Etappensieg für Antifaschisten
Jahn B.: Prozess nach einem Missverständnis und wenig Neuigkeiten vertagt. Neben dem prozess.report und VICE war auch Unsere Zeitung vor Ort.
Es tut im eh Leid, sagt der Fotograf G. zum Richter. Aber er habe erst am Vorabend gemerkt, dass er gar nicht die Festnahme Jahns bei der Demo gegen das „Fest der Freiheit“ abgelichtet hätte. „Ich habe das gar nicht sehen können, weil ich eigentlich in die andere Richtung fotografiert hab‘. Hat si‘ erscht gestern herausgestellt.“ Ernüchterung auf der Anklagebank.
Zuvor hat die Klageseite Bezirksinspektor Paul B. in den Verhandlungssaal 106 am Wiener Straflandesgericht geladen. Der bringt aber – wie seine Kollegen am ersten Prozesstag im April – wenig Erhellendes. Drei mal muss der Richter nachfragen, bis B. – mit Jahn B. weder verwandt noch verschwägert – sagt: „Jo, Abwehrbewegungen mit die Händ‘.“ Interessanterweise sagte der Beamte davor, er habe nicht wahrgenommen, dass sich Jahn gewehrt habe. Und: „Die Verletzung des Kollegen U. habe ich vor Ort nicht bemerkt.“
Jahn wird vorgeworfen, bei besagter Demo den Polizisten Andreas U. schwer verletzt zu haben, indem er sich bei der Festnahme am Schottentor absichtlich fallen gelassen und anderweitig gewehrt habe. Jahn hatte Hüseyin S. zur Hilfe eilen wollen. Er empfand dessen Festnahme als überzogen. Der vorsitzende Richter fragt, ob denn Jahn die Instanz sei, das zu bewerten. Er ringt dem sichtlich eingeschüchterten Mann ein „Na, eh ned“ ab. Dem Juristen entfleucht ein seltsamer Vergleich: „Das wäre ja, als ob Sie mit meiner Verhandlungsführung nicht einverstanden wären und beginnen, mir hier den Akt wegzuziehen.“ Ob eine aufgeheizte Demosituation mit gereizten Demonstranten und Polizisten mit einer geordneten, gesitteten Gerichtsverhandlung verglichen werden kann, mögen andere bewerten.
Der zweite Prozesstermin läuft vor allem hinter einem PC-Monitor ab. Das liegt daran, dass Aufnahmen der WEGA und von WienTV begutachtet wurden. „Man sieht eh fast nix“, begründet der Richter in Richtung des Publikums, nachdem er die Vertreter von Klage und Verteidigung hinter das Richterpult gebeten hat. Das ist das zentrale Problem beider Videos: sie zeigen Jahn und U. vor wie nach der Festnahme, jedoch nicht währenddessen. Das Publikum vernimmt von den Aufnahmen vor allem schrille Schreie, linke Sprechchöre, eine Sirene. Hier und da weisen Jahn und sein neuer Verteidiger auf einzelne Szenen. Der Richter geht nicht auf Jahns Bitte ein, diese zu verlangsamen, um seine Argumentation zumindest nachzuvollziehen.
Dann kommt aber doch eine Wende zugunsten des Antifaschisten: sein Anwalt weist darauf hin, dass U. seinen Mandanten mehrmals fixiert beziehungsweise anfasst – und zwar mit dem angeblich durch Jahn verletzten Arm. Der Anwalt bringt ein paar medizinische Fachausdrücke. Das deutsche Fazit: mit einer Verletzung, wie sie durch Jahn verursacht haben soll, hätte U. ihn nicht mehr fixieren noch berühren oder den Unterarm beugen können – was er jedoch nachweislich tat.
Der Richter zieht sich kurz zurück und gibt schließlich einem Antrag der Verteidigung recht: ein Gutachten soll klären, ob U. besagte Bewegungen nach der Verletzung hätte machen können. Das wird mindestens zwei Monate dauern. Trotz dieses Etappensiegs ist Jahn sichtlich erschöpft. den anwesenden SympathisantInnen, FreundInnen und seinem aus Linz angereisten Vater sagt er: „Ich hab‘ gehofft, dass es heute entschieden wird.“ Der Prozess wird auf unbestimmte Zeit vertagt.
Der hühnenhafte Kläger Andreas U. war am Montag auch zugegen, blieb aber vor dem Verhandlungssaal 106. Übrigens: sein Vertreter Werner Tomanek wurde heute bei einem anderen Termin von einem Wirten des Kokainkonsum bezichtigt.