Standpunkte

Wo bleibt eigentlich das männliche Pendant zum Feminismus?

sinah_badboysFeminismus ist kein Synonym für Gleichberechtigung beider Seiten. Er ist ein Instrument zur Erreichung von Gleichberechtigung und zur Abschaffung struktureller Unterschiede zwischen Mann und Frau. Ein Prozess, der wichtig und nötig ist. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir keine Emanzipation von Seite der Männer brauchen.
Ein Gastbeitrag von Sinah Edhofer

Herbert Grönemeyer sang 1984 folgende Zeilen:

Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht
Außen hart und innen ganz weich
Werden als Kind schon auf Mann geeicht
Wann ist ein Mann ein Mann?

30 Jahre später: An den einzelnen Vorurteilen, die Grönemeyer besingt, hat sich so gut wie nichts geändert. Männer lachen (oder saufen) Probleme weg, sind allzeit bereit, einsame Streiter, bauen Raketen, führen Kriege. Wann kommt diese Welle der männlichen Emanzipation denn nun endlich? Wir bräuchten sie. Jetzt.

Frust, Hass, Aggression: Die Journalisten Elisabeth Mittendorfer und Thomas Trescher fassen in einem aktuellen Kurier-Bericht „Warum es immer junge Männer sind, die morden“ die jüngsten Ereignisse zusammen:

  • „12. Juni: Omar M., 29 Jahre alt, schießt in einem Nachtclub in Orlando, Florida um sich und tötet 49 Menschen.
  • 14. Juli: Mohammad L., 31 Jahre alt, fährt am französischen Nationalfeiertag in Nizza mit einem LKW in eine Menschenmenge und tötet 84 Menschen.
  • 22. Juli: David S., 18 Jahre alt, tötet am und in Münchner Einkaufszentrum OEZ mit einer illegal gekauften Glock neun Menschen.

Drei Länder, drei Taten, drei Motive. Und doch ist eines gleich: Es waren junge Männer, die so viel Hass aufgestaut hatten, dass sie zu Waffen griffen, Unschuldige töteten und unzähligen Menschen unvorstellbares Leid zufügten.“

Wer also glaubt, Diskussionen über das Patriarchat wären überflüssig, der übersieht die Tragweite dessen. In ihrem Interview mit Dr. Paul Scheibelhofer, Sozialwissenschaftler in Wien, meint dieser, „dass Männer unter herrschenden Bedingungen vermittelt bekommen, dass sie Anspruch haben. Auf Macht. Auf Frauen. Auf Erfolg. Auf Kontrolle. Viele Männer profitieren tagtäglich von diesen Versprechen und beziehen daraus auch Handlungssicherheit als Mann. Wenn es im realen Leben aber nicht gelingt, diese Ansprüche einzulösen, kann dadurch ebendiese Sicherheit infrage gestellt werden.“ Heißt: Das Männliche hat im Moment keinen verdammten Schimmer, was es in dieser Welt mit sich anfangen soll, geht aber pauschal davon aus, ein Recht auf alles zu haben. Und dass es die Schuld „der anderen“ sei, wenn diese Ansprüche nicht erfüllt werden.

Emanzipation kommt vom lateinischen emancipatio und bedeutet „Entlassung aus der väterlichen Gewalt“ und auch die „Freilassung eines Sklaven“ (Thanks, Wikipedia!), heute wird der Begriff oft synonym für die Frauenbewegung gebraucht. Aber warum eigentlich? Ist die Emanzipation des Mannes denn schon vollzogen? Oder gar unnötig? Haben wir das patriarchale Mannsbild des 20. Jahrhunderts schon längst hinter uns gelassen? Oder ist es das Non plus ultra?

Anstatt Diskussionen darüber zu führen, welche Vorteile Emanzipation und die Abschaffung des Patriarchats für jeden von uns hätten, wird darüber geredet, was „echte Frauen“ und „echte Männer“ denn nun eigentlich sind. Indem wir glauben, uns so von Stereotypen zu verabschieden, kreieren wir neue. Wobei sich Frauen zunehmend gegen die Verallgemeinerung „des Weiblichen“ wehren: Eine „echte Frau“ muss keine bestimmten äußeren Standards mehr erfüllen. Sie muss nicht einmal einen tatsächlichen Kinderwunsch haben. Hier entwickelt sich eine differenzierte Sichtweise auf das, was als „weiblich“ gilt.

Und so stehen viele Männer auf der einen Seite und fühlen sich überfordert, weil vor ein paar Jahren ein paar mutige Frauen angefangen haben, die Schürzen auf den Boden zu werfen, die Kinder in den Hort zu schicken, sich eine Arbeit zu suchen, zu ficken, wen sie wollen und aufgehört haben, sich ständig für ihr Nicht-Entsprechen zu entschuldigen. Und das ist auch gut so.

Aber obwohl man jetzt meinen könnte, dass gerade Frauen, von denen viele den täglichen Emanzipationskampf sehr gut kennen, diese Ohnmacht vieler Männer ebenso erkennen würden: Sie tun es nicht. Wir fordern doch unbewusst weiter Männer, die dann mindestens so stark sind wie wir. Cool sein, tough sein, unnahbar sein: Darum geht es im Privatleben, im Arbeitsleben, in der Popkultur. Man ist am Kämpfen, am Hustlen, am Grinden, am Worken, am Money getten und man gibt einen Scheiß darauf, was andere sagen. Frauen lassen sich nicht mehr in den „privaten“ Bereich des Lebens zurückdrängen, in die Küche, an den Herd zu den Kids. Aber was ist mit den Jungs? Wie fühlt ihr euch auf dieser riesigen, „gesellschaftlichen“ Bühne, die man euch so viele Jahre lang zugeschrieben hat? Wann kommt ihr denn jetzt daher und fordert, mitsamt eurer ganzen emotionalen Scheiße, gehört zu werden? Oder ist eh alles gut so wie es ist?

Ich habe nach so manchem Text Mails von jungen Männern erhalten, die mir seitenweise ihr Leid geschildert haben, wie schwer es sei, sexuell immer abliefern zu müssen oder teilweise überhaupt keine Erfahrung zu haben. Die mich beschimpft haben. Die gestanden haben, wie sehr sie dieser oder jener Text verletzt, bewegt, begeistert oder verstört hat. Wenn euch das so fertigmacht, wo sind denn dann eure Blogs? Wo sind eure Stimmen? Warum glaubt ihr, es sei besser, gesünder, „männlicher“, heimlich zu leiden? Warum glaubt ihr, es wäre nicht eure Aufgabe, euch zu emanzipieren?

Über Befreiung reden in westlichen Nationen Frauen, Gays und Transgenders. Die heterosexuellen Männer, die, die in der Gesellschaft als privilegiert aufgrund ihres Geschlechts gelten, schweigen über ihre wachsende Unsicherheit, bezeichnen uns in Hass-Postings als Feminazis, Schwuchteln, linksliberale Zecken und Gutmenschen. Warum? Weil ihr Weltbild von „Frauen, die Frauen sind“ und dem ganzen Rest, über den nicht geredet wird, gefickt wird. Ein anderer Grund ist sicherlich auch, dass viele Männer gar nicht wissen, dass das System, in dem sie feststecken, ihnen eigentlich mehr abverlangt, als es ihnen bringt. Dass auch sie benachteiligt sind – aber eben anders.

Ich fände es zum Beispiel unfair, wenn ich als Mann nicht so einfach in Vaterkarenz gehen könnte, ohne mich dafür rechtfertigen zu müssen oder meiner Familie finanzielle Einbußen zumuten zu müssen (Frauen verdienen in vielen Branchen leider noch immer viel, viel weniger als Männer).

Ich würde es beschissen finden, dass Typen von anderen Typen als verweichlicht bezeichnet werden, wenn sie mal weinen, Gefühle zeigen oder über Probleme reden. Wenn nicht immer alles Spaß und mit einem Jägermeister und einem Schulterklopfer erledigt ist. Dass ich mich dafür schämen müsste, wenn ich mal keinen hoch bekomme. Dass freche, kleine Bloggerinnen einen Artikel darüber schreiben, was ein Typ im Bett nicht tun sollte, weil das vermutlich Dinge sind, die ich als Mann schon das ein oder andere Mal getan habe. Weil ich es vielleicht nicht besser wusste.

Ich glaube, ich wäre als Mann ein bisschen neidisch auf Frauen, weil sie ihren Feminismus haben, der sie aus Klischees zumindest ein bisschen befreit. Männern bleibt nichts als Frustration, Hass und Vorurteile. Und die Ventile für diese Ohnmacht? Klischees: Die krankhafte Gestaltung des eigenen Körpers, zum Beispiel. Pornos schauen. Ficken. Saufen. „Jööö, alles, was Spaß macht!“, denkt sich der Ironie-Junkie jetzt und vermutlich ist das genau so ein Typ, er einen Haufen Probleme hat, aber nie gelernt hat, darüber zu reden.

Ich würde mich über Frauen aufregen, die pauschal davon ausgehen, dass ich bei einem Date die Rechnung übernehme, obwohl ich gar nicht will – oder kann.

Ich würde mich schämen, wenn ich Respekt vor meiner Freundin habe, diesen in der Öffentlichkeit demonstriere und mir dann mit einem süffisanten Lächeln gesagt werden würde, dass „sie die Hosen in der Beziehung anhat“. Weil warum wäre das wichtig? Und für wen?

Ich würde mich fragen, warum Frauen ihre vielseitigen Heldinnen haben können, die smarten, toughen, schlagfertigen, schillernden Gallionsfiguren ihrer Freiheitsbewegung, die sich nicht auf ein Klischee reduzieren lassen. Die Jennifer Lawrences, Sailor Moons, Stefanie Sargnagels dieser Welt, die cool, witzig und knallhart zugleich sind. Ich würde mich fragen, warum die männlichen Vorbilder die Manifestation von Kapitalismus und Chauvinismus sind: Rapper, die über ihre Porsches singen. Politiker, die den American Dream predigen. Gruppierungen wie IS oder Neonazis, die zwei Seiten der gleichen Medaille, die die einsamen Wölfe ohne Perspektive dann einfangen und ihnen Zugehörigkeit verkaufen – zu einem hohen Preis. Top-Sportler, die Autos, Kohle und Mädels haben, aber unter Sex-Sucht leiden. Was sind das für Vorbilder?

Die Emanzipation des Mannes, gibt es sowas überhaupt? Wenn nicht, dann sollte es sie bald geben. Aber es liegt an ihnen, diese zu starten. Weil dieses fatale, patriarchale Weltbild in unserem System feststeckt, wie ein stinkender, alter, fauler Weisheitszahn, den keine Sau braucht.

Männer haben eine drei Mal höhere Suizidrate. Und wie unterscheidet sich das Leiden von Männern und Frauen sonst noch? So ungefähr:

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Frauen tendieren zu weniger auffälligen Süchten, heißt es in der Untersuchung. Sie sind „weniger auffällig, weniger straffällig und seltener berufsunfähig, teilweise weniger fixe Beschäftigungsverhältnisse“. Frauen leiden körperbezogen. Und die Männer? Die neigen eher zu Glücksspiel- und Internetsucht, Sexsucht, Arbeitssucht und zeigen weit häufiger ein kriminelles Verhalten. Das ist die pure Penetration des gesellschaftlichen Lebens. Und Misogynie, das ist nicht nur blanker Frauenhass und ein Mittel zur Unterdrückung, sondern auch Neid. Wenn das, was lange Zeit objektifiziert und als Eigentum betrachtet wurde, sich plötzlich selbstständig macht, sich anders verhält, als man das will, dann beginnt man, es zu hassen. Es zerstören zu wollen. Außerdem ist nach unten treten immer leicht und noch leichter, wenn man andere absichtlich klein hält.

Ich bin keinesfalls der Meinung, dass wir Männer mit unserer Forderung nach Gleichberechtigung überfordern. Aber wer Toleranz und Offenheit fordert, muss selber tolerant und offen sein. Wir fordern zwar, dass sich Männer mit Feminismus beschäftigen, Achselhaare tolerieren, unsere verschiedenen Körper und Kleidungsstile feiern und sich unsere Wünsche im Bezug auf Sex und Liebe anhören. Wir wollen gesehen und gehört werden, in all unserer wunderbar widersprüchlichen Vielfalt. Aber man muss anfangen, jeden Menschen als widersprüchliches, komplexes Lebewesen zu betrachten. Wenn wir wirklich von Gleichberechtigung reden, dann dürfte es uns eigentlich nicht stören, ja, nicht einmal auffallen, wenn ein Typ bei einem Tinder-Date auftaucht, lackierte Fingernägel hat und ein Kleid trägt, gelegentlich mal heult und sich irrational verhält. Wenn ein Typ keine Lust auf Karriere hat, sondern lieber Daddy ist.

Es wundert mich, warum wir, wenn wir von Gleichberechtigung sprechen und darüber, wie sie aussehen könnte, immer noch keinen passenden Terminus dafür gefunden haben. Weil Feminismus ist nunmal kein Synonym für Gleichberechtigung auf beiden Seiten. Es ist ein Schritt. Und das lästige Patriarchat lediglich um das Matriarchat zu ergänzen: wir würden immer noch vor den gleichen Problemen stehen. Wie so ziemlich alles, was mit dem Begriff „Herrschaft“ zu tun hat, geht es hier wieder um Unterdrückung. Weil keine Herrschaft ohne Unterdrückung und umgekehrt, oder?

Kapitalismus, Macht, Unterdrückung, Dominanz. Das sind männliche Attribute, die natürlich auch auf Frauen zutreffen können. Vielleicht sollte dieser Text auch anders heißen, „Die Emanzipation des Männlichen“ oder so. Aber sind ja schließlich auch nur meine two cents. Denn „das Männliche“, „das Unterdrückende“, „das Böse“, „das Herrschende“ reduziert sich nicht auf biologisches Geschlecht – und da müssen noch viele, viele Texte darüber verfasst werden, glaube ich. Vor allem von Männern. Darauf freu‘ ich mich.

Zuerst erschienen auf The Black Shirt Blog

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Foto: Sina Edhofer; Titelbild: pixabay.com (Lizenz: Public Domain)

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Ein Gedanke zu „Wo bleibt eigentlich das männliche Pendant zum Feminismus?

  • philomeen

    „Freche kleine Bloggerin“…beim verlinkten Sex-Thema sind Sie besser aufgehoben, da wirkt die willkürliche Mann-Frau-Vereinnahmung- und zuordnung allerdings genauso lächerlich.

    Weit schlimmer jedoch ist, dass anscheinend nicht mal Begriffe wie „patriarchal“ verstanden werden… Nur soviel: Patriarchale Strukturen sind nicht: von Männern gemachte Strukturen.

    Im ersten Satz die erste dreiste Behauptung, dass es „nicht um Gleichberechtigung gehe“: Worum, wenn nicht um Gleichberechtigung soll es denn sonst im Feminismus gehen? Da fühle ich mich ziemlich verarscht.

    Was haben all die Pionierinnen der Frauenrechte denn so gedacht und geschrieben über die letzten Jahrhunderte hinweg? Da geht es sehr intersektional zu: von Zoofeminismus bis Ökofeminismus, global/regionale Sichtweisen, Vernetzung mit Themen wie Antikapitalismus, Klasse, Ethnie, Produktion und Reproduktion etc.

    Zweiter Satz:
    Das angesprochene Instrument nennt sich nicht Feminismus, sondern Gender Mainstreaming .
    usw.
    Der weitere Text strotzt vor Allgemeinplätzen, fachlichen Ungenauigkeiten und anscheinend unausrottbarem 0815-Möchtegernwildwirken.
    Radikal? Ja, eine radikale Verhaftung im Mann-Frau-Denken.

    Zitat: „Und das lästige Patriarchat lediglich um das Matriarchat zu ergänzen“…hallo?
    Sie haben schlicht keine Ahnung von Grundbegriffen des Themas, fertig.

    Leider ein Einbruch im Niveau von UZ.

    Antwort

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