AktuellEuropaMedienÖsterreich

Werkstattbericht III – Badespaß und Tränengas

[3K – Massenmedien am Montag: Folge 31]

11896325_980619588627993_6300671728244655995_o

Über 70 tote Menschen werden am Donnerstag in einem verlassenen Kühllaster bei Parndorf gefunden. Betroffenheitsbekundungen bei einer Pressekonferenz und in der ZiB. Ein Pärchen wird beim Fundort interviewt. „Eh oarg und so, oba jetzt fahr’ma ins Outletcenter.“ Das haben sie so nie in die Kamera gesagt, doch danach sehen ihre Spitzen-Sonnenbrillen aus.

Die Nachricht erreicht mich, als ich in Montenegro einen üblen Sonnenstich kuriere. Ich bin benommen. Weniger vom Kopfweh als den Bildern des slowakisch-ungarischen Lasters. 20, 50, dann 71 tote Flüchtlinge. Vor ein paar Tagen hätte ich fast meine Geschwister und meine Freundin in der albanischen Pampa stehen lassen, allein, um das Elend in Südmazedonien zu dokumentieren. Wir reisten einen Tag, bevor die Grenze dichtgemacht wurde, aus Ohrid ab. Sightseeing und Badespaß hier, Gummigeschosse und Tränengas dort.

Im Strandhaus meines Stiefvaters liegt ein serbisches Revolverblatt. Es warnt – neben einem Seitenhieb auf den kroatischen Revisionismus – vor Krawallen am heutigen Montag. Wie im sächsischen Heidenau rufen in Belgrad faschistische Banden zu einer Demo „gegen die illegalen Migranten“ auf. Die Polizei scheißt sich an. Bei mir meldet sich der Sonnenstich zurück.

An einem Abend treffen wir auf Tivats aufpolierter Strandpromenade einen alten Freund meiner Stiefschwester. Er ist mittlerweile Technik-Mädchen-für-alles bei einem Radio in Kotor. Ob es hier für JournalistInnen wirklich so schlimm sei, wüsste ich gerne. Und dann denke ich wieder an die Flüchtlinge am Belgrader Bahnhof und jene, die wir an den Autobahnen gesehen haben. Ich würde am liebsten früher vom Meer weg und sie alle in unsere Wohnung schaffen. Damit sie zumindest einen Tag vor dem rechten Mob sicher sind.

Der Techniker ist plötzlich weg.

Der LKW steht mittlerweile in einem veterinärmedizinischen Kühlhaus in der Gegend. Die Wiener Gerichtsmedizin soll helfen, heißt es. Unterdessen drücken Angela Merkel und Johanna Mikl-Leitner ein paar Krokodilstränen ab; kündigen einen stärkeren Kampf gegen Schlepper anstatt einer Initiative zur Bekämpfung von Fluchtursachen an. Der Rücktritt der Innenministerin wird gefordert. Aber das ändert nach 15 Jahren schwarzer Herrschaft (unter rot-blauer Mitwirkung) am Minoritenplatz genau nichts. Es braucht ausgerechnet Fritz Dittlbacher, der klarstellt: die heimische, die europäische Politik müsse einen Weg schaffen, über den Flüchtlinge legal kommen können. Sie hat diesen nämlich versperrt und damit die Schlepperei selber gefördert.

Am Abend, nachdem der Leichenwagen vermutlich die burgenländische Grenze passierte, erzählt meine Stiefschwester gerade von ihrer letzten Ostasien-Reise: „Es ist so toll – man kann einfach überall hin fahren“, sagt sie. Das klingt zynisch, aber sie meint es ganz unbefangen.

Ich überlege ernsthaft, diese Folge von 3K zu spritzen. Später denke ich: ich könnte auch schlicht zum Ausdruck bringen, wie sehr mich die ganze Asylpolitik ankotzt.


Foto: Zoran Sergievski – Grenze Serbiens zu Ungarn, 15.8.2015, 20:39 (Lizenz: CC BY SA 2.0)

Artikel teilen/drucken:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.