AktuellEuropaInternationalÖsterreichStandpunkte

Türkis-Blau entsorgt Kreisky‘s Nahostpolitik!

Außenminister a.D. Erwin Lanc hat vor kurzem seinen 88. Geburtstag gefeiert. Er überblickt somit – wie kaum ein anderer in Österreich – die innen- und außenpolitischen Entwicklungen seit den 60er Jahren. Im Gespräch mit Fritz Edlinger (Herausgeber der Zeitschrift „International“) erörtert er Fragen zur Außenpolitik, den internationalen Beziehungen sowie auch der latenten Krise der europäischen Linken.

International: In den letzten Jahren ist es in Europa zweifellos zu einem beträchtlichen politischen Rechtsruck gekommen, zuletzt auch bei den Wahlen in Italien. Zum einen sind rechte nationalistische Parteien deutlich stärker geworden, aber auch traditionelle bürgerliche Zentrumsparteien sind davon nicht verschont geblieben.

Lanc: Da gibt es einmal eine Ursache, die jene Länder betrifft, die als Letzte in die Europäische Union gekommen sind. Der Übergang vom – wenn auch heftig bekämpften – Stalinismus zur Demokratie ist erheblich gestört worden dadurch, dass die erste Generation  sehr flott zu neoliberalen Verhaltensweisen bis hin zu beträchtlicher Korruption übergewechselt hat, was wiederum viele Menschen in diesen Ländern, die sich jetzt ein besseres Leben erhofft hatten, enttäuschte. In dieser Situation hat sich dann die Rückbesinnung auf nationalistische Werte durchgesetzt, gewissermaßen als Kontrapunkt zum Stalinismus einerseits und zum ungezügelten neuen Kapitalismus andererseits. Nationalismus scheint für gewisse Leute noch immer ein Hort von Sicherheit, der Selbstbestimmung und der wahren Unabhängigkeit zu sein. In Ost-Deutschland ist z.B. die AfD dort am stärksten, wo seinerzeit die SED herrschte. Viele Menschen fühlen sich dort nach wie vor als Bürger zweiter Klasse. Ich habe hier interessante persönliche Erfahrungen mit aus Deutschland stammenden Beschäftigten im heimischen Tourismus gemacht. Auf meine Frage hin, woher sie den seien, habe ich immer wieder die Antwort aus Ost-Deutschland erhalten und sie arbeiten lieber in Österreich, denn hier werden sie als Deutsche anerkannt, zuhause seien sie Ossis.

In Westeuropa laufen die Dinge etwas anders. Da gibt es eine große Enttäuschung über die mangelhafte Leistungsfähigkeit der Europäischen Union, was „denen in Brüssel“ angelastet wird, ähnlich wie man früher in Österreich vom Wasserkopf Wien gesprochen hat. Bis vor wenigen Jahren war der Nationalismus in Westeuropa nicht allzu stark ausgeprägt, aber in Zusammenhang mit dieser  Unzufriedenheit mit der EU und auch mit aufgetretenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist auch hier nun die Tendenz stärker geworden, für alles, was einen nicht gefällt, jene verantwortlich zu machen, die – unter welchem Titel auch immer, als Flüchtlinge, Zuwanderer oder auch als Pflegepersonal aus der ehemaligen Tschechoslowakei – neu hierher gekommen sind.

International: Noch einmal kurz zurück zur Situation in den ehemaligen O-Blockstaaten. War es nicht auch so, dass in den schwierigen Zeiten der Transition doch auch aus dem Westen eine jahrelange Unterwanderung stattgefunden hat? Wo also mit beträchtlichem Aufwand von westlichen Regierungen, Stiftungen etc. Parteien und Organisationen aufgebaut worden sind, die eine möglichst rasche Eingliederung in das neoliberale westliche Lager sicherstellen sollten? In der Ukraine war dies doch recht eindeutig.

Lanc: Der Einfall Georgiens in Südossetien war auch in Washington budgetiert, hat israelische Militärexperten beschäftigt, ich kenne viele Menschen, die guten Glaubens lange Zeit in der Ukraine Frau Timoschenko unterstützt haben. Es ist auch zu Beginn der orangenen Revolution kaum  darüber berichtet worden, dass am Maidan plötzlich zehntausende orangene T-Shirts aufgetaucht sind, die zu den Menschen gekarrt worden sind, schön fein in Plastik verpackt. Das war alles finanziert, in diesem Fall vom Endowment der Demokratischen Partei und dahinter stand Clinton.

