auf der zugrundeliegenden Studie „Employing the unemployed of Marienthal: Evaluation of a guaranteed job program“ und dem Buchkapitel „Das Recht auf Arbeit. Wirtschaftliche und soziale Auswirkungen einer Jobgarantie“ von Maximilian Kasy und Lukas Lehner.


Der Beitrag wurde am 20.09.2023 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

Titelbild: Paul Trienekens auf Unsplash

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Ein Gedanke zu „Wirtschaftliche und soziale Auswirkungen einer Jobgarantie am Beispiel Marienthal

  • Ilse Kleinschuster

    Ja, fürwahr ein gutes Beispiel, wie‘ anders gehen könnte! Derartige Beispiele sollten mehr zu einer nachhaltigen Sozialpolitik beitragen (können) – eine Strategie, die Lösungen anbietet, wo alle Teile, d.h. Einzelpersonen aber auch Institutionen eines sozialen Systems einen guten Platz haben und in die Lösungen derartig integriert sind, dass sie mit allen anderen in gutem Kontakt stehen und die erarbeiteten Lösungen mittragen können. Somit, so denke ich, nennenswert als gelebtes Sozialkapital zur Wertübernahme und zur ‚Großen Transformation‘!

    Antwort

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