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P-Mail statt E-Mail

Eine Kolumne über Entschleunigung von Urs Heinz Aerni. 

Sie liegen auf dem Tisch, werden selten sofort gelöscht. Die Briefe in Papierform, die aus dem Briefkasten von Hand herausgenommen und geöffnet werden. Nach dem ersten Blick auf die eigene Anschrift und auf die schöne Briefmarke wird der Umschlag gewendet um zu sehen, von wem das Schreiben ist. Eine Handlung der Entschleunigung und bewusster Wahrnehmung. Kein Tastendruck auf «als gelesen markieren» oder «löschen». Angesichts des digitalen Tempos könnte der Werbespruch für das Buch auf den Brief gelten: «Ein Wert, der bleibt.»

Der Absender erwartet nicht eine Reaktion in der nächsten Minute, es reicht Tage später. Erinnern Sie sich, als es Usus war, dass Rechnungen einmal im Monat beglichen wurden mit einem Monatsauszug der Bank? Heute treffen E-Mails ein mit der Info, dass die geschuldeten 15 Franken sofort überwiesen wurden mit der Bitte, das gleich zu überprüfen. Als würde diese Hetze die Wirtschaft ankurbeln dabei generiert sie schlicht mehr Aufwand.

Aus dem Geschäftsbericht der Post ist die Zunahme der Paketpost zu vernehmen und die Abnahme der Briefpost. Damals war man wer, wenn viel Briefpost auf dem Tisch landete, sie beeindruckte die Büro- und Wohnnachbarschaften. Wissen Sie noch, wie genüsslich jedes Couvert mit dem eleganten Brieföffner aufgeschlitzt wurde um daraus in aller Ruhe das Paper zu klauben um zu erfahren, was man von einem wolle? Ein Prozess zur Eröffnung des Arbeitstages, der immer seltener wird. Doch das kann wieder rückgängig gemacht werden. Wie?

Mit Gutes tun. Zahlen Sie pro Bettelbrief von Stiftungen, Kinderheimen, Igelschützerinnen, Selbsthilfegruppen, Patiententransportvereinen, Parteien einen kleinen Betrag Ihrer Wahl. Also überall etwas, statt nur einmal viel. Sie werden sich wundern, wie viel Echo Sie damit auslösen. Ihr Briefkasten wird voll sein mit Spendenbestätigungen (steuerlich absetzbar) und gleich wieder mit Gesuchen mit Geschenken wie Kugelschreiber, Katzenkarten und Schneeflocken-Sticks.

Und Ihre Nachbarn, die Ihre gesellschaftliche Bedeutung immer unterschätzt haben, werden staunen.


Titelbild: Anne Nygård auf Unsplash

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