International: In diesem Zusammenhang existiert ja auch eine Erklärung, von manchen als haltlose Verschwörungstheorie abgetan, wonach diese massive Unterstützung liberaler Gruppen in Osteuropa eine Methode der USA war und ist, Europa insgesamt zu schwächen. Was hältst Du davon?

Lanc: Nun das ist einmal auf jeden Fall weitaus billiger als ein Krieg. Was Soros betrifft. Ich bin zwar kein Soros-Experte, ich weiß aber nur Eines, dass die NATO-Presseabteilung  zum Beispiel im Vorlauf der Einbeziehung Kroatiens in die NATO und in die EU dort umfangreiche Seminare für junge Menschen veranstaltet hat, um sie zu beeinflussen. Derartige Programme hat es meines Wissens in allen Nachfolgestaaten Jugoslawiens gegeben. Diese Programme hat die Soros-Stiftung damals mitfinanziert.

International: Mit solchen Programmen wurden seit Ende der Vierziger/Anfang der Fünfziger Jahre ja zehntausende junge westeuropäische Politiker und Journalisten beeinflusst, Böswillige meinen gekauft.

Lanc: Das ist richtig, ich kann mich daran erinnern, dass bereits Ende der Vierziger Jahre junge Sozialisten aber auch Konservative von den Amerikanern zu Seminaren, Tagungen und ähnlichen Veranstaltungen  eingeladen worden sind.


JETZT ABO FÜR ZEITSCHRIFT INTERNATIONAL BESTELLEN UND ERST 2019 BEZAHLEN!

Wir möchten auf die bis 31.12.2018 laufende Abo-Werbeaktion der Zeitschrift „International“ verweisen. Bei Abobestellung bis dahin sind – zusätzlich zum üblichen Buch-Willkommensgeschenk – die Hefte III und IV/2018 kostenlos, das Abo ist erst für 2019 fällig. Die derzeit gültigen Abopreise sind im Inland € 25,- und im Ausland € 50,-.

BESTELLFORMULAR AUSFÜLLEN!


International: Zu einem anderen Thema: Die europäische Linke, wen man jetzt immer genau dazu zählen möchte, ist seit geraumer Zeit zweifellos in einer schweren Krise. Sie hat Anhänger und Mitglieder verloren, was noch gravierender ist, sie hat eine klare politische Linie und eine Zielrichtung verloren. Manche meinen, dass der Sündenfall der europäischen Sozialdemokratie in den 80er und 90er Jahren geschehen ist, als junge erfolgreiche Parteiführer wie Toni Blair oder Gerhard Schröder neoliberale Gedanken in die sozialdemokratischen Programme einfließen ließen.

Lanc: Der junge Dahrendorf hat ja den legendären Ausspruch getätigt, dass die Sozialdemokratie nicht mehr gebraucht werde. Das hat er ja nicht aus dem Bauch heraus gesagt, es war damals eine Reaktion auf das Auftreten von „new labor“. Es hat damals auch Wallfahrten junger österreichischer Sozialdemokraten nach London gegeben.

Man hat damals die Illusion gepflegt, dass der Markt eben alles regeln könnte und man nur darauf schauen müsste, für jene Menschen, die von ihrer Arbeit leben, ein größeres Stück aus dem Kuchen zu erhalten. Das ist nun eindeutig in die Hose gegangen und hat teilweise sogar zu unsozialen Folgewirkungen, Stichwort Hartz 4, geführt. Das hat aber auch zum Verlust des Vertrauens weiter Kreise geführt, die keineswegs vom großen  Aufschwung der Wirtschaft profitiert haben.

Die haben nicht mehr an die Gestaltbarkeit einer für sie entscheidenden Politik durch die Sozialdemokratie geglaubt. Zurecht. Das gilt es, zu korrigieren.

„Die Auswüchse des spekulativen Finanzkapitalismus bekämpfen!“

Die heutige Sozialdemokratie muss sich in erster Linie dem Kampf gegen die Auswüchse eines rein spekulativen Finanzkapitals mit den entsprechenden Folgen für die Märkte und den entsprechenden Folgen für die davon betroffenen Menschen widmen. Daran ändert auch nicht, dass insgesamt weltweit der Anteil derer, die über dem Existenzminimum leben, etwas größer geworden ist. Das ist ein schwacher Trost für jene, die noch immer am oder unter dem Existenzminimum leben müssen. Für die Arbeitnehmer in der sogenannten entwickelten Welt besteht das Problem großteils darin, dass sie davon kaum etwas sehen, ja sogar Gefahr laufen, dass ihnen im Falle von Krisen noch etwas weggenommen wird, indem man bei den Kosten für die Arbeitskräfte einspart.

