Und wie halten wir’s mit der Ethik?
Die Berichterstattung zum Mord am Mädchen Hadishat stört mich in mancher Hinsicht. Vor allem in ethischer.
Ein Kommentar von Kathrin Quatember (fireredfriederike.com)
Der Duden kennt den Begriff „Ethik“ als „Gesamtheit sittlicher Normen und Maximen, die einer verantwortungsbewussten Einstellung zugrunde liegen“. Nun stellt sich natürlich die Frage, was wir unter Verantwortungsbewusstsein verstehen. „Verantwortungsbewusst agieren“ hat so etwas zutiefst Vernünftiges und Zurückhaltendes.
Sich der eigenen Verantwortung bewusst sein. Wissen, dass das eigene Handeln – das, was wir sagen und tun (oder eben nicht sagen oder nicht tun) – unweigerlich Konsequenzen hat, die wir nur bedingt beeinflussen können. Je stärker die Reaktionen auf unser Tun sind und je größer unser eigener Einflussbereich ist, desto umsichtiger und überlegter sollten wir in dem sein, was wir tun. Die Antithese zu dem, wie der Boulevard funktioniert. Er richtet sich nach einem Normverständnis, dem Verantwortungsbewusstsein und Moral entgegenstehen – versteht man Moral als eine menschliche und empathische Grundhaltung mit der Absicht, anderen nicht zu schaden. Der normative Rahmen ist der der Reichweite und des Umsatzes: Je stärker negative Emotionalisierung und Polarisierung, desto erfolgreicher.
Die Folgen lassen sich in den Foren und auf Facebook ablesen: Bei Themen wie Migration oder Kriminalität (idealerweise lässt sich beides verbinden) gehen die Wogen in den Kommentaren der User*innen besonders hoch. Das Phänomen der oberflächlichen Headline-Debatten, bei denen es meistens nicht um den Inhalt des Artikels sondern um Allgemeineres geht (Flucht, Asyl, Ablehnung von „Nicht-Unsrigen“, Benennung von Feindbildern) schlägt voll zu. Die Schnelllebigkeit und vermeintliche Anonymität der Social Media und das Fehlen bestimmter Formen der Reaktion (Mimik, Gestik, Unmittelbarkeit, Stimmlage) tragen ihren Teil dazu bei. Unterfüttert von einem impliziten Moralverständnis, das relativ wenig mit Empathie zu tun hat und sich eher an einem „Mia san mia“ orientiert, definiert man sich in erster Linie über Ablehnung der Lebensweise anderer und klare Freund-Feind-Benennung.
Übrig bleibt, dass von Seiten des Boulevard im Sinne der Reichweite Artikel in die sozialen Netzwerke geschmissen werden, ohne sich der eigenen Verantwortung bewusst zu sein. Bewusste Provokation. Moderiert wird so gut wie nicht, die Verantwortung wird abgegeben an andere, die versuchen, die moderierende und intervenierende Rolle übernehmen. All das hat wenig mit journalistischer Ethik zu tun. Oder einem über die journalistische Arbeit hinausgehenden Verantwortungsbewusstsein.
Ein Beispiel dafür ist die Berichterstattung über die Familie der in Wien getöteten Hadishat. Die „Kronen Zeitung“, „Österreich“ und „heute“ überbieten einander mit Artikeln über die Familie, die Art und Weise, wie das Mädchen starb (ohne auf die Details zu verzichten) und natürlich dem steten Hinweis auf die Herkunft und dass der Familienvater wegen Visumsproblemen in Italien in Haft sitzt. Auf dem Titelblatt der Tageszeitung „Österreich“ zitiert man den Psychiater Reinhard Haller mit „Es war ein Racheakt“ über dem Titel „Alle jagen Mädchen-Killer“. Unterstrichen wird das Ganze noch durch Bilder des Mädchens sowie der weinenden Mutter. Von User*innen kommen nun Aussagen, die Familie hätte sich nicht um das vermisste Mädchen geschert (nach stundenlanger Suche wurde die Polizei alarmiert, nach Meinung mancher zu spät), hätte nichts anderes im Kopf als eine neue Wohnung (ein legitimier Wunsch, nicht in unmittelbarer Nähe zum Tatort wohnen zu bleiben) und eigentlich wär’s eh logisch, dass unter Tschetschen*innen so etwas passiere. Selber schuld, geheuchelte Trauer der Mutter, Vernachlässigung, typisch Ausländer.
Kurzum: Übrig bleibt die Erzählung einer „fremden“ Familie mit kriminellem Vater, die sich nicht weiter um die vermisste Tochter gekümmert hätte und eigentlich eh nicht „hierher“ gehöre. Und einem „fremden“ Täter, der eigentlich auch nicht hierher gehört. Wären alle miteinander nicht „hier“, wäre das alles nicht passiert. Untermalt von grausigen Details über die Tötung.
Nun kann man sagen: Ja aber die Familie hat doch freiwillig mit diesen Medien gesprochen. Man könnte dann die Frage stellen, inwieweit das Verantwortungsbewusstsein groß genug ist, diese Menschen einfach in Ruhe zu lassen. Zu sagen: Lassen wir Zeit vergehen. Nehmen wir Abstand. Oder gewisse Details einfach auszusparen. Die Tat an sich ist schrecklich genug. Wir bedienen die Gier nach Sensation nicht noch weiter. In Verantwortung Hadishat und ihrer Familie gegenüber, für die nichts mehr so sein wird wie vorher.
Bevor jemand meint, ich wolle eine Einschränkung der Pressefreiheit: Nein. Natürlich nicht. Es geht schlicht um die Frage, wie man mit Informationen und vor allem Sprache umgeht und ob man sich der eigenen Macht über die Schlagzeilen, die Erzählungen und deren Folgen für die öffentliche Meinung bewusst sein möchte. Ob man als Medium, als Redakteur*in ethisch handelt oder eben nicht.
Zuerst erschienen auf fireredfriederike.com, Kooperationspartner von Unsere Zeitung.