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Soll man Alan Kurdi und andere Opfer zeigen?

[3K – Massenmedien am Montag: Folge 32]

je-suis-aylan-kurdi-700x394Wenn Sie nicht mehr wissen, wer Alan Kurdi ist, so spricht das schon für die Bejahung der Eingangsfrage. Es ist jener Bub, der am Mittwoch mit seinem Bruder und seiner Mutter tot bei Bodrum an Land gespült wurde. Viele schreiben seinen Namen auch Aylan. Er wurde gerade mal drei Jahre alt. Nur sein Vater überlebte das Unglück. Alans Bilder – es sind Fotos, Bewegtbilder, Nah- und Fernaufnahmen – füllen Chroniken, Videos und Titelseiten in der ganzen Welt.


Lieber nicht.

Folglich entbrannte eine seltene Diskussion um Fotoethik. Nun ist die Frage, ob man Alans Bilder zeigen darf, nicht eindeutig rechtlicher Natur. Wäre es zweifelsfrei verboten, hätten viele heimische Medien zwangsweise darauf verzichtet. Eine andere Bedeutung von dürfen betrifft die Moral. Und wo Moral in nicht-rechtliche Normen mündet, beginnen im Journalismus oft selbstgeschriebene, doch unverbindliche Leitfäden. Gewöhnlich werden sie Ehren- oder Pressekodex genannt.

In Deutschland und hierzulande ist die Achtung der Menschenwürde Teil dieser Regelwerke. Einige Redaktionen kamen letztlich zum Schluss, das bekannteste Bild teilweise oder ganz zu verfremden, es gar nicht zu zeigen. Neben Alans Würde geht es um Zumutbarkeit. Die Sorge gilt hier Kindern; aber nicht jungen, traumatisierten Flüchtlingen, sondern jenen, die Tote in den Medien sehen.


Oder doch?

Das ist der Punkt: in unseren Breiten sehen Kinder ohnehin täglich Bilder wie jene von Alan, so das HD-Fernsehgerät und der Webzugang nicht technisch blockiert werden. Entsprechend pragmatisch ist da Renate Kromp, welche im NEWS fragt: „Wie erkläre ich es meinem Kind?“ Der Wunsch, dem Nachwuchs möglichst lange eine heile Welt vorgaukeln zu können, ist verständlich, jedoch naiv. Manche Eltern tragen in ihrer Naivität gar zum Problem bei, indem sie dem Nachwuchs internetfähige Endgeräte schenken. Aber das ist nicht das Thema.

Im Ehrenkodex heißt es: „Fotos, die unter Missachtung der Intimsphäre der (des) Abgebildeten entstanden sind (…), dürfen nur dann veröffentlicht werden, wenn ein über das Voyeurhafte hinausgehendes öffentliches Interesse klar ersichtlich ist.“

Als Fotos der 71 Parndorfer Opfer in Krone und BILD erschienen, schimpften alle „über das Voyeurhafte“ daran. Da jetzt auch Qualitätsmedien mitziehen, ist ein totes Kind plötzlich im öffentlichen Interesse. Georg Altrogge thematisiert auf MEEDIA diese Schizophrenie.


Trotz alledem.

Dennoch sollten Kriegsopfer weiter – unter Wahrung der ihr verbliebenen Würde – gezeigt werden, denn das Morden ist längst ästhetisch. Diese zynische Ästhetik muss durchbrochen werden: Rauch, Schutt, Feuer in der Nacht. Damit nicht nur wenige den Menschen helfen, die fliehen müssen, sondern alle mitwirken, dass sie nie fliehen müssen. Freilich sind die Bilder nicht der Auflage, sondern der Aufklärung wegen zu zeigen.

PS: So Sie Flüchtlingen zuletzt weder materiell noch finanziell helfen konnten, unterstützen Sie doch bitte die Aktion Arschloch. Danke vielmals.


Grafik: funeraire-info.fr

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