International: Hat gegenwärtig nicht die Sozialdemokratie auch das Problem, dass sich ihre – zumeist ja ohnedies nur sanft vorgetragene Kritik am herrschenden neoliberalen Wirtschaftssystem und seinen Auswirkungen –  oberflächlich betrachtet wenig von der Kritik unterscheidet, die von rechten populistischen Parteien kommt? Kritik am Finanzkapital gibt es auch aus dieser Richtung. Man kann ja bereits seit Jahren an den Wahlresultaten abmessen, dass hier die Glaubwürdigkeit der traditionellen Linken bei ihren früheren Kernwählerschichten nicht mehr vorhanden ist.

Lanc: Da ist zweifellos ein gewisser Einbruch passiert. Mir sind hier keine fundierten Daten bekannt, sodass ich nicht genau weiß, welche Gründe tatsächlich dazu geführt haben, dass sich Wähler von der Sozialdemokratie abgewandt haben. Eines weiß ich aber sicher, dass die Agitation von rechts dazu dient, Ersatzfeindschaften zu schaffen und damit von den wahren Ursachen abzulenken. Die Lösungen, die man da anbietet, wie wieder Kompetenzen aus Brüssel zurückzufordern und sich von nationalstaatlichen Politiken Verbesserungen zu erwarten, sind ja völlig untauglich. Gleichzeitig betreibt man aber einen schamlosen Sozialabbau, das hat sich ja in Österreich bereits in den letzten Wochen ganz deutlich gezeigt. Das gilt aber nicht für alle dieser rechten Parteien. In Polen zum Beispiel hat die Regierung eine Reihe von Sozialmaßnahmen für kinderreiche Familien und ähnliches gesetzt, was genau das Gegenteil von dem ist, was die Regierung Kurz/Strache in Österreich macht. Man bedient sich also ziemlich der Argumente, von denen man annimmt, dass sie am ehesten ankommen, aber dahinter steckt zweifellos ein tiefes Misstrauen gegenüber einer funktionierenden Demokratie. Nun ist diese Kritik an Brüssel nicht ganz unbegründet, man bemüht sich aber von dieser Seite überhaupt nicht, einen echten Gegenvorschlag für eine Demokratisierung der Europäischen Union zu machen. Man kritisiert nur und sagt, dass das Heil im Nationalismus, im Nationalstaat liegt.

Die zweite ganz wesentliche Komponente ist natürlich der plötzliche Zustrom von Ausländern. Jetzt hat man einen greifbareren Feind, mit dem man argumentieren kann. Die von Brüssel und manchen Nationalstaaten unterlassenen Maßnahmen seien daran schuld, dass so viele Menschen kommen. Man sagt aber nicht, worin ihrer Meinung nach die wirkliche Gefahr des Zuzuges dieser Menschen besteht. Es geht dann so weit, dass der Herr Strache sogar die Slowakinnen, immerhin 50 bis 60.000, die man als Pflegerinnen dringend benötigt, nicht mehr ins Land lassen möchte. Und niemand, weder von den Politikern noch von den ach so mutigen Journalisten sagt: dieser Mann muss weg, denn er gefährdet unsere Alten. Stattdessen argumentiert man nur damit, dass wir für die Freizügigkeit der Arbeitskräfte sind. Das ist dem Durchschnittsbürger egal, nicht egal ist es ihm aber, dass seine Oma und sein Opa gepflegt werden. Dort muss man ansetzen! Die Argumentation jener, die gegen eine derartige Politik ankämpfen wollen, ist einfach zu abstrakt und dementsprechend groß ist auch der Misserfolg. Und dementsprechend groß ist auch die Anpassungswilligkeit jener Konservativen, die eigentlich aufgrund ihrer Nähe zur christlichen Religion  ganz anders handeln müssten.

International: Einer der Kardinalfehler der europäischen Sozialdemokratie liegt wohl darin, dass man sich von den Illusionen der Blairs und Schröders nicht befreien konnte. Es gibt aber doch auch Beispiele, Corbyn in Großbritannien,  eventuell auch Podemos in Spanien, wo man mit „alten“ linken Programmen sehr wohl Erfolg erzielen konnte. Sanders hat ja wohl seinen Wahlerfolg nicht deshalb erzielt, weil er so fotogen ist, sondern weil er den Mut hatte, das bestehende neoliberale Wirtschaftssystem radikal infrage zu stellen.

Lanc: Hier muss man zunächst doch darauf hinweisen, dass sich die Situation in Großbritannien mit jener in weiten Teilen von Kontinentaleuropa also vor allem Frankreich, auch Deutschland und Österreich, doch deutlich unterscheidet. Die Sozialstandards hier sind wesentlich höher als jene, die Thatcher in Großbritannien herbeigeführt hat. Daher ist die kleinräumige Sozialargumentation dort sicherlich wirkungsvoller als bei uns, denn das, was Corbyn und auch Sanders verlangen, haben unsere Leute ja schon lange. Man kommt also um eine Blickerweiterung auf jene  nicht herum, wer tatsächlich den Markt zu gigantischen Gewinnen missbraucht. Durch Zufall lese ich da im Jänner, dass der große Hedgefonds Bridgewater mit Datum 30.4. eine Wette auf niedrigere Börsen- und Aktienkurse eingegangen ist. Tatsächlich haben sich in den Monaten Jänner, Februar, März und April deutliche Kursverluste ergeben. Sie haben zwar mit 15 Milliarden USD nur 10 Prozent ihres Kapitals eingesetzt, werden aber per 1.5. gigantische Gewinne eingestreift haben. Mit dieser Spekulation wurde absolut nichts bewegt. Das ist nichts anderes als die missbräuchliche Fortsetzung des alten Instrumentes von Termingeschäften. Vor zwei Jahren gab es eine Untersuchung über die Chicagoer Börse, welche ursprünglich eine reine Warenbörse gewesen ist, wonach inzwischen 30 Prozent ihres Geschäftes reine Spekulationen sind. Es bahnt sich also im Bereich der Warenbörsen dieselbe Entwicklung an, die wir bereits von den Geldbörsen kennen. Diese Fehlentwicklungen aufzuzeigen und daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen, ist eine Überlebensfrage der Sozialdemokratie.

International: Zum nächsten Thema, das ich ansprechen wollte: die Außenpolitik. Du überblickst ja wie kaum ein Anderer in Österreich die österreichische Politik seit vielen Jahren, weit mehr als 50 Jahre, also noch zurück in die Zeit der letzten ÖVP-Alleinregierung in den 60er,  da Bruno Kreisky als neugewählter SPÖ-Chef und Oppositionsführer die Grundlagen seiner späteren Innen- aber auch Außenpolitik gelegt hat. Wie siehst Du mit Deiner langen Erfahrung die heutige Situation der Welt und Europas? Es gibt hier mit dem völligen Politikwechsel der USA  und dem allmählichen Heranwachsen neuer global player wie China aber auch Indien sowie der internationalen Migrations- und Flüchtlingsbewegungen, um drei besonders wichtige Herausforderungen zu nennen, jede Menge neuer und höchst gravierender Probleme. Europa ist von allem im höchsten Maße betroffen, scheint aber aus verschiedensten Gründen nicht imstande zu sein, in geeigneter Form darauf zu reagieren. Du warst eigentlich die längste Zeit Deiner aktiven politischen Laufbahn als Abgeordneter und Minister Politiker eines unabhängigen neutralen Kleinstaates, hast aber dann auch den Weg in die EU beobachtet und mitgestaltet. Haben sich unsere, Deine Erwartungen vom größeren, vereinigten Europa erfüllt?

Lanc: Der neue Wiener Bürgermeister Michael Ludwig hat vor kurzem erwähnt, dass er sich daran erinnern könne, dass ich seinerzeit ein Gegner des österreichischen EU-Beitrittes gewesen sei. Er hat recht. Ich war aus zwei Gründen dagegen: Der eine Grund war, dass wir trotz vieler Vorteile eine Menge an nationalen Gestaltungsmöglichkeiten verlieren. Dann gab es noch einen handfesten Grund, das lag im Bestreben der damaligen Europäischen Gemeinschaft, die Union ist ja erst später geschaffen worden, die von mir als Verkehrsminister mühsam eingeführte LKW-Maut zu Fall zu bringen, weil es die in der EG nicht gegeben hat. Was natürlich zu einer noch stärkeren Frequentierung unserer Straßen durch den Transit geführt hätte. Die Schweiz hat zum Beispiel Wege gefunden, ihre Interessen, auch im Verkehrsbereich, weitaus besser durchzusetzen. Insgesamt hatte ich auch damals den Eindruck, dass es in der Regierung Vranitzky eine gewisse Ratlosigkeit gegeben hat, was geschieht, wenn sie uns nicht nehmem. Können wir alleine reüssieren oder nicht? Eine durchaus legitime Sache in der Verantwortung eines Bundeskanzlers. Das könnte aber doch dazu führen, dass man Zugeständnisse macht, die man eigentlich nicht machen müsste. Ich habe mich dann entschlossen, nicht zu der Abstimmung zu gehen. Ich wollte auch der Regierung und der Partei nicht in den Rücken fallen. Zudem habe ich mich  in vielen Veranstaltungen davon überzeugen müssen, dass meine Position einfach nicht mehrheitsfähig war.

International: Bleiben wir gleich bei Deinem damaligen Hautpteinwand. Die aktuelle europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist zweifellos mit den Grundsätzen einer aktiven Neutralitätspolitik unvereinbar. Gerade in den letzten Tagen ist ja wieder heftig die Debatte über die Einrichtung einer europäischen Interventionstruppe geführt worden.

Lanc: Das wirft überhaupt die Grundfrage auf, wie und mit welchen Methoden Interessenkonflikte auf internationaler Ebene ausgetragen werden sollen.

Seit Machiavelli hat die Idee des Krieges als Mittel der Politik Eingang in die einschlägige Literatur gefunden, natürlich auch in die Überlegungen handelnder Politiker. Es gibt also nun die weitgehend akzeptierte und praktizierte Verhaltensweise großer mächtiger Staaten, dass es legitim ist, sich Vorteile durch Verquickung  militärischer und wirtschaftlicher Drohungen zu verschaffen. Ich persönlich habe die Überzeugung, dass es einen Handelskrieg, aber noch mehr einen Weltkrieg, einfach nicht geben darf.

Man leugnet damit alle Erkenntnisse des Weltkrieges. Man leugnet, dass innerhalb weniger Jahren 60 Millionen Menschen zu Tode gekommen sind. Man nimmt in Kauf, dass man Stellvertreterkriege führt, die zumeist zu mehr zivilen als militärischen Opfern führen und außerdem zu Fluchtbewegungen. Das wird alles geleugnet. Man glaubt, dass man durch eine gemeinsame Verteidigungspolitik stärker wird. Aber militärische Intervention nach außen ist eine Verleugnung aller Erkenntnisse bezüglich menschlichen Lebens und Überlebens, die wir aus dem vergangenen Krieg gewonnen haben. Verteidigung des eigenen Territoriums ist natürlich etwas anderes.

„Europäische Interventionstruppen lösen keine Probleme!“

Man kann auch der Meinung sein, dass das alles nur eine Finte sei. Manchmal ein bisschen Handelskrieg, dann ein wenig militärische Drohung, was kann schon passieren, außer, dass weit hinten in der Türkei etwas Krieg geführt wird. Nun heute ist das nicht mehr so wie damals. Denn hinten in der Türkei gibt es nicht mehr, diese war bis vor kurzem Aufnahmekandidat in der EU. Es ist so, wie bei einem Brand, wenn man noch weiter Öl ins Feuer gießt, so entsteht leicht ein Großbrand, der außer Kontrolle geraten kann. Und wenn irgendwo in der Welt zur Absicherung von politischen Lösungen tatsächlich eingegriffen werden muss, so sollte dies nur mit Polizeimethoden geschehen und die Truppen sollten auf jeden Fall unter dem Kommando der Vereinten Nationen stehen.

Erwin Lanc, ehemaliger Außenminister der Republik Österreich (1983/84), im Gespräch mit Fritz Edlinger (Zeitschrift „International“); Foto: Thomas Lehmann

International: Apropos Vereinte Nationen. Seit vielen Jahren wird von der Notwendigkeit einer umfassenden Reform der UNO gesprochen, es ist aber nichts geschehen. Jene, auf deren Kosten eine derartige Reform gehen würde, die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, kontrollieren ja die UNO und verhindern so jegliche Veränderung. Es stagniert ja nicht nur Europa bzw. die europäischen Institutionen, sondern es herrschen ähnliche Verhältnisse weltweit. Dies bedeutet, dass die Prinzipien des Menschen- und Völkerrechtes mit dem Bekenntnis zu gewaltlosen Konfliktregelungsmechanismen ignoriert werden, es nehmen militärische Interventionen ständig zu. Eines der wenigen positiven Beispiele der letzten Jahre ist der Atomdeal mit dem Iran. Offensichtlich liegt der Zweite Weltkrieg tatsächlich schon zu lange zurück.

Lanc: Sehen wir die Fakten an: Hauptsitz der UNO ist weiterhin die USA, Hauptfinancier der UNO ist weiterhin die USA. Ohne die USA ist noch kein UN-Generalsekretär bestellt worden, obwohl der gegenwärtige das Beste ist, was man sich wünschen kann. Die Struktur der UNO ist wie auch das Finanzabkommen von Bretton Woods unter US-amerikanischer Patronanz geschaffen worden, um die Dinge in der Welt zu regeln. Solange also die USA diese Rolle weiterspielen, wird in der UNO nur das geschehen, was die USA zulassen. Analysen gibt es genug, was kann man aber konkret tun? Meiner Meinung nach müssten sich Staaten, zum Beispiel die Europäer,  darauf verständigen, nicht eine eigene Kampfgruppe für Interventionen aufzustellen, sondern zu verlangen, das die Instrumente, welche in der Charta der Vereinten Nationen vorhanden sind, auch dort angewendet werden, wo es den dominanten Sicherheitsratsmitgliedern nicht so passt. Dazu bedarf es eines bestimmten Druckes. Es werden auch Leute kommen, die sagen, den kann man nur ausüben, wenn man selbst militärisch stark ist, was ich für lächerlich halte. Die EU würde sich ja selber ins Schwert stürzen, wenn sie ihren Bürgern jene finanziellen Belastungen aufbürdete, die in den USA gang und gäbe sind, um ihre Rüstung und Rüstungsforschung zu finanzieren. Es geht also darum, dass man öffentlich gegen die Politik der Handelskriege und der militärischen Stärke mobilisiert. Und hiebei kommt es dann darauf an, eine breite mediale Unterstützung zu mobilisieren. Und dabei ist  zu beachten, wer die Medien beherrscht. Das sind halt durch die Bank große Konzerne und mit diesen verflochtene Persönlichkeiten, die kein Interesse an einer Änderung des status quo haben. Es ist also nicht einfach.

International: Nun zum letzten Thema, das ich besprechen möchte: Die Nahostpolitik. Diese hat in Deinem politischen Leben immer eine besondere Rolle gespielt. Hier ist es ja ganz offensichtlich, welch radikaler Paradigmenwechsel in der österreichischen Außenpolitik durch die neue Bundesregierung stattgefunden hat, wenngleich sich das doch auch schon in den vergangenen Jahren schrittweise angedeutet hat. Dennoch ist es jetzt angesichts der Regierungsbeteiligung der FPÖ, einer Partei, die nach wie vor nahezu im Wochenrhythmus Probleme mit  antisemitischen und rassistischen Entgleisungen von Parteimitglieder und -funktionären hat, besonders bedenklich, wenn sich diese Regierung als „die israelfreundlichste österreichische Bundesregierung, die es je gegeben hat“ bezeichnet. Und damit nicht nur eine Haltung verlässt, welche Österreich über Jahrzehnte ausgezeichnet hat, sondern sich – gerade in Zeiten der neuen US-amerikanischen Nahostpolitik – mit einer Regierung, welche konsequent Menschen- und Völkerrecht bricht und das notorisch seit vielen Jahrzehnten, solidarisiert. Das aktuellste Beispiel ist auch der jüngste Besuch von Bundeskanzler Kurz in Israel, wo er zum ersten Mal seit der Errichtung der Palästinensischen Autonomieverwaltung offensichtlich bewusst darauf verzichtet, auch diese zu besuchen.

Lanc: Da gibt es zwei Komponenten, die von Bedeutung sind. Da ist einmal eine nationale.

Es haben sehr viele Menschen, sogar auch aus der FPÖ, siehe Strache, versucht, mehr oder minder alles zu akzeptieren, was Israel macht, unter dem Mantel, dass wir das den Juden und der Shoa schulden. So, als ob die Palästinenser die Shoa gemacht hätten.

Über die Motive der FPÖ möchte ich mich nicht weiter auslassen, sie liegen wohl auf der Hand. Das Zweite ist eine internationale Komponente. Israel hat es verstanden, auch in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen modernen Nachrichtenindustrie, Forschungen, teils sogar militärischer Art, für die USA zu bewerkstelligen oder in Zusammenarbeit durchzuführen. Die USA haben also, neben ihren Schlachtschiffen im Mittelmeer und im Golf aus Israel gewissermaßen ein Schlachtschiff an Land gemacht. Das bietet heute eine kostengünstige Vormachtstellung der USA in der gesamten Region. Das gewinnt auch an Bedeutung, da sich die USA ja im Irak einen blutigen Kopf geholt haben.

In Europa, im EU-Europa, ist es so, dass das ständige Schuldgefühl Deutschlands als Organisationsnation der Shoa jede kritische Aueinandersetzung mit Israel verhindert, wobei der Widerstand in vielen anderen Staaten nicht allzu groß ist. Das heißt, dass von Europa her kein Druck da ist, eher eine gewisse Verbrüderung mit Israel. Wenn jemand im ehemaligen Jugoslawien Kriegsverbrechen begeht, kommt er vors Haager Gericht, Bush ist für seine Kriegsverbrechen im Irak nicht vor Gericht gekommen und diejenigen, die dafür verantwortlich sind, dass es zu keiner menschlichen Lösung in Palästina kommt, ebenfalls nicht.

International: Der Richtungswechsel der Österreichischen Bundesregierung kommt für Viele im Ausland daher wohl gar nicht so ungelegen, da – wie Du ja gerade dargestellt hat – es  zu Israel zumeist spezielle Sonderbeziehungen gibt. Die deutsche Bundeskanzlerin betont das bei jeder Gelegenheit. Österreich hat sich dem angeschlossen, ganz im Gegenteil zu der absolut unzutreffenden, ja fast perversen Behauptung Straches, wonach sich die Bundesregierung als Nachfolger der Kreiskyschen Außenpolitik betrachte. De facto wird die Nahostpolitik Bruno Kreiskys von der neuen Österreichischen Bundesregierung endgültig entsorgt. Wenn man sich die aktuelle Situation im Nahen Osten ansieht, so kann man eigentlich nur noch eine Verschlechterung der Situation befürchten.

Lanc: Ich bin kein Prophet, aber es spricht Einiges dafür. Umso mehr müsste man eigentlich  daran gemahnen, dass es eine Menge an Beschlüssen der Vereinten Nationen gibt, die ständig negiert werden. Dazu bedarf es aber jemanden, der das aufdeckt. Die gegenwärtige Bundesregierung wird dies sicher nicht tun, die EU eher auch nicht, und dann ist nicht zu übersehen, dass sich in letzter Zeit die Positionen einiger Staaten, die bislang die Ambitionen der Palästinenser unterstützt haben, deutlich geändert haben. Da sieht es tatsächlich nicht gut aus. Und dazu kommt noch eine gewisse Hilflosigkeit der palästinensischen Autonomiebehörde. Mahmoud Abbas hat sich meiner Einschätzung nach bereits damit abgefunden, dass es halt so ist wie es ist, und er sich in erster Linie darauf konzentriert, das Leben der in den Autonomiegebieten lebenden Menschen so angenehm wie möglich zu gestalten. Das ist menschlich durchaus verständlich, es bedeutet aber, dass mangels entsprechenden Drucks von palästinensischer Seite auch keine internationale Bewegung zu erwarten ist. Man sieht das auch an der nationalen und internationalen Berichterstattung über die Massaker an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel. Da werden gerade Mal Fragen gestellt, ob es denn angemessen sei, mit scharfer Munition gezielt Demonstranten zu töten. Dann wird aber sofort darauf hingewiesen, dass die Hamas die Leute an die Grenze gehetzt hat, was so sicherlich nicht stimmt. Es ist wirklich extrem schwer geworden. Einen Ausweg kenne ich auch nicht.

International: Danke vielmals.

Das Gespräch hat Fritz Edlinger am 4.6.2018 geführt und erschien in Heft II/2018 von „International“, der Zeitschrift für internationale Politik, Kooperationspartner von Unsere Zeitung.
Fotos: Thomas Lehmann

Artikel teilen/drucken:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.