Technik & Unterhaltung

Bernhards musikalische Rumpelkammer – Best of 2018

Von Bernhard Landkammer

Aus unterschiedlichen Gründen hat sich Bernhards musikalische Rumpelkammer im Jahr 2018 nur einmal geöffnet und den Rest des Jahres als Kühlraum gedient. Das bedeutet allerdings nicht, dass keine großartige Musik erschienen wäre – ganz im Gegenteil.

Ob es an den zunehmend schlimmeren politischen Umständen liegt oder es Zufall ist: Viele der besten Alben des Jahres sind textlich und musikalisch politisch. Entsprechend stammt der Großteil der Highlights 2018 aus den Genres des (Post-)Hardcore und des Punkrock. Auch im Umfeld von Indie, Rap, Jazz und Metal konnte man allerdings Perlen entdecken.

Bevor die Rumpelkammer im Jahr 2019 ihre monatliche Rückkehr feiert, soll die Kälte einmal rausgelassen, und 2018 in den Fokus gerückt werden. Das hier sind die 25 stärksten Releases 2018 – wie immer, selbstverständlich, rein subjektiv.

25. The Armed – Only Love (Hardcore / Electronic)

24. J Mascis – Elastic Days (Singer / Songwriter)

23. Dödsrit – Spirit Crusher (Crust Punk / Black Metal)

22. Kamasi Washington – Heaven & Earth (Jazz)

21. Marteria & Casper – 1982 (Hip Hop)

20. Jesus Piece – Only Self (Beatdown)

19. Red Apollo – The Laurels Of Serenity (Sludge)

18. Thrice – Palms (Alternative / Post Hardcore)

17. Lance Butters – Angst (Hip Hop)

16. Lygo – Schwerkraft (Punk)

15. Pianos Become The Teeth – Wait For Love (Alternative / Indie Rock)

14. Pagan – Black Wash (Punk / Indie)

13. Rolo Tomassi – Time Will Die and Love Will Bury It (Metalcore / Post Hardcore)

12. Listener – Being Empty:Being Filled (Post Hardcore / Talk Music)

11. Murder By Death – The Other Shore (Americana / Indie Rock)

 

  1. Svalbard – It’s Hard To Have Hope

Treibender Hardcore, gepaart mit Elementen aus Black Metal und Post Rock, veredelt durch hochgradig politische, feministische und jederzeit persönliche Texte: „It’s Hard To Have Hope“ von SVALBARD ist ein Highlight aus dem Bereich des(Post-)Hardcore. Das beschränkt sich eben nicht nur auf die musikalische Ebene. Das zweite Album der Band aus England ist ein emphatisches Statement für mehr soziale Gerechtigkeit und gegen Misogynie. Es vertont den Kampf für mehr Hoffnung und die Möglichkeit eines gesellschaftlichen Wandels.

Anspieltipp

  1. Spanish Love Songs – Schmaltz

Für viele nach wie vor als Schimpfwort missbraucht, ist Emo im Jahr 2018 so lebendig wie lange nicht mehr. Neben famosen Alben von Bands wie Drug Church, Culture Abuse oder Tiny Moving Parts schickt das Midwestern-Emo-Revival mit „Schmaltz“ von SPANISH LOVE SONGS seinen stärksten Vertreter ins Rennen. Poppige Melodien, Hooks zum Niederknien, ehrliche, schonungslose Texte, Textzeilen für die Ewigkeit und eine Leidenschaft und Energie, die ihresgleichen sucht. Es bleibt zu hoffen, dass mehr Bands aus diesem Umfeld der Durchbruch gelingt.

Anspieltipp

  1. Zeal & Ardor – Stranger Fruit

Black Metal mit Gospel, R’n’B und einer Prise Punk zu würzen ist keine naheliegende Idee. Was in der Reaktion auf einen rassistischen Kommentar auf /reddit seinen Anfang genommen hat und auf „Devil Is Fine“ Realität wurde, hat Marcus Gagneux mit seinem Projekt ZEAL & ARDOR auf „Stranger Fruit“ nun nahezu perfektioniert. Eine druckvolle Produktion, soulig groovende Songs mit wütenden Blast-Beat-Ausbrüchen und Geschrei sowie elektronische Spielereien ergeben ein einzigartiges, stimmiges Gesamtbild.

Anspieltipp

  1. Respire – Dénouement

RESPIRE gehen auf „Dénouement“ schonungslos ehrlich, offen und poetisch mit dem Umgang mit Sucht und Abhängigkeit um. So offen, dass die Schmerzen der Erinnerung bereits auf dieser Ebene zu spüren sind. Ihren Post-Black-Metal ergänzen die Kanadier dabei um den Einsatz von Geige, Trompete und Glockenspiel. Der Widerspruch zwischen Härte und Verzweiflung auf der einen sowie Zerbrechlichkeit und Schönheit auf der anderen Seite wird dabei perfekt getroffen. Ein absolutes Highlight in einem an mittelmäßiger Ware nicht armen Genre.

Anspieltipp

  1. Deafheaven – Ordinary Corrupt Human Love

„Ordinary Corrupt Human Love“, das vierte Album von DEAFHEAVEN, spielt auf der Klaviatur der großen Gefühle. Wie seine Vorgänger wird es vom Wechsel zwischen verschleppten Passagen und Hochgeschwindigkeits-Blastbeats, perlenden Melodien und knackigen Riffs, laut und leise dominiert. Neben Hardcore- und Black-Metal-Elemente liegt der Schwerpunkt der Songs allerdings auf einer Mischung aus Shoegaze und Post Rock. So weit wie auf „Ordinary Corrupt Human Love“ waren DEAFHEAVEN noch nie von Metal im traditionellen Sinn entfernt.

Anspieltipp

  1. Matula – Schwere

Was tun, wenn die Sturm-und-Drang-Phase der Jugend vorbei ist? Wie geht man damit um, dass lange Nächten nicht mehr verkatert zelebriert werden können, sondern die harte Arbeitswelt wartet? Wie fühlt es sich an, wenn die beruflichen und privaten Verpflichtungen zunehmen, die Selbstzweifel aber nicht aufhören? Und wie handelt man, wenn man das Gefühl hat, dass es das jetzt war, das „Jetzt“ aber nur schwer zu ertragen ist? Diese Fragen fangen die Grundstimmung ein, die MATULA auf ihrem vierten Album erzeugen, das seinem Titel „Schwere“ in allen Belangen gerecht wird.

Wie gewohnt setzen MATULA auf unwiderstehliche Melodien und Harmonien, die ihren schrammeligen Indie-Punk seit ihrem Debüt „Kuddel“ bestimmen. Dabei gibt es in Sachen Tempo und Struktur auf „Schwere“ immer wieder hochemotionale Momente, seien es Rhythmus- oder Tonwechsel beim Einstieg in einen Refrain, oder fabelhafte Textzeilen. Nach einer vierjährigen Abwesenheit ist dieses Album ein weiterer Beweis dafür, wie sehr MATULA gefehlt haben. Schön, nicht allein zu sein.

Anspieltipp

  1. Birds In Row – We Already Lost The World

Still und heimlich haben sich BIRDS IN ROW in den letzten Jahren zu einer der besten Screamo-Bands der Gegenwart entwickelt. Um ein zweites „richtiges“ Album des französischen Trios hören zu dürfen, war Geduld gefragt, erschien „You, Me & The Violence doch bereits 2012, und auch die 2015 erschienen EP „Personal War“ hat bereits einige Jahre auf dem Buckel. Ebenso wie die schweißtreibenden Liveshows von BIRDS IN ROW der letzten Jahre ist „We Already Lost The World“ mehr als nur eine Entschädigung für die Wartezeit. Die hektischen, chaotischen Strukturen der Vorgänger sind nach wie vor vorhanden, nun allerdings in ausgereifterer Form.

Immer wieder geben BIRDS IN ROW auch Raum zum Atmen, lassen die Gitarren weitestgehend unverzerrt und trauen sich auch in Clean-Gesang-Gefilde. „We Already Lost The World“ ist daher das vielseitigste, dynamischste und insgesamt mitreißendste Album der Band. Die druckvolle Produktion steht diesem weiterentwickelten Sound ebenso hervorragend zu Gesicht. Auf textlicher Ebene ist die Verzweiflung über die scheinbare Sinnlosigkeit persönlicher und politischer Kämpfe abgebildet. BIRDS IN ROW waren schon immer mehr als eine weitere Screamo-Band. Mit „We Already Lost The World“ zementieren sie ihre Position weit oben an der Spitze.

Anspieltipp

  1. Fucked Up – Dose Your Dreams

FUCKED UP waren noch nie eine normale Band, sowohl musikalisch als auch in ihrem Auftreten. Aus der kanadischen Punk- und Hardcore-Szene sind sie nicht mehr wegzudenken und ein Fixpunkt für jüngere Bands. Nach unendlichen Konzertreisen, ihrem unermüdlichen Output an 12“-Singles und vier Studioalben veröffentlichen FUCKED UP mit „Dose Your Dreams“ nach längerer Pause ihr bereits fünftes Album. Während der relativ straighte Vorgänger „Glass Boys” für Sänger Damien Abraham den Abschluss für FUCKED UP bilden sollte, erreicht das Album leider nicht die Klasse der Vorgänger. Mastermind Mike Haliechuk wollte daher mehr und hatte dieses Mal quasi freie Hand im Songwriting. Und auch wenn es kaum möglich schien, das Konzeptalbum „David Comes To Life“ noch einmal zu toppen: „Dose Your Dreams“ ist FUCKED UPs Opus Magnum.

Inhaltlich bietet sich eine fantastische Geschichte, die Charaktere aus „David Comes To Life“ mit einbezieht, durch Traumwelten, Verzweiflung, Kritik an der kapitalistischen Welt und der Sehnsucht nach Erlösung und Liebe führt. Musikalisch gibt es dabei keine Grenzen. Zwar dominiert der bekannte Mix aus Indie-/Alternative-Rock und Punk, der von Damien Abrahams Gebrüll unterstützt wird. Immer wieder mischen sich allerdings Mike Haliechuk und Bassistin Sandy Miranda in den Gesang ein. Musikalische Haken über Shoegaze, Ambient und Industrial-Techno runden das wahnsinnige und wahnsinnig gute Gesamtbild ab. Alleine aufgrund der Kreativität und der Grenzenlosigkeit muss man „Dose Your Dreams“ wertschätzen.

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  1. Cassus – Separation Anxiety

Es gab dieses Jahr viel politische Musik, die sich oft an konkreten Feindbildern, wie dem derzeitigen US-Präsidenten, abgearbeitet hat. Im Punkrock wurden dabei, wie es das Genre oft mit sich bringt, unbestreitbar richtige, dennoch nicht gerade tiefschürfende kritische Äußerungen in Form von gesellschaftskritischen Plattitüden behandelt. CASSUS aus XXXX gehen auf ihrem zweiten Album „Separation Anxiety“ in jeder Hinsicht einen Schritt weiter. Anstelle von Punkrock zeigen die vier Jungspunde, dass auch (Post-)Hardcore politisch sein kann und geben sich dabei textlich nicht mit simplen Parolen zufrieden.

In schwindelerregendem Tempo schleudern CASSUS ihren Hörer*Innen flirrende Gitarren, hektisches Drumming, wüt

endes Gebrüll, panisches Kreischen und sehnsüchtigen Gesang entgegen. Kurze Ruhephasen werden dabei so schnell gebrochen, wie sie eingetreten sind und nach gerade einmal 20 Minuten wandert der Finger bereits zur Repeattaste. Dafür sorgen auch die schlicht beeindruckenden Texte: Über Konsumkritik, der Kritik daran, antikapitalistische Stimmen still zu halten, bis hin zur Verzweiflung über die indoktrinierte Alternativlosigkeit dieses Systems, verhandeln CASSUS politische Fragen poetisch und dennoch direkt und ehrlich. Die vier Musiker aus England haben mit „Separation Anxiety“ ein Screamo-Meisterwerk erschaffen.

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  1. Daughters – You Won’t Get What You Want

Es war lange still um DAUGHTERS. Nach drei Alben zwischen Grindcore, Noise Rock, Math und Punk entschied sich die Band 2010 für eine Pause auf unbestimmte Zeit. Während eine solche Aussage bei den meistens Bands nur eine nette Umschreibung für „Auflösung“ ist, entschieden sich die vier Musiker aus Providence, Rhode Island nach einigen schweißtreibenden Reunion-Konzerten 2013 dazu, ein neues Album in Angriff zu nehmen. 2018 wurde mit „You Won’t Get What You Want” schließlich das Ergebnis dieses Prozesses veröffentlicht. Während die früheren Songs der Band stark von chaotischen Strukturen geprägt waren, zeigen DAUGHTERS mit ihrem vierten Album, was musikalische Reife bedeutet. „You Won’t Get What You Want“ wird von Noise Rock dominiert und ist ein in allen Facetten vertonter Albtraum.

Es dominieren monotone Beats, mechanische Trommelschläge, sägende und kreischende Gitarren, gehetztes Hecheln, vernuschelter Gesang und panische Schreie. Leisere Nummern –von ruhig zu sprechen, verbietet sich – werden durch plötzliche Ausbrüche konterkariert. DAUGHTERS machen es ihren Hörer*Innen definitiv nicht leicht. In der Kombination mit verstörenden, poetischen Texten, die verworrene und irritierende geistige Bilder malen, erzeugen die vier Musiker eine unglaublich dichte, angespannte, angsterfüllte Atmosphäre. Dieser kann man sich nicht entziehen – und so abstoßend sie ist, so perfekt ist sie umgesetzt. Auch wenn es Anfang des Jahres nicht denkbar gewesen wäre: DAUGHTERS legen mit „You Won’t Get What You Want“ das Album des Jahres 2018 vor.

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