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Bundeswehrmacht

Die deutsche Armee gilt in der veröffentlichten Meinung derzeit als einer der Garanten der „Verteidigung westlicher Werte“ im Kampf gegen all jene, welche diesen „Werten“ angeblich entgegenstehen. Sieht man sich aber ihre Geschichte genauer an, so erkennt man schnell, dass die „Bundeswehr“ bei ihrer Gründung nichts anderes war als die Fortsetzung der Wehrmacht mit anderen Mitteln.

Von Andreas Pittler

Vom heißen zum kalten Krieg

Die antifaschistische Grundstimmung, so sie je vorhanden war, dauerte nicht sonderlich lange. Der Zweite Weltkrieg lag kaum ein Jahr zurück, als sich der berüchtigte eiserne Vorhang über Europa zu senken begann. Während sich im Osten des Kontinents realsozialistische Staatswesen zu etablieren begannen, taten die US-Amerikaner alles, um wenigstens den Westen unter ihre Kontrolle zu bekommen. Sie arrangierten sich dabei mit faschistischen Diktaturen wie Salazar-Portugal und Franco-Spanien, unterdrückten blutig egalitäre Bestrebungen in Griechenland oder Italien und setzten frühzeitig auf einen westdeutschen Separatstaat, der gleichsam als Bollwerk gegen kommunistische Bestrebungen in der deutschen Bevölkerung wirken sollte.

In Konrad Adenauer fanden die US-Amerikaner, was sie für ihr Konzept brauchten. Einen erzkonservativen alten Mann aus dem äußersten Westen des Landes, der im Gegensatz zu seinem sozialdemokratischen Gegenspieler Kurt Schumacher keinerlei Faible für eine gesamtdeutsche Lösung hegte. Adenauer schwebte ein reaktionäres Westdeutschland vor, das sich vom wilhelminischen Deutschland höchstens dadurch unterscheiden sollte, dass der militärische Aspekt nicht mehr so demonstrativ zur Schau getragen werden sollte. Nichtsdestotrotz strebte er, ganz im Einklang mit den Interessen der USA, eine rasche Wiederbewaffnung seines Landes an, und kaum war im Mai 1949 die „Bundesrepublik Deutschland“ (BRD) aus der Taufe gehoben worden, begab sich Adenauer auf die Suche nach einem Militär, der den neuen Staat wiederbewaffnen konnte. Er fand ihn – passend zu seinem Weltbild – in einem preußischen Junker: Gerhard Graf von Schwerin.

Gerhard Graf von Schwerin war nicht nur Sproß einer schwerreichen preußischen Gutsbesitzerfamilie, sondern auch ein Verwandter von Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, der Hitler zwölf Jahre lang als Finanzminister gedient hatte und im Mai 1945 sogar kurz zu dessen Nachfolger als Regierungschef avancierte. Die Allierten behandelten den adeligen Erz-Nazi übrigens mehr als pfleglich. Zu lediglich zehn Jahren Haft verurteilt, wurde Schwerin von Krosigk bereits im Jänner 1951 aus dem Gefängnis entlassen, um in der Folge im westdeutschen Bundesnachrichtendienst abermals gegen die Sowjets zu arbeiten.

Gerhard Graf von Schwerins NS-Laufbahn verlief weniger glanzvoll als jene seines berühmteren Verwandten. Er war bereits im Ersten Weltkrieg Offizier gewesen und tat sich im Anschluss in diversen Freikorps unrühmlich hervor, weshalb er zunächst auch nicht in die neue Reichswehr übernommen wurde. Nach einer umfassend gescheiterten Laufbahn als Unternehmer – Schwerin versuchte sich im Kaffee- wie im Erdölgeschäft -, kam er schließlich doch noch in der Wehrmacht unter, wo er ab 1933, wohl nicht zuletzt ob seiner verwandtschaftlichen Beziehungen, rasch Karriere machte. So fungierte er ab 1938 als Leiter der Gruppe „Fremde Heere West“, deren Aufgabe es war, den Westfeldzug von 1940 vorzubereiten.

