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Fehlen uns bald die Mehrheiten für Zukunftsfragen?

Ilse Kleinschuster kritisiert im Gastbeitrag die Berichterstattung über den Sieg des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders und stellt die Frage, was man gegen den Aufstieg der Rechten tun kann.

Die Berichterstattung zur Politik im Kurier vom 24. November treibt mir Schweiß auf die Stirn und lässt mich wieder einmal am Verstand der Menschen zweifeln. Schon das Titelblatt zeigt den Populisten und Gewinner der Wahl in den Niederlanden Wilders – mit Sektglas auf seinen Triumpf anstoßend – und darunter steht „Die Parallelen zu Österreich sind unverkennbar.“ Oder, Seite 8, großes Bild vom lächelnden Wilders, betitelt „Warum Wilders?“ – Nicht nur wird da in einer Schlagzeile großartig verkündet, dass Geert Wilders, der seit 20 Jahren sein Unwesen in den Niederlanden treibt, jetzt zum PVV-Parteichef gewählt ist und „seinen Höhenflug“ erlebt, sondern – und ich finde es politisch nicht korrekt – wird da in einem Satz gleich auch vom Höhenflug der deutschen AfD und der FPÖ in Österreich berichtet. Dann ist auf selbiger Seite noch ein kurzer Kommentar aus Brüssel „Blockade von Rechtsaußen? In Brüssel wachsen Sorgen! Nach Wilders‘ Triumpf rückt klarer Rechtsruck bei Europawahlen 2024 näher. Fehlen bald die Mehrheiten für Zukunftsfragen?“

Solche Prophezeiungen ein Jahr vor den Nationalratswahlen in Österreich sind mir unheimlich – könnten sie nicht all jenen Bürgern*innen, die „politische Idioten“ (gr., nicht vom Fach) sind, Wasser auf ihre Mühlen sein? Ich meine, wo diese ohnedies schon durch schlechte Parteipolitik total verunsichert sind, ja, sich von laufenden Lösungsankündigungen, die dann nicht eingehalten werden (können), gefoppt fühlen.

Ist vielleicht die Frage, ob bald Mehrheiten für Zukunftsfragen fehlen würden – hier suggestiv gestellt – eine, die uns Bürger*innen mehr beschäftigen sollte?

Immer mehr gibt mir das Selbstverständnis, mit dem oft behauptet wird, wir lebten ja in einer repräsentativen Demokratie und da wäre eben das Wahlrecht die einzige Möglichkeit einer Partei seine Stimme zu geben, zu denken. Das sei zwar sehr unbefriedigend, aber was können wir schon tun, außer eventuell gar nicht zur Wahl zu gehen.

Ich finde das in einer Zeit, in der wir zunehmend unter globalen Spannungen leben, nicht mehr tragfähig. Ich habe Kenntnis von vielen guten Lösungsvorschlägen, die auch immer wieder öffentlich vorgestellt und im Kleinen praktiziert werden. Wenn ich auch nicht weiß, welcher Weg der beste und schnellste wäre, so höre ich mir doch solche Vorschläge gerne an und versuche sie weiterzugeben. Der letzte, der mich sehr berührt hat, war zum Thema „Herstellung gemeinschaftlicher Handlungsfähigkeit“ durch Demokratie, vorgestellt von Nutt Los, er spricht hier von Demokratie als Befriedungstechnik – das sollten Sie sich anhören! 

Was treibt die Wähler*innen an, wenn sie einen Rechtspopulisten wählen?

Vielfalt in der Gesellschaft tatsächlich zu akzeptieren, hat damit nicht sowohl die nationalistisch populistische Rechte als auch die progressive Linke Probleme?

Wollen wir mit den unterschiedlichen Formen der Vielfalt in Zukunft besser zurechtkommen, müssten wir zunächst auf jeden Fall anerkennen, dass der Staat notwendig ist, so meine ich. Damit eine moderne liberale Demokratie richtig funktioniert, muss es ein hohes Maß an Vertrauen geben – allerdings ein Vertrauen, das auf der Erkenntnis beruht, dass der Staat entscheidend wichtigen öffentlichen Zwecken dient. In Österreich hätten wir noch eine Chance, solange es Parteien gibt, die sich dafür einsetzen, dass die Ungleichheit nicht zu groß wird, die Umverteilung von Einkommen oder Vermögen halbwegs funktioniert, solange sozialer Schutz auf ein tragfähiges Niveau gestellt bleibt, ohne Anreize zur Eigeninitiative zu untergraben.

Wichtig erscheint mir auch, dass der Föderalismus, das sogenannte Subsidiaritätsprinzip ernster genommen wird. Vielleicht wäre es hier gut, Dezentralisierung zugunsten der nachgeordneten staatlichen Ebenen auf eine größere Bandbreite von Aufgaben auszuweiten. Auf diesen Ebenen wäre es eher möglich Bürgerinnen und Bürgern in ihren Anliegen und entsprechenden Vorschlägen zu Maßnahmen zu berücksichtigen.

Ein weiteres Prinzip demokratischer liberaler Gesellschaften betrifft die Redefreiheit, die zwar bewahrt werden, aber auch geschützt werden muss. Sie kann durch private Macht gefährdet werden, etwa in Form von Medienkonzernen und Internetplattformen, die manche Stimmen gegenüber anderen künstlich verstärken. Meiner Meinung nach sollte hier weniger staatliche Regulierungen gefordert, als vielmehr die Anhäufung privater Macht verhindert werden z.B. durch Antikartell- und Wettbewerbsgesetze.

Was die Rede, die öffentliche Rede betrifft, so gibt es eine Reihe von Normen, die sie besser regulieren können sollte. Eine liberale Gesellschaft wird sich in Hinblick auf ihre endgültigen Zielsetzungen sicher nicht leicht auf grundlegende Tatsachen einigen können, trotzdem aber sollte ein Abgleiten in einen epistemischen Relativismus verhindert werden. Dazu gibt es bewährte Verfahren zur Feststellung faktischer Informationen, die seit Jahren in Gerichtsverfahren, im professionellen Journalismus und in der Wissenschaft angewandt werden. Auch wenn sich diese manchmal irren könnten, so sollte doch ihr Privileg als Informationsquelle erhalten bleiben, wie eben der öffentlich-rechtliche Rundfunk.

Notwendige Normen, die Anstand und vernunftgeleiteten Diskurs fördern und eine demokratische Abwägung in einer liberalen Gesellschaft untermauern, sind Werte, die es in Bezug auf öffentliche Meinungsäußerungen universell zu schützen gilt. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe sollte nicht individuelle Handlungsfähigkeit untergraben.

Liberale Gesellschaften gehen von der Gleichheit menschlicher Würde aus, einer Würde, die in der Fähigkeit jedes Einzelnen begründet ist, eigene Entscheidungen treffen zu können. Aus diesem Grund sehen sie die individuelle Autonomie als ein Grundrecht und fühlen sich ihrem Schutz verpflichtet. Autonomie, ja in Ordnung, aber gibt es nicht noch andere menschliche Fähigkeiten, die über vielen anderen Visionen vom guten Leben stehen? Grenzenlose Freiheit, die Beseitigung jeglicher Zwänge – bedeuten sie wirklich persönliche Autonomie? Entsteht nicht manchmal Erfüllung gerade daraus, dass Grenzen akzeptiert werden?


Ein Teil dieses Textes erschien zuvor auf der Website der “Vereinigung für Medienkultur”.

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Titelbild: K. Wennekendonk, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons / UZ

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