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Mut und Geld für den Frieden

Frieden ist Arbeit und kostet viel Geld. Statt langfristig in aktiven und globalen Frieden zu investieren, wird auf die Rüstungsindustrie gesetzt. Sie soll Kriege beenden und nebenbei die Wirtschaft ankurbeln.

Von Andreas Pavlic 

Artikel erstveröffentlicht in der Zeitung AUGUSTIN # 619, April 2025

Europa rüstet auf. Europa muss aufrüsten. Es gibt keine Alternativen zur Aufrüstung. Dieser gegenwärtige Konsens wird kaum hinterfragt. Dafür werden auffallend viele doppelte Botschaften verbreitet: Einerseits wird in vielen Analysen, wie etwa in jener des Politologen Christian Mölling im Stern-Podcast, auf die militärische und wirtschaftliche Schwäche Russlands hingewiesen und daher auf eine massive militärische Unterstützung der Ukraine, als Voraussetzung für Friedensverhandlungen, gesetzt. Andererseits wird die europäische Schwäche angesichts der russischen Bedrohung hervorgehoben. Es wird behauptet, dass mit dem Wegfall der USA, der unbestritten größten Militärmacht der Welt, als NATO-Partner und Garant für die militärische Sicherheit Europas, der Kontinent vollkommen schutzlos sei. Die veröffentlichten Studien in Bezug auf Waffenbestände und Militärausgaben zeigen aber ein weitaus differenzierteres Bild.  Diese Widersprüche lösten in mir den Wunsch einer Spurensuche nach alternativen Ideen und Konzepten aus.

Boomende Industrie

Um mir einen ersten Überblick zu verschaffen, durchforste ich das Internet nach Fakten. Eine der meistzitierten Quellen ist das unabhängige Friedensforschungsinstitut SIPRI, das seit 1966 zu internationalen Konflikten, Rüstung, Rüstungskontrolle und Abrüstung forscht und vom schwedischen Staat finanziert wird. Die aktuellsten Zahlen sind jene für das Jahr 2023 und gingen im April letzten Jahres durch die Medien. Nach diesen Angaben steckte Russland 109 Milliarden US-Dollar in die Rüstung, im Vergleich dazu: Etwa 127 Milliarden US-Dollar gaben in diesem Jahr allein Frankreich und Deutschland aus. Rechnet man die NATO-Staaten zusammen, kommt man auf 1.341 Milliarden, weltweit waren es über 2.400 Milliarden US-Dollar. Die Rüstungsindustrie boomt. 

Auch in Österreich steigen die Militärausgaben. Laut Budgetbericht der Bundesregierung betrugen diese 2022 2,7 Milliarden Euro, stiegen 2024 auf knapp über 4 Milliarden und  sollten schrittweise bis 2027 auf über 5 Milliarden erhöht werden. Im Moment wird hierzulande ca. 0,8 Prozent der Wirtschaftsleistung ins Militär gesteckt, mit dem Zwischenziel von 1,5 Prozent (2027) sollen es zukünftig jene 2 Prozent werden, die sich die europäische NATO-Staaten zum vorläufigen Ziel gesetzt haben.    

In einer Greenpeace-Studie vom November 2024 wird nachgewiesen, dass in den EU-Ländern in den letzten Jahren nicht nur die Militärausgaben stiegen, sondern die NATO auch waffentechnisch und Waffenmenge der russischen Armee weit überlegen ist. Mit dem Wegfall der USA als verlässlichem Bündnispartner ist diese Überlegenheit zweifellos geringer geworden. Vergleiche zur militärischen Stärke sind schwierig, da auch Waffenalter und Kriegserfahrung mitbedacht werden müssen. Mit einem Mehr an Waffen Kriege zu beenden oder zu verhindern, erscheint mir dennoch eine hinterfragungswürdige Herangehensweise.

Ein Mangel an Vertrauen

Im Zuge meiner Recherche treffe ich den Politikwissenschaftler und Autor Josef Mühlbauer. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit Friedens- und Konfliktforschung. Gleich zu Beginn unseres Gesprächs gibt er mir zu verstehen, dass diese Zahlenspiele nicht den Kern berühren. «Der aktuelle Diskurs wird leider sehr einseitig geführt.» Wenn heute über Sicherheit gesprochen wird, gehe es nur um das Militärische. Gleichsam wichtig seien jedoch die Diplomatie und die Herstellung kultureller und zivilgesellschaftlicher Verbindungen und Kooperationen. «Es braucht Maßnahmen des gegenseitigen Vertrauens.» Mühlbauer zählt die verschiedenen Abrüstungs- und Kontrollabkommen auf, die in letzten Jahrzehnten geschaffen wurden und teilweise noch bestehen. Der wahrscheinlich bekannteste ist der Atomwaffensperrvertrag, aber dazu gehören auch der Open Skies Vertrag, den die USA 2021 kündigte, oder das Abkommen zur Verringerung strategischer Waffen (NEW START), das Putin 2023 ausgesetzt hatte. Aktuelle wird von einigen osteuropäischen Staaten das Antipersonenminen Abkommen, auf Grund der russischen Bedrohung, in Frage gestellt. Obwohl einige internationale Vereinbarungen aktuell nicht in Kraft sind, spielen sie eine bedeutende Rolle in der Regulierung und Begrenzung von Rüstungsgütern.

Wichtig wäre auch eine ernsthafte Diskussion über die Konsequenzen einer Fortführung oder möglichen Eskalation des Krieges, und auch darüber, welche Art von Frieden es geben könnte. «Es ist moralisch richtig, gegenüber einem Aggressor wie Russland keine territorialen Zugeständnisse zu machen», sagt Mühlbauer. «Gleichzeitig geht es auch darum, weitere Zerstörung von Menschenleben und Ressourcen zu verhindern.» 

Wachstum dank Waffen

Dass die EU in den letzten Jahren den alleinigen Fokus auf die militärische Perspektive legte, rächt sich nun. In einer Demokratie muss auch über diplomatische Ziele und eine aktive Friedenspolitik diskutiert werden. Davon sind wir gegenwärtig weit entfernt. Es geht allein um Aufrüstung. Aber warum? «In Deutschland spielen natürlich die Wirtschaftskrise und die strukturellen Probleme in der zivilen Industrie eine Rolle. Durch den Ausbau der Waffenindustrie und die europaweite Aufrüstung soll die Ökonomie wieder angekurbelt werden. Die absehbare Folge ist, dass im Bereich von Bildung, Gesundheit und Pflege, die seit Jahren mehr Geld fordern, gespart wird. Durch die aktuelle Kriegspropaganda und das Schüren von Ängsten soll dieses Vorgehen legitimiert werden.» Zu beobachten ist, dass seit der Entscheidung im Nachbarland, die Wirtschaft durch Militärausgaben und Infrastrukturprojekte anzukurbeln, die Krisenstimmung wie verflogen zu sein scheint. Um hier nochmals mit Zahlen aufzuwarten: Laut der SIPRI-Datenbank befinden sich 50,6 Prozent der einhundert Top-Rüstungsfirmen in den USA, 21,1 Prozent in NATO-Europa und 3,5 Prozent in Russland. Dies bedeutet für die westlichen Firmen, dass sie Dank der angekündigten europaweiten Aufrüstung einen zusätzlichen Booster erhalten. Auch die Rüstungsunternehmen in Wien berichten aktuell im ORF von vollen Auftragsbüchern und Expansionsplänen. Die General Dynamics European Land Systems Steyr GmbH hat einen Großauftrag vom österreichischen Bundesheer erhalten und produziert in Simmering 225 Radpanzer. Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall fertigt in Liesing als Rheinmetall MAN Military Vehicles Österreich GesmbH Militär-LKW’s. Im Jahr 2025 soll der Rüstungssektor nach Prognose von Reinhard Marak, dem Leiter der Stabsstelle Krisenmanagement und Sicherheitsvorsorge der Wirtschaftskammer Österreich, österreichweit einen Umsatz von 3,3 Milliarden erwirtschaften. Davon 40 Prozent allein in Wien. Der in den letzten Jahren so viel propagierten ökologischen Wende und grünen Ökonomie folgt nun das altbekannte Modell: Wachstum durch Aufrüstung. 

Ein Budget für den Frieden

Einen weiteren Gesprächspartner finde ich über die Homepage abfang.org: Gerhard Kofler. Er ist Friedensaktivist und Teil des Aktionsbündnisses AbFaNG. Wir treffen uns in einem Kaffeehaus. Vor ihm ein Stapel mit Büchern und Unterlagen. «Man weiß kaum etwas über Frieden und Konfliktlösung. So wie das Bundesheer ein Budget für militärische Angelegenheiten hat, sollte es auch eines für den Frieden geben.» Im Herbst 2023 war er in einer Initiative, die 500 Millionen Euro für den Frieden einforderte, um die notwendigen Strukturen für nachhaltige Friedensarbeit und die Förderung von zivilgesellschaftlichen Friedensinitiativen aufzubauen bzw. zu erweitern. Fünf SPÖ-Abgeordnete hatten schließlich den Antrag im Parlament eingebracht, der jedoch von allen anderen Parteien abgelehnt wurde. Es mangelt nicht nur an Geld, sondern auch an Wissen. Als Beispiel erwähnt Kofler den komplexen und langwierigen Friedensprozess in Nordirland. «Es hat fünf Jahre gedauert, bis das Karfreitagsabkommen zustande kam.» Koflers Fazit: «Wir brauchen einen Lehrstuhl für Neutralität und eine umfassende Bildung in Friedens- und Konfliktarbeit.»

Wer für Frieden und Diplomatie eintritt, gilt als naiv oder parteiisch. Dabei wäre gerade das wichtig. Es braucht Überlegungen, auch mit Einbindung nicht westlicher Staaten, wie Kriege beendet und Konflikte gelöst werden können. Gerhard Kofler weist auf das aktuelle Regierungsprogramm hin: «Hier finden sich nicht nur das Bekenntnis zur Neutralität, sondern auch Ankündigungen für Österreichs Beitrag zur Schaffung von Frieden und Stärkung der Neutralität. Wir werden sehen, welche Taten folgen.» Zu den Aufgaben einer aktiven Friedenspolitik, denen sich die amtierende Bundesregierung stellen wird müssen, gehören laut Programm auch eine «internationale Mediationsarbeit» und der «aktive Beitrag zur Lösung von Konflikten».

Nach diesen beiden Gesprächen und meiner Recherche ist mir klar, was aktuell fehlt: eine kritische Auseinandersetzung über die gegenwärtige politische, militärische und ökonomische Situation. Mit Gerhard Kofler gesprochen: Es braucht Geld für Frieden, mehr Mut zur Diplomatie und den Willen zur internationalen Kooperation. An all dem mangelt es in Österreich und auch in der EU.


Artikel erstveröffentlicht in der Zeitung AUGUSTIN # 619, April 2025

Titelbild: Steinnelkenweg (Wien-Donaustadt) neben dem Spielplatz (Foto: Unsere Zeitung)

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