An diesem nahm er schließlich als Kommandeur des Regiments „Großdeutschland“ aktiv teil, wobei seine Truppe nachweislich für mindestens zwei Kriegsverbrechen unmittelbar verantwortlich war. In beiden Fällen wurde an schwarzen französischen Soldaten Massaker verübt, bei denen 250 Afrikaner und ihre französischen Offiziere ermordet wurden. 1944 zählte der General als Träger des Ritterkreuzes mit Eichenlaub und Schwertern zu den höchstdekorierten Offizieren in Hitlers Armee. Bis zuletzt blieb Schwerin ein treuer Paladin des „Führer“, so gibt es schwerwiegende Gründe für die Annahme, Schwerin habe gegen Kriegsende zwei Vierzehnjährige wegen angeblichem Plündern standrechtlich erschießen lassen. Dennoch blieb Schwerin nach dem Krieg völlig unbehelligt und konnte daher 1949 Adenauers Mann fürs Grobe werden.

Der Kanzler beauftragte Schwerin mit der Planung einer Wiederaufrüstung der BRD, wobei Schwerins Dienststelle die Tarnbezeichnung „Zentrale für Heimatdienst“ erhielt. Schwerins Abteilung wurde so zur ersten Einrichtung, die systematisch alle Fragen einer westdeutschen Integration in die westlichen Militärstrukturen erarbeitete, wobei es Schwerin sicherlich zupass kam, dass er sich von den USA als CIA-Agent hatte anwerben lassen.

Deutschlands Wiederbewaffnung unter US-Regie

Unter Schwerins Leitung wurde die deutsche Wiederbewaffnung unter US-amerikanischer Kontrolle zügig vorangetrieben, der Graf manövrierte sich aber schließlich selbst ins Out, als er allzu laut gegen jene „Landesverräter“ Stimmung zu machen versuchte, die Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten. Dass er zudem öffentlich die rasche Wiedereinführung der Wehrpflicht forderte, brachte ihn endgültig in Gegensatz zu Adenauer, der Schwerin schließlich noch vor der offiziellen Gründung der Bundeswehr in den Ruhestand versetzte. Erster Chef der Bundeswehr wurde damit der ehemalige Nazi-General Adolf Heusinger.

Auch Heusinger war bereits im Ersten Weltkrieg Offizier gewesen. Und wie im Falle Schwerins kam Heusingers Karriere erst nach Errichtung des „Dritten Reichs“ so richtig in die Gänge. Seine erste Bewährungsprobe war die Erarbeitung der Angriffspläne auf Polen, wenig später wurde Heusinger Chef der Operationsabteilung im Generalstab des Oberkommandos der Wehrmacht, in welcher Funktion er den „Plan Barbarossa“ ausarbeitete, der die Grundlage für den Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 darstellte. Heusinger teilte dabei die Auffassung Hitlers, dass der Feldzug im Osten als „Vernichtungskrieg“ geführt werden müsse, weshalb er sich persönlich um die Bekämpfung von Partisanen kümmerte, zu welchem Zweck er „Richtlinien für die Bandenbekämpfung“ verfasste. Sogar noch nach dem Krieg erklärte Heusinger im Rahmen der Nürnberger Prozesse, das Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung habe eine „willkommene Gelegenheit zur systematischen Reduzierung des Slawen- und Judentums“ geboten.

Wiewohl einige Verschwörer des 20. Juli auch mit Heusinger in Verbindung getreten waren, wollte Heusinger von einem Umsturz nichts wissen. Im Gegenteil. Nach Aussagen hochrangiger NS-Militärs war es Heusinger, der mit der Idee, einen „Volkssturm“ zu bilden, den Krieg noch im Frühjahr 1945 sinnlos in die Länge zog.

War es Heusinger zunächst gelungen, nach Kriegsende unterzutauchen, so wurde er dennoch von den Alliierten aufgespürt. Heusinger schaltete jedoch schnell und verständigte sich mit den US-Amerikanern auf einen Deal. Er schloss sich – wie auch Graf Schwerin – der „Organisation Gehlen“ an, die zur Keimzelle des späteren Bundesnachrichtendienstes werden sollte.

Geleitet wurde diese Einrichtung von Richard Gehlen, dem ehemaligen Chef der Gruppe „Fremde Heere Ost“. Auch er hatte unter Hitler eine rasche Karriere hingelegt und zeichnete sich durch stramm antidemokratische und antikommunistische Grundhaltung aus. So warnte er in einem eigenen Erlass davor, gegenüber Kriegsgefangenen Nachsicht oder Menschlichkeit walten zu lassen. Zudem gibt es genügend Hinweise darauf, dass Gehlen aktiv an der Vernichtung von Juden in Osteuropa beteiligt war. So wurde etwa Winniza, die Schaltzentrale des Oberkommando des Heeres für die Sommeroffensive 1942 vorher „judenfrei gemordet“, worüber Gehlen genau Bescheid wusste, ohne die Massaker auch nur zu kritisieren.

In Gehlen schienen die US-Amerikaner jenen Mann gefunden zu haben, mit dem sie ihren Kampf gegen die Sowjetunion effizient führen konnten. Gehlen und seine Mitarbeiter wurden beziehungsvoll in die „Rudolf Heß-Siedlung“ verbracht, die ihnen als Wirkungsstätte zugewiesen wurde. Die USA, die die Organisation finanzierten und beaufsichtigten sowie die Aufklärungsergebnisse erhielten, verfolgten damit das Ziel, die deutsche nachrichtendienstliche Expertise über die Sowjetunion im sich abzeichnenden Kalten Krieg zu nutzen.

Die Organisation hatte rasch eine beachtliche Mitarbeiterzahl. Zum Zeitpunkt der Gründung der BRD standen bereits an die 1.000 Mann auf ihrer Soldliste, allesamt stramm antikommunistisch und kaum im Verdacht stehend, demokratische Strukturen gutzuheißen. Bis 1955 wuchs die Zahl der Mitarbeiter auf 4.000 an. Eigentlicher Chef – als Geld- und Auftraggeber der Leute Gehlens – war ab 1948 die CIA, Gehlens engste Mitarbeiter waren Heusinger und später Friedrich Foertsch, der als Nachfolger Heusingers zweiter Chef der Bundeswehr werden sollte. Und obwohl die „Organisation Gehlen“ schließlich zu einem offiziellen Amt der BRD umgewandelt wurde, waren es weiterhin die Amerikaner, die die Einrichtung mit Millionen US-Dollar-Beträgen finanzierte, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass auch die deutsche Industrie nennenswerte Spenden an die „Organisation Gehlen“ richtete, deren Hauptaufgabe im Inneren es war, die BRD frei von linken Bestrebungen zu halten.

Heusinger war zwischenzeitlich von der „Organisation Gehlen“ in die neu geschaffene Bundeswehr gewechselt, wo er bis 1961 als deren Chef amtierte. Sein Nachfolger wurde Friedrich Foertsch. Auch Foertsch hatte zunächst als Offizier im Ersten Weltkrieg gedient und sich anschließend als Angehöriger der Freikorps in der Bekämpfung egalitärer Strömungen hervorgetan. Unter den Nazis avancierte er zum Generalstabsoffizier und war wie Heusinger leitend an deren Plänen zur Ausweitung des Krieges aktiv beteiligt. Ab 1942 war Foertsch als Kommandeur an der Ostfront eingesetzt, wo er sich unrühmlich durch mehrere Kriegsverbrechen hervortat. Foertsch, der gegen Kriegsende in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten war, wurde von den sowjetischen Behörden deswegen angeklagt. Konkret lautete der Vorwurf, dass die ihm unterstellten Truppen und Verbände die Städte Pskow, Nowgorod und Leningrad zerstört und historische Kunstdenkmäler in den Städten Gatschina, Peterhof, Pawlowsk und Puschkin vernichtet hätten. Foertsch gab dies auch zu, berief sich dabei aber, wie viele andere Nazi-Offiziere auch, auf „Befehlsnotstand“. Foertsch sah sich als jemand, der „nur seine Pflicht erfüllt“ habe. Die Sowjets verurteilten den General zu 25 Jahren Haft. Allerdings kam Foertsch 1955 im Zuge eines Vertrags zwischen der UdSSR und der BRD frei.

Kaum wieder in Deutschland, ließ sich Foertsch umgehend reaktivieren und trat als General in die Bundeswehr ein, wo er eben 1961 Heusinger als Generalinspektor der Bundeswehr beerbte, wogegen die Sowjetunion wegen Foertschs Verurteilung als Kriegsverbrecher scharf protestierte, was die Regierung der BRD freilich geflissentlich ignorierte. 

Kriegsverbrecher, Franco-Freunde, Hitler-Lieblinge

Letztlich blieb Foertsch Episode, bereits nach zwei Jahren wurde er pensioniert und durch Heinz Trettner ersetzt, auch er, man ahnt es, ein ehemaliger hochrangiger Nazi-Offizier. Trettners erste „Verdienste“ sind mit dem Spanischen Bürgerkrieg verbunden, wo er als Mitglied der berüchtigten „Legion Condor“ an der Seite des Diktators Franco gegen das demokratische Spanien kämpfte. Dort war Trettner Staffelkapitän der „Kampfgruppe 88“, eines Bomberverbandes, dessen Aufgabe es war, die Zivilbevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Unrühmlicher Höhepunkt der Aktivitäten der „Kampfgruppe 88“ war die Zerstörung Guernicas, die Picasso in seinem berühmten Gemälde verewigte.

Auch im Zweiten Weltkrieg erwies sich Trettner als nicht gerade zimperlich. Er war federführend am Überfalls auf das neutrale Holland beteiligt und leitete anschließend die Invasion der Insel Kreta. Nach Kriegsende fand auch Trettner Verwendung in der „Organisation Gehlen“, sodass sein weiterer Aufstieg in der BRD weiter nicht verwunderlich erscheint.

Und doch ging seine Ernennung zum Generalinspektor nicht reibungslos vonstatten. Historiker und Bundestagsabgeordnete wiesen darauf hin, dass Trettner noch im Juli 1963 bei einem Vortrag gesagt habe, Hitler habe als einer der ganz wenigen die Gefahr des Bolschewismus schon richtig eingeschätzt und entsprechend gehandelt. Solche Aussagen seien für den höchsten Vorgesetzten der Bundeswehr nicht tragbar, lautete die Kritik, die freilich an der Regierung der BRD wie üblich abperlte.

Trettner erwies sich bis zuletzt als kalter Krieger. 1966 trat er von seinem Amt zurück, weil die Bundesregierung Soldaten in einem eigenen Erlass den Beitritt zu Gewerkschaften erlaubt hatte, wodurch Trettner die „militärische Führung“ unterminiert sah. Sein Nachfolger als Generalinspekteur wurde Ulrich de Maiziere.

Auch de Maiziere hatte es unter Hitler in die Schaltstellen der Wehrmacht gebracht. Ab 1942 war er enger Mitarbeiter Heusingers im Oberkommando des Heeres, was für seine Nachkriegskarriere sicherlich kein Nachteil war. Nachdem er kurzzeitig Frontkommandeur bei der gescheiterten Gegenoffensive im Bereich Kursk gewesen war, kehrte er in den Generalstab zurück, wo er regelmäßig an den Lagebesprechungen mit Hitler teilnahm, wo jener, wie Zeugen übereinstimmend erklärten, Gefallen an de Maizieres Einschätzungen fand. Noch im Mai 1945 beteiligte sich de Maiziere an den letzten Rückzugsgefechten der Wehrmacht im Bereich Kurland, ehe er nach Flensburg ins neue Hauptquartier der Nazis flog, wo er am 23. Mai 1945 mitsamt Admiral Dönitz und Reichskanzler Schwerin von Krosigk gefangengenommen wurde.

Nach dem Krieg fand auch de Maiziere Zugang zu den Einrichtungen des späteren BND und wurde schließlich als Oberst reaktiviert, um bereits 1956 zum General befördert zu werden. Krönender Abschluss seiner Laufbahn war schließlich die Ernennung zum Generalinspektor der Bundeswehr im August 1966. De Maiziere erwies sich in diesem Amt als überaus anpassungsfähig, denn unmittelbar nach dem politischen Wandel 1969, der mit Willy Brandt erstmals einen Sozialdemokraten ins Bundeskanzleramt brachte, diente sich de Maiziere dem neuen Verteidigungsminister Helmut Schmidt an, sodass er bis zu seiner ordnungsgemäßen Pensionierung 1972 auf seinem Posten verbleiben konnte.

Dass sein Nachfolger als Generalinspektor Armin Zimmermann keine NS-Belastung aufwies, lag freilich nicht (primär) daran, dass die sozialliberale Regierung deutlich mit der Vergangenheit brechen wollte. Zimmermann war für eine Karriere unter Hitler schlicht zu jung gewesen.

Dennoch scheint der Geist des Nationalsozialismus auch fast 80 Jahre nach Kriegsende in der Bundeswehr allgegenwärtig. Die Medien kommen kaum nach, über diverseste rechtsradikale Netzwerke in der Armee zu berichten. So gab es allein im Jahr 2023 nicht weniger als 216 einschlägige Vorkommnisse. Und die jüngsten Ereignisse lassen vermuten, dass damit auch nicht so schnell Schluss sein wird. Der Schoß ist fruchtbar noch – auch unter der Montur.

Titelbild: joergkessler1967/pixabay

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