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Missbrauchte Demokratie in Spanien

Der erste Zorn über das Vorgehen der spanischen Regierung gegen die Vorbereitungen des Referendums über die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien ist verraucht, ein bitterer Geschmack jedoch ist geblieben. – Ein Kommentar von Jairo Gomez

Was ist passiert?

In der ersten Jahreshälfte kündigte die Generalitat, so wird die autonome Landesregierung Kataloniens genannt, an, dass man am 1. Oktober diesen Jahres das oben genannte Referendum abhalten werde. Sofort erfolgten die ersten Maßregelungen aus Madrid in Richtung der Generalitat, man möge sich an geltendes Recht halten, andernfalls werde man dagegen angehen.

Die katalanische Seite

In Barcelona hat man sich nicht davon beeindrucken lassen und die Vorbereitungen anlaufen lassen. Dazu gehörte natürlich auch, die Werbetrommel innerhalb der Bevölkerung zu rühren. Damit wurden nicht nur Hoffnungen geweckt, sondern auch schlafende Hunde. Es kulminierte gestern in der Festnahme von 14 hochrangigen Funktionären der Generalitat, die an den Vorbereitungen des Referendums teilgenommen hatten, Hausdurchsuchungen seitens der Guardia Civil in Räumen von Zeitungen, die es befürworten und der Beschlagnahmung aller Stimmzettel für das Referendum. Hinzu kommt, dass spanische Funktionäre aus Madrid die Finanzgeschäfte in Katalonien übernommen haben.

Die seit 1978 in der Verfassung des spanischen Staates festgeschriebene Autonomie Kataloniens ist damit de facto nach fast 40 Jahren aufgehoben. Nach 1714, 1934 und 1939 zum 4. Mal.

Ein wahrlich schwarzer Tag in der Geschichte der Demokratie Spaniens. Verantwortlich dafür sind meines Erachtens beide Seiten. Sowohl Madrid als auch Barcelona haben die Demokratie und den Rechtsstaat als Instrumente missbraucht, um einen Machtkampf auf dem Rücken der Bevölkerung in ganz Spanien auszufechten, die Regierenden in beiden Lagern haben sich verantwortungslos verhalten.

Der Wunsch des katalanischen Volkes nach einer Unabhängigkeit von Spanien ist in meinen Augen vollkommen legitim. Sie haben eine eigene Sprache und eine eigene Kultur. Das mag diejenigen verwundern, die lediglich die Sonne und die Strände Spaniens im Sommer genießen , wer sich aber tiefer mit der Geschichte der Iberischen Halbinsel beschäftigt, der wird bald merken, dass das Gebiet des heutigen Kataloniens seit der Antike ständig unter einer wechselnden Fremdherrschaft stand. Kastillien/Madrid hat stets von den Verbindungen Kataloniens zum westlichen Mittelmeer profitiert und hat es bis heute deswegen nie in die Unabhängigkeit entlassen. Der Wunsch danach ist aber bei den Katalanen nie erloschen.

Diesen latent vorhandenen Wunsch haben sich Männer wie Carles Puigdemont, der amtierende Ministerpräsident Kataloniens und seine Vorgänger Jordi Pujol und Artur Mas sowie der Parteivorsitzende der katalanischen linksnationalistischen Partei ERC,  Oriol Junqueras und andere radikale separatistischen Kräfte, zunutze gemacht.

Pikantes Detail:Die drei erstgenannten kommen nicht wirklich aus dem radikal separatistischen Lager, sie sind eher ideologische Erben von Francesc Cambó, einem katalanischen Politiker der 1930er Jahre, der ein Befürworter der formalen Autonomie Kataloniens war.

Der Grund, warum die drei damit begonnen haben, die Unabhängigkeitskarte zu spielen, ist wohl der, dass sie wie viele andere Politiker in Spanien auch, in Korruptionsfälle in Millionenhöhe verstrickt sind. Gegen sie oder zumindest gegen ihr Umfeld wird schon seit geraumer Zeit, seitens der Antikorruptionsbehörde ermittelt. Unwahrscheinlich wäre es also nicht, wenn sie sich durch eine Unabhängigkeit Kataloniens dem Zugriff dieser Behörde hatten entziehen wollen.

Der katalanischen Öffentlichkeit hat jedenfalls die gesamte Gruppierung vorgegaukelt, eine Unabhängigkeit von Spanien wäre ein leichtes Unterfangen und alles würde seinen gewohnten Gang gehen. Die Konsequenzen aber, die sich aus einer Sezession von Spanien ergeben, hat man völlig ausgeblendet. Fragen wie zukünftige Währung, Geschäftsbeziehungen, Grenzziehungen, Zugehörigkeit zur EU, vor allem aber die der Reaktion Madrids sind in der Werbung für die Unabhängigkeit nicht existent gewesen. Das Maß an Verantwortungslosigkeit gegenüber den Bürgern Kataloniens seitens der Generalitat ist mit so einem Vorgehen kaum zu überbieten.

Die spanische Seite

In Madrid hat man sich keinesfalls besser verhalten. Zwar hat der spanische Ministerpräsident, Mariano Rajoy, bei seinem Statement zur Lage betont, er habe immer Gesprächsbereitschaft gegenüber Barcelona signalisiert, ich mag es ihm aber nicht völlig glauben, immerhin kam ja schon bei seiner Zeugenaussage in einem Korruptionsfall, in dem seine Partei involviert war, heraus, dass er es mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt.

Statt also mit Fingerspitzengefühl zu arbeiten, wurden nach der Bekanntgabe, man wolle in Katalonien ein Referendum über die Unabhängigkeit abhalten, sofort Drohungen und Anschuldigungen in Richtung Barcelona abgefeuert. Zunächst also die „Light Version“ alter Methoden aus vergangenen Zeiten. Als man aber in Barcelona davon unbeeindruckt blieb, wurden in den letzten Tagen Festnahmen, Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchgeführt, so als ob der Geist des Generalissimus Franco durch die Städte Katalonien geweht wäre.

Wie eine Standarte hat man dabei den Artikel 155 der spanischen Verfassung von 1978 vor sich hergetragen, um zu demonstrieren, dass man nach Recht und Gesetz handelt, was ja auch formal stimmt, was aber wenige wissen ist, dass die spanische Verfassung von ehemaligen Angehörigen des Franco Regimes geschrieben wurde und dass dieser Artikel 155 eine Kopie des Artikels 33 der Verfassung unter Franco ist, was verhindern sollte und soll, dass eine der autonomen Regionen sich von Spanien unabhängig erklärt.

Nein, es gibt in Spanien keine Rechtsstaatlichkeit und mag Mariano Rajoy noch so sehr vor laufenden Kameras darauf pochen. Ein Mann der einer Partei vorsteht, deren Mitglieder sich mit mehr als 800 Anklagen wegen Veruntreuung, illegaler Parteifinanzierung, Vorteilsnahme im Amt, Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Bestechung und Bestechlichkeit, und einiges mehr konfrontiert sehen, solch ein Mann und eine solche Partei haben keinerlei Legitimität, anderen mit erhobenem Zeigefinger der Moral gegenüberzutreten.

Julio Anguita, ein hochgeachteter linker Politiker in Spanien, sagte zum Katalonien Konflikt befragt: „Es rasen zwei Züge aufeinander zu, dessen Lokführer korrupte und törichte Dummschwätzer sind, die Züge werden von der Korruption gelenkt.“ Eine sehr treffende Beschreibung wie ich finde. Bisher blieb zum Glück der große Knall aus, es blieb friedlich. Dennoch waren es rabenschwarze Tage für die Demokratie in Spanien. Sie und das Volk sind von gewissenlosen Politikern missbraucht worden.

Wen soll es in solchen Zeiten wundern?

Bernardo Jairo Gomez Garcia wurde im spanischen Granada geboren und lebt seit 1967 in Deutschland. Sein Vater stammt aus Kolumbien, seine Mutter aus Spanien. Schon vor seinen Ausbildungen zum Trockenbaumonteur und Kfz-Lackierer entdeckte Gomez seine Leidenschaft für die Kunst. Er studierte an einer privaten Kunsthochschule Airbrushdesign und wechselte aus der Fabrikhalle ans Lehrerpult. 14 Jahre war Gomez als Spanischlehrer in der Erwachsenenbildung tätig. Seine Interessen gelten der Politik, Geschichte, Literatur und Malerei.

Titelbild: Catalunya vs Nigeria (Xavier Rondón Medina/flickr.com; Lizenz: CC BY-SA 2.0)

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