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Mit den USA oder Russland? Mit Teufel oder Beelzebub!

In dem Gastkommentar „Ein europäisches Europa: Wann, wenn nicht jetzt?“ vertritt Gregor Flock die Auffassung, dass sich Europa von den USA distanzieren und gleichzeitig an Russland annähern soll. Ein Ansatz, den der Historiker Reinhard Paulsen nicht teilt: Ökonomische und militärische Machtblöcke zu wechseln, sind keine Lösung für die 99 Prozent.

Gregor Flock argumentiert in seinem Artikel „Ein europäisches Europa: Wann, wenn nicht jetzt?“ von einer Position aus, mit der tagtäglich die Mainstreampresse und die Fernsehkommentatoren die Geschehnisse darstellen und von der aus die Geschichtsbücher die Welt beschreiben: von der Position und den Kategorien einer globalen Macht- und Blockpolitik.

Er schreibt gemäß der Tradition ausbalancierender Machtpolitik von Großmächten und der Denke des berüchtigten „Gleichgewichts des Schreckens“ und davon, dass eine „langfristige Partnerschaft und Freundschaft mit Russland“ auf Augenhöhe im „europäischen Interesse“ sei.

Eine satanische Strategie

Was sind denn dieses Europa, diese USA, dieses Russland, für die Gregor Flock  Blockbildungsperspektiven diskutiert? Realpolitisch und realistisch betrachtet spricht sich der Autor dafür aus, dass der Europablock der Monopole und Banken unter deutscher Hegemonie, dieses Europa des Brüsseler Korruptionssumpfes, dieses EU-Europa der Austeritätsfesseln sich um „echte Freundschaft und Partnerschaft auf Augenhöhe“ mit dem Russland der Oligarchen, der Kriegstreiber im Nahen Osten, eines autokratischen, nationalistischen Putin-Regimes, in dem man alter Sowjetgröße nachtrauert, bemüht.

Dafür will er abrücken von den durch eine Milliardärsgarde regierten USA der weltweiten Wirtschaftsknebelung, des perversesten Finanzkapitalismus, der Geheimdienstputsche, der Militärinterventionen und der verlogenen, nie zur Rechenschaft gezogenen US-Irakkrieg-Anzettler: Also für Freundschaft mit dem Teufel gegen Beelzebub und weg von der Allianz mit Beelzebub gegen den Teufel! Eine echt satanisch-gerissene Strategie.

Satanisch in der Tat, denn mit solcherart bismarckschem Strategiegeschiebe wurden in der Geschichte bisher immer nur ökonomische Machtblöcke und militärische Allianzen in wechselnder Zusammensetzung gebildet, die dann letztlich in zwei Weltkriegen aufeinander losgingen, um die Welt neu zwischen sich aufzuteilen.

Partnerschaft und Freundschaft zwischen den herrschenden Wirtschafts- und Staatseliten von Großmächten können immer nur egoistische, berechnende Allianzen auf Zeit in einem heute mit aller Heftigkeit bereits tobenden, globalen, ökonomischen Weltkrieg sein.

Der „blamable US-Oberbefehl“ in  der NATO

Bei der Beschäftigung mit solcher Thematik kann es in meinen Augen nur um die Aufdeckung dieser Mechanismen gehen. Man legt ein zweifelhaftes euronationalistisches Bewusstsein an den Tag, wenn man wie Gregor Flock meint, dass der US-Oberbefehl der NATO „eine Blamage sondergleichen“ für Europa sei. Welcher der verelendenden Südeuropäer oder wer aus dem riesigen Arbeitslosenheer in Europa fühlt sich wohl von so etwas blamiert?

Im Umkehrschluss bedeutet diese „Blamage“, dass „wir“, also „wir Europäer“, stolz sein müssten, wenn „einer von uns“, einer „unserer“ Generäle den Oberbefehl hätte.

Immerhin müsste es nach Konkurrenzlogik jeden „europäischen Europäer“ erfreuen, dass wenigstens der NATO-Generalsekretär ein Europäer (Anm.: Der Norweger Jens Stoltenberg bekleidet die Position seit dem 1. Oktober 2014.) ist und „wir“ den Amis somit doch ein bisschen zeigen, wo der Hammer hängt.

In diesem nationalistischen Geist müsste es auch jeden freuen, wenn in Afghanistan, Mali, auf dem Balkan und wer weiß, wo in Zukunft, „unsere“ deutschen Militärs das Kommando übernehmen.

Mich gruselt es bei dieser gefährlichen Logik. Wir müssen alle sehr vorsichtig sein, mit wem wir uns solidarisieren, wem wir uns zurechnen und für wessen Interessen wir uns in Wirklichkeit starkmachen, wenn „wir“ uns von „den Amerikanern“ ab- und „den Russen“ zuwenden oder an der Seite der atlantischen Supermacht bleiben, wie es Brexit-Britannien vorhat.

Wer ist der Feind?

Fragen wir also: Was haben die Völker mit den Generälen im NATO-Hauptquartier und deren interner Konkurrenz zu tun? Ganz einfach: Die sind der Feind!

Genauso wie die russische Aggressionsarmee oder die 1000 US-Auslandsmilitärstützpunkte die Feinde der Völker sind.

Wir fallen auf eine „Wir sitzen alle in einem nationalen Boot“-Mentalität herein, wenn wir uns mit irgendeinem dieser imperialistischen Militärapparate identifizieren.

Die Demarkationslinie zwischen Freund und Feind verläuft nicht an den Grenzen von Nationalstaaten und zwischen kontinentalen politischen Blöcken. Wenn man das meint – und es wird uns täglich in den Medien vorgebetet -, befindet man sich schon im Lager des politischen Nationalismus.

Eine Spielart davon existiert heute sogar als Euronationalismus. Danach müssen „wir“ Europäer uns machtpolitisch in den heutigen globalen Blöcken neu einsortieren, denn schließlich wollen „wir“ nicht länger Vasallen der USA sein und weltweit ordentlich mitmischen, am besten gehe das an der Seite Russlands.

Die gesellschaftliche Wahrheit aber ist, dass die Barrikaden zwischen Freund und Feind quer durch alle Länder und Staaten und über alle Grenzen hinweg verlaufen.

Es stehen sich global bei aller scheinbar verwirrenden Vielfalt letztlich nur zwei feindliche Lager gegenüber, die in jedem einzelnen Staat, in jedem Land, in jedem Winkel des Globus weltweit zu finden sind.

Die Weltbeherrscher des Finanzkapitals – 1%

Das eine Lager ist zahlenmäßig winzig, dafür aber ökonomisch übermächtig, verfügt über den gesamten Reichtum und die Ressourcen des Planeten und bedroht sich gegenseitig mit einem ungeheuren militärischen Potenzial, mit dem es zugleich kollektiv den Rest der Menschheit in Schach hält.

Ich spreche über die kleine Schicht von Global Players, den paar tausend Superreichen und Mächtigen des Finanzkapitals, der Herrscher über Börsen und Finanzströme, der Manager der Großbanken und monopolistischen Weltkonzerne und ihren Parteigängern, Lobbyisten und Lakaien in Politik, Wissenschaft, Kultur und Militär.

Das Video über die Goldman Sachs Bank, das Gregor Flock dankenswerterweise in seinen Artikel eingebaut hat, beleuchtet hervorragend, mit wem es die Welt zu tun hat – unbedingt anschauen!

Dieses Lager gab es auch schon früher. Es ist das Produkt des herrschenden Wirtschaftssystems von sich hochzüchtendem Kapitalismus, der per innerer Gesetzmäßigkeit wachsen, sich ausbreiten, konzentrieren und zentralisieren muss – ohne Rücksicht auf Verluste und bis zur Selbstzerstörung und gegenseitiger Zerfleischung.

Aber die Welt ist heute am Ende dieser Entwicklung angelangt. Die inneren ökonomischen Widersprüche sind nicht mehr nur unlösbar, sondern zerreißen die Weltwirtschaft mit fatalen Folgen für Umwelt, Klima und Lebensraum und Überlebensmöglichkeiten von immer größeren Menschenmassen.

Wachstum, sowohl quantitativ als vermehrt auch qualitativ, stößt an planetare Grenzen. Wirtschaftskonzentration und Zentralisation der Macht übersteigen die Grenzen und Möglichkeiten der Staaten, die damit historisch ihren Sinn und Zweck verlieren.

Das Lager der faktischen Weltherrscher und ökonomischen Warlords hält sich an keinerlei Rechtsprechung und entzieht sich jeder Kontrolle; man kann sie nicht abwählen oder ihnen gut zureden oder sie bitten, Skrupel, Empathie und Gnade zu entwickeln. Das sind die Marionetten und Charaktermasken des Systems (siehe Goldman Sachs Video), welches sich die seelenlosen Typen heranzüchtet, die es braucht.



Die geknechtete Menschheit – 99%

Das andere Lager bilden die siebeneinhalb Milliarden Menschen auf der Erde, die überall auf der Welt arbeiten, ihr Leben organisieren und nach ihren Vorstellungen in Gesellschaften leben wollen, wie es sich aus ihren Traditionen, Erfahrungen und Möglichkeiten ergibt.

Aber diese Chance hat heute niemand auf der Welt. Alle sind funktionalisiert und instrumentalisiert und werden gnadenlos ausgebeutet. Man zwingt sie, ihren Lebensraum, ihre Gesundheit, ihre Zukunft zu zerstörten. Jedes bisschen Luft und Wohlstand in einer Gegend geht zulasten von Not und Elend an anderer Stelle des Globus.

Wenn ihre Arbeit keinen Gewinn mehr abwirft, werden sie ausgemustert, abgehängt und ausgehungert. Die planetare Menschheit ist im herrschenden System der Weltwirtschaft nur eine notwendigerweise (durch Mikroelektronik und Robotik) immer kleiner werdende Verfügungsmasse zur Profitmaximierung. Immer mehr Menschen verlieren ihre Arbeit, werden ökonomisch überflüssig und uninteressant.

Man macht sich nicht einmal mehr die Mühe, Hunderte Millionen Menschen in abgeschriebenen Weltregionen auszubeuten. Sie sind abgeschrieben, verzweifeln und sind dabei, den Existenzkampf in Mad-Max-Ländern mit zusammenbrechender Arbeitsgesellschaft und sich auflösenden staatlichen Strukturen zu verlieren.

Die herrschenden Zentralen der Weltwirtschaft halten den Daumen drauf. Man überlässt sie Endlösungen durch Hunger-, Dürre- und Überschwemmungskatastrophen und fördert die Entwicklung durch Waffengeschäfte mit Banden-, Miliz- und Religionsterrorismus.

Selber haben die Zentralregionen der Weltwirtschaft nur noch ein Interesse, dass die Flüchtlingsströme nicht bei ihnen hineinkommen, sondern schon vor den Zäunen und Mauern, auf den Inseln und auf den Passagen über die Meere umkommen.

Wir haben nur eine Zukunft, wenn wir …

Dabei braucht die Menschheit keinen ökonomisch sinnentleerten Finanzkapitalismus, keine Goldman Sachs Banken, keine Börsen als Zockerplätze und Spielbanken. Die Welt braucht das herrschende, pervertierte Wirtschaftssystem nicht.

Staaten sind keine Pflöcke ökonomischer Sicherheit mehr. Sie können pleitegehen und zerfallen. Nationalstaaten funktionieren zunehmend nur noch als Aufsichts- und Disziplinierungsinstitutionen für verzweifelt und wütend werdende Bevölkerungen.

Weltweit existiert neben dem Elend eine bestens ausgebildete, fachlich fitte Menschheit und eine ausgezeichnete junge Generation, die die Welt neu sortieren, die planetaren Wunden des jetzigen Niedergangs und bevorstehenden Zusammenbruch heilen kann.

Die Menschheit braucht den herrschenden Finanzkraken nicht, im Gegenteil. Nur ohne die Bestie kann Zukunft gestaltet werden.

Aber wie gesagt, wir werden sie nicht demokratisch abwählen können. Sie werden nicht von Saulus zu Paulus mutieren und die Waffen aus der Hand legen. Wir müssen kämpfen.

In jedem Land an der gleichen Front, die sich in breitester Mannigfaltigkeit präsentiert und die überall auf der Welt die verschiedensten Formen von Widerstand, Kampf, Gegenwehr und Zukunftsprojekten entwickelt – und zwar heute schon, nur viel zu isoliert und vereinzelt.

Der Kampf hat längst begonnen!

Auch wenn uns eine Lückenpresse das ganze Ausmaß der Kämpfe und Bewegungen vorenthält, durch die heutigen Kommunikationsmöglichkeiten, durch die wachsende Zahl weltweiter, unabhängiger Grassroots-Medien (wie zum Beispiel auch die Neue Debatte und Unsere Zeitung) kommt die Wahrheit doch an das Licht:

Die Wahrheit über riesige Massenstreiks für bessere Lebensbedingungen und gegen arbeiterfeindliche Politik, die Wahl von antikapitalistischen Grassrootsparteien wie Podemos in Spanien, die unzähligen Aktivisten in den Umweltschutzorganisationen, die Massenbewegungen in den USA gegen Rassendiskriminierung, die Kämpfe der Frauen gegen patriarchalische Foltermethoden wie Beschneidungen, der politische Widerstand gegen Korruption und Mordkommandos in den Favelas und Slums von Ländern wie Brasilien, das Aufbäumen gegen US-imperialistische Hinterhofpolitik in Latein- und Mittelamerika, nicht zu vergessen die großartige „Occupy Wall Street“-Bewegung, die sich selber so vorstellt:

Occupy Wall Street is a leaderless resistance movement with people of many colors, genders and political persuasions. The one thing we all have in common is that We Are The 99% that will no longer tolerate the greed and corruption of the 1%. We are using the revolutionary Arab Spring tactic to achieve our ends and encourage the use of nonviolence to maximize the safety of all participants. (http://occupywallst.org/)

Völker sind nicht depressiv und lethargisch, ganz im Gegenteil. Wenn wir überall begreifen, dass wir alle den gleichen Kampf gegen dieselben Gegner führen, wenn wir begreifen, wo Freund und Feind stehen, wenn die vielen Quellen und Rinnsale zu einem ordentlichen Fluss der Solidarität zusammenfließen, wenn die Militärmaschinerie nicht mehr produziert und erneuert wird und niemand mehr in nationalistischem Wahn auf seinesgleichen schießt, dann hat diese Welt noch eine Zukunft – aber nur dann!

Darum müssen wir uns kümmern und Gedanken machen, nicht aber über Partnerschaft mit US-Milliardären, Freundschaft mit russischen Oligarchen oder blamabler Machtverteilung in der NATO.

Der Beitrag erschien zuerst auf Neue Debatte, Kooperationspartner von Unsere Zeitung.


Foto: Europa bei Nacht (NASA, gemeinfrei); Titelbild: PixelAnarchy (pixabay.com) – Creative Commons CC0

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