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Fake News kommen auch über den Boulevard

Wenn sich Bildungsverweigerer einbilden, „es“ besser als die Wissenschaft zu wissen: Die Bild Zeitung betreibt primitives Corona-Experten Bashing im Stile rechter Trolle. Wozu? Um die rechten Verschwörungstheoretiker noch weiter aufzuhetzen?

Kommentar von R. Manoutschehri

Auch wenn die Regenbogenpresse bisher eher selten mit „gutem Journalismus“ in Verbindung gebracht wurde, wird nun wohl langsam aber sicher das postfaktische Zeitalter eingeläutet. Anlässlich der Covid-19 Pandemie verbrüdert sich der Boulevard anscheinend zunehmend mit Bildungs- und wissenschaftsfeindlichen Positionen „von rechts“.

Die „Bild“ (Axel Springer Verlag) diffamiert deutsche Corona-Experten – ohne eigene Expertise oder auch nur schlüssige Nachweise anderer Experten vorzulegen. Autoren ohne jedes medizinisches Vorwissen und selbst der Chefredakteur lesen die Studien womöglich nicht mal, die sie als „grob falsch“ betiteln, verstehen jedenfalls können sie die darin getroffenen Aussagen nicht, wie bereits mehrere grundlos „angriffige“ Artikel, etwa gegen das Robert Koch Institut oder gegen Dr. Drosten von der Charité nahelegen. Was sie aber nicht hindert, aus wild zusammengewürfelten Zitatfetzen anderer Wissenschaftler eine „Story“ zