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Kinder- und jugendgerechte Städte: Zukunftschance für alle

Der öffentliche Raum spielt für die Lebensqualität junger Wiener:innen eine große Rolle. Verbringen Kinder und Jugendliche Zeit im öffentlichen Raum, ist das ein Hinweis für gelungene Stadtplanung, sie gelten als Indikator für qualitätsvolle Stadtgestaltung und hohe urbane Lebensqualität. Trotzdem stehen Kinder und Jugendliche selten im Mittelpunkt von Planungskonzepten. Sie können jedoch von ihnen mit am meisten benachteiligt werden; sie sind vulnerabel gegenüber Verkehrslärm, Luftverschmutzung und Hitze und weniger resilient, was ihre Gesundheit und alternative Rückzugsmöglichkeiten angeht. Stadtplanung und die gebaute Umwelt haben also maßgebliche Auswirkungen auf Kindheiten und Jugenden. Beteiligung ist deshalb eine entscheidende Stellschraube, um Städte kinder- und jugendgerecht zu realisieren.

Von Malena Haas, AK Wien (A&W-Blog)

Junge Menschen in der Stadt

Für Kinder und Jugendliche hat die Gestaltung des Wohnumfelds besonderen Stellenwert: Sie erleben den Großteil ihres Alltags in der nahen Wohnumgebung. Für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse spielt die Gestaltung ihres unmittelbaren Grätzels also eine zentrale Rolle. Insbesondere öffentliche Räume, Straßen, Parks und Plätze, stehen dabei im Fokus. Nicht einzelne kinder- und jugendfreundliche Orte, sondern die kinder- und jugendfreundliche Stadt sollte das Ziel sein. Junge Wiener:innen brauchen qualitativ hochwertige, sichere und ansprechende Orte, in denen sie sich selbstständig bewegen und ausprobieren, spielen und entdecken können. Auch Bedürfnisse wie soziale Kontakte und Geborgenheit sollen dort erfüllt werden können.

Das Gegenteil war seit dem letzten Jahrhundert der Fall: Städtische Trends haben für eine immer stärkere Verdrängung junger Menschen gesorgt. Prägend waren die Nachkriegsjahrzehnte, in denen Städte im großen Stil für Autos fit gemacht wurden. Bewegungsgewohnheiten von (meist männlichen) Erwachsenen sowie deren Mobilität als Alleinverdiener wurden zur Norm. (Junge) Menschen wurden von der Straße verdrängt, um Platz für Autos zu schaffen. Kindern und Jugendlichen wurden einzelne, abgetrennte Spiel- und Aufenthaltsbereiche zugesprochen. Ein Phänomen, welches unter dem Begriff der Verinselung bekannt ist. Die Bedeutung des öffentlichen Raums für das Zusammenleben in Städten hatte in den Jahrzehnten weniger Priorität. Spätestens seit der Corona-Pandemie wurde der öffentliche Raum als Wohnzimmer der Vielen entdeckt, er erfreut sich einer gesteigerten Nutzung.

Wenig Mitsprachemöglichkeiten

Junge Menschen sind von Planungen auf allen Maßstabsebenen betroffen, haben dafür Wünsche und Ideen und können Impulse für die Umsetzung geben: Fragen der Flächenverteilung und Mobilitätskonzepte der übergeordneten Ebene, Standorte der sozialen Infrastruktur, Wohnbauten und Freiraumplanungen im Stadtteil, die konkrete Ausgestaltung und Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen Raums im Wohnumfeld. Das gilt sowohl für die Entwicklung vorhandener Quartiere als auch bei der Planung von Stadterweiterungsgebieten.

Kinder und Jugendliche sind in Wiener Planungsentscheidungen allerdings unterrepräsentiert: Urbane Umgebungen werden primär von Erwachsenen für Erwachsene entworfen und gebaut. So entstehen Orte, die den Bedürfnissen von jungen Leuten wenig entsprechen. Die Wege und Mittel für Kinder und Jugendliche, sich an der Ausgestaltung und Planung des urbanen Raums in Wien zu beteiligen, sind ausbaufähig; Kinder- und Jugendbeteiligung ist rechtlich nicht verankert.

Auswirkungen demokratischer Exklusion

Von Exklusion betroffen sind (junge) Menschen auch in der politischen Entscheidungsfindung. Ein steigender Anteil von ihnen darf mangels österreichischer Staatsbürgerschaft nicht an demokratischen Wahlen teilhaben. Dadurch ist das politische System mitunter anfällig, nachteilige Entscheidungen für Jüngere zu treffen.

Da die Hürden zur Erlangung der Staatsbürgerschaft im Laufe der letzten Jahrzehnte deutlich verschärft wurden, sind heute immer mehr Wiener:innen von demokratischer Mitbestimmung ausgeschlossen. Nur zwei Drittel der Wiener:innen dürfen mitbestimmen, in manchen Bezirken nicht einmal mehr die Hälfte. Dieses Demokratiedefizit hat sich in den letzten 20 Jahren nahezu verdoppelt. Die Einbürgerung scheitert in erster Linie an der langen verpflichtenden Aufenthaltsdauer, dem komplexen Verfahren, den teuren Gebühren sowie den zu hohen Einkommenshürden. Diese strengen rechtlichen Rahmenbedingungen führen zu einer der geringsten Einbürgerungsraten Europas – und mehr jungen Personen ohne Wahlrecht.

Mehr als 27.000 hier geborene junge Wiener:innen im wahlfähigen Alter dürfen wegen des restriktiven Staatsbürgerschaftsrechts nicht hier wählen. Diese Gruppe wird in Zukunft deutlich anwachsen. Die Beteiligungsmöglichkeiten an demokratischen Prozessen leiden also unter einer immer massiveren Schieflage.

Ob bei politischen Entscheidungen, bei Weichenstellungen in der Stadtplanung oder bei der Gestaltung des öffentlichen Raums: Es reicht einfach nicht, junge Menschen mitzudenken und für sie zu planen. Der persönliche erwachsene Blick auf Kindheit lebt von verzerrten Erinnerungen und unterscheidet sich gravierend von der Lebensrealität heutiger Kindheiten und Jugenden. Umso wichtiger sind adäquate konkrete Partizipationsformate.

Einzigartige Perspektive junger Menschen

Kinder und Jugendliche machen ein Fünftel der Wiener Stadtbevölkerung aus. Und für die Beteiligung junger Menschen sprechen zahlreiche Faktoren. Trotzdem gibt es Vorbehalte: Oft besteht die Annahme, dass sich junge Menschen nur unrealistische Dinge wie Schokobrunnen und Regenbogentreppen wünschen würden. Zahlreiche Good-Practice-Beispiele belegen das Gegenteil: Kinder und Jugendliche steuern fundierte, einfallsreiche und sinnvolle Vorschläge bei. Insbesondere haben junge Menschen ein hohes Einfühlungsvermögen für andere Nutzer:innen. Sie denken genauso an andere Altersgruppen, Obdachlose oder Menschen mit Behinderung. So kann die ganze Stadt von der Perspektive von Kindern und Jugendlichen profitieren. Zusätzlich kann spezifisches Wissen über die Kinderfreundlichkeit von Orten in die Planung gelangen und junge Menschen können als Expert:innen ihrer Lebensrealitäten eingebunden werden. Durch ihre unvoreingenommene Denkweise können innovative Ideen entstehen. Auch persönlich profitieren Kinder und Jugendliche von einer Teilnahme an Planungsprozessen: Partizipation fördert kritisches Denken, sie erlernen Verantwortung, Selbstvertrauen, Kooperation, Argumentationsstärke, aber auch den Umgang mit Rückschlägen. Es geht darum, Kinder und Jugendliche nicht als passive Empfänger:innen von Stadtplanung zu sehen, sondern ihre aktive Rolle in der Gestaltung und Identität der Stadt wertzuschätzen.

Beteiligung als Chance

Die große Chance von Partizipation ist, dass niederschwellig Erfahrungswissen der Bewohner:innen und Nutzer:innen, Alltagserfahrungen, Wissen über lokale Bedarfe oder Potenziale Eingang in die Planung finden können. Wenn hingegen Partizipationsangebote auf artikulationsstarke, wortgewandte Erwachsene mit Tagesfreizeit und Systemkenntnis ausgerichtet sind, werden sich auch nur jene beteiligen. Der Input junger Menschen geht in diesem Fall jedoch unter. Junge Menschen treffen so auf Rahmenbedingungen und Planungsstrukturen, in denen sie ihre Erfahrungen und ihr Wissen nicht beisteuern können, ihre Kompetenzen teilweise als mangelhaft wahrgenommen werden.

Ansätze zu mehr Partizipation für Kinder und Jugendliche sind in Wien durchaus erkennbar: etwa Schüler:innenparlamente der Bezirke oder Projekte der offenen Jugendarbeit. Systematisch flossen diese Aspekte bisher zu wenig in die Wiener Entscheidungs- und Beteiligungslandschaft ein. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass derzeit noch Potenzial für die Entwicklung und das grundsätzliche Roll-out guter Standardlösungen in Wien besteht. Innovative, gut nutzbare Beteiligungsformate müssen die Einzellösungen – auch wenn es Vorzeigebeispiele sind – ersetzen. Die Strategie liegt bereit: Mit der Entwicklung der Kinder- und Jugendstrategie machte Wien 2020 einen großen Schritt. Dort ist unter anderem auch festgehalten, dass junge Wiener:innen aktiv ihre Stadt mitgestalten sollen. Auch die aktuelle Bewerbung für das UNICEF-Zertifikat „Kinderfreundliche Stadt“ bietet Chancen, das Thema Kinder- und Jugendbeteiligung in der Stadt aufzugreifen und in messbare Maßnahmen umzusetzen.

Kinder- und jugendgerechte Städte

Kinder- und jugendgerechte Städte zu gestalten heißt vor allem, die Bedürfnisse junger Menschen gleichberechtigt in die Ausgestaltung urbaner Räume einfließen zu lassen.

Seit 2023 ist Wien Teil des Netzwerks für altersfreundliche Städte. Genauso muss die Etablierung einer kinder- und jugendgerechten Stadt breit geteilter Konsens sein, damit eine altersgerechte Stadt für alle Realität wird. Eine solche Stadt präferiert aktive Mobilitätsformen, unterstützt systematisch Interaktionsmöglichkeiten, verfügt über qualitätsvolle und leistbare Wohnkonditionen und lebendige Nachbarschaften sowie Freiraumnetze. Eine kinder- und jugendgerechte Stadt bietet Zugang zu sozialem und kulturellem Leben. Kurz: In einer kinder- und jugendgerechten Stadt werden urbane Räume so gestaltet, dass sich junge Menschen dort wohl fühlen und Entfaltungschancen vorfinden können.

Das Recht auf demokratische Teilhabe ist dabei ein zentraler Bestandteil. Damit die Beteiligung junger Menschen stattfinden kann, ist es notwendig, bestehende Entscheidungsstrukturen und Planungsroutinen zu verändern. Dafür ist es wesentlich, gleichzeitig an mehreren Stellschrauben zu drehen. Partizipation funktioniert besonders dann gut, wenn sie als demokratisches Prinzip etabliert ist. Wirkungsvollster Hebel ist die Verrechtlichung der Beteiligungsformate inklusive transparenter Entscheidungsstrukturen. Es geht darum, bestehende Beteiligungsformate zusammenzuführen und von einzelnen Projekten zu einer Routine zu gelangen. Dafür müssen Ressourcen zum Lernen, Organisieren und Umsetzen bereitgestellt werden. Partizipation muss niederschwellig, altersgerecht, inklusiv und mehrsprachig sein. So können fruchtbare Ideen für Wien, für die (klima-)gerechte und faire Gestaltung unserer Stadt sowie den sozialen und ökologischen Umbau unserer Gesellschaft entstehen, die ohne die Perspektiven der Vielen verborgen geblieben wären.

Die Langfassung des Artikels ist in der Ausgabe 1/2024 der Zeitschrift „AK Stadt“ erschienen.


Dieser Beitrag wurde am 06.05.2024 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

Titelbild: Keenan Constance auf Unsplash

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