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Flüchtlingsfest: Fesch für Fürst Fußball

Ein Public Viewing in Wien-Ottakring zeigt, wie einfach und herzlich Nachbarschaft sein kann. Eine Reportage.

Hinter der Leinwand des Volxkinos tollen Kinder auf einer Mauer. Rainer Pariasek und Roman Mählich brabbeln wie gewöhnlich. Zwischendurch kriegt man Mitleid mit den GastgeberInnen, da sie die dumme Nik P.-Werbung ertragen müssen und den noch dümmeren Spot von bet-at-home.at.

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Das alte Haus Liebhartstal, mitten in Alt-Ottakring. Foto vom Autor.

Es ist Sonntagabend und es dämmert in Ottakring. Meine Freundin und ich sind gespannt, wir sind im alten Haus Liebhartstal. Wir gehen täglich hier vorbei, mit dem Hund, und gingen schon, als hier noch PensionistInnen lebten. Nachdem letzten Sommer Geflüchtete hier einzogen, wurde ich mal von mutigen Kids auf ihren Rollern und Radln eingekreist. Sie bewunderten und tätschelten unseren leicht verwirrten Köter. Auf das Kommando einer Achtjährigen hin ließen die Burschen dann lächelnd vom Vierbeiner ab und uns mit einem gut geübten „Baba!“ passieren. Die Kinder gehören zu den 200 geflüchteten Familien und etwa 60 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die mittlerweile im alten Haus Liebhartstal leben. Die SeniorInnen haben einen schicken Neubau schräg gegenüber bezogen, zwischen Park und Plachutta.

 

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Der Garten füllt sich mehr und mehr. (Foto: UMF Haus Liebhartstal auf Facebook.)

Die BewohnerInnen des alten Hauses luden mit den Samaritern zum gemeinsamen ersten Nachbarschaftsfest. Anlass ist das EM-Finale, für das man ein Public Viewing hier im Garten veranstaltet. Das Volxkino steuert das Equipment zur Übertragung bei. Der Einladung folgen dutzende OttakringerInnen, mehrheitlich solche, die nicht nach Fußball-Aficionados aussehen. Das Buffet wäre schon Grund genug für das gesellige Beisammensein und die saftigen Spenden für das Wohnprojekt. Rote und blaue Euroscheine gleiten zigfach in die Pappschachtel beim Buffet, und sogar einer der geflüchteten Buben gibt zwei Euro in die Box. „Was heißt Zucker auf Farsi?“, fragt einer der Helfer seine Kollegin, die Cola ausschenkt, „Scheker“ kommt zurück, „Scheker“ sagt der Helfer, der auf eine Mehlspeise zeigt.

 

Die BewohnerInnen sind so herzlich, wie ich es nur unter Freunden und bei Familienfestln gewohnt bin. Alle sind fein herausgeputzt ob des Anlasses, dem Fest für Fürst Fußball. Pailletten glänzen auf Kopftüchern, auf Jacken, auf nahöstlichen Trachten. Kinder toben in hübschen Kleidern herum. Eine füllige Ottakringerin scherzt vertraut mit einer jungen Mutter. Die jungen Männer, vor denen sich der Boulevard anuriniert, sind zuvorkommend, aber auch lustig, laut und fiebern vor allem mit Portugal mit.

Mit dem syrischen Familienvater neben uns einige ich mich gleich zu Beginn darauf, dass der größte Unsympatler am Platz Ronaldo heißt (ja ja, der ist eh nett, herzt beschränkte Fans, aber darum geht es nicht). Der Vater schwenkt wild ein blaues Tuch, ruft „Frankreich!“.

Seine Tochter gesellt sich zu uns auf die Decke, bis die beiden mit der Mutter eine freigewordene Bank in Anspruch nahmen. Das Gras sticht, wenn man auf keiner Decke sitzt. Daher gibt mir der Vater lächelnd seine persönliche Isomatte, weil meine Freundin mich immer weiter von der Decke drängt. „Da, schlafen, haha!“, sagt der Vater. Beinahe gehe ich auf das Anbot ein. Ich darf die Matte behalten, bis wir gehen.

Zuvor erklärt die sechzehnjährige Tochter in gutem Deutsch, wie die Familie zusammengesetzt ist und dass alle ihre Brüder auch hier sind. Unser Plausch ist kurz, aber nett.

Links neben uns sitzen drei geflüchtete Burschen, die Haare gegelt, die Hemden gebügelt, überhaupt, wie alle sehr gepflegt. Einer spricht fast fehlerfrei Deutsch. Er bietet uns Cola an. „Für die Frau auch?“ „Danke, wir trinken aus einem Glas.“ Von wegen. Der junge Mann besorgt eigens für Annemarie einen frischen Plastikbecher und schenkt uns immer wieder von der Brause ein. „Bitte, bitte, nehmen Sie!“ Als ich gerade in der Essenschlange (wo sonst) stehe, fragt er die Deckendiebin: „Sind wir Nachbarn?“ Sie antwortet gerührt: „Fast.“

Hinter uns scherzen ein paar OstafrikanerInnen, die Burschen haben die buschigen, feuerroten Iros turmhoch auftoupiert.

 

Und dann schaust du kurz genauer in die Runde, und du wunderst dich, dass die Kinder toben, die jungen Männer fiebern. Da und dort zappelt ein Baby. Du fragst dich, wie die Kinder das gepackt haben, die schwangeren Frauen, die jungen Burschen, ganz allein. Lastwägen, Polizei, Milizen, Boote, grüne Grenze, Polizei, Soldaten, Fußmärsche, Hitze, Gatsch und Dreck. Und du bewunderst sie, nein, freust dich für sie, dass sie heute so ausgelassen und fesch daherkommen. Einmal nicht an die unwürdige Politik und Rhetorik über sie denken.

Die Samariter-Mitarbeiterin, die in der Halbzeitpause zum Mikro greift, weil die erste Ansprache ohne Mikro versickerte, bedankt sich beim Volxkino und bei der lokalen SPÖ. Warum eigentlich? Zumindest ich sehe den Bezirksvorsteher nicht. Dabei wäre das ein schönes Zeichen gewesen, gerade nach dem Ereignis fünf, sechs Bimstationen weiter weg, am Brunnenmarkt. Obwohl, ihn braucht es nun wirklich nicht. Auch so zeigt sich, dass bei allen hochgeschraubten Horrormärchen das Zusammenleben so einfach funktionieren kann. Sind wir Nachbarn? Aber sicher.

Vielleicht gibt es ja jetzt, wo Alltag in der hinteren Thaliastraße einkehrt, endlich die Möglichkeit, dass wir uns genauso gastfreundlich und höflich zeigen gegenüber diesen Menschen, dass wir ihnen über 120 Minuten hinaus in ihr neues Leben in diesem Grätzl helfen. Herzlich willkommen, Nachbarn. Und shukran für die Isomatte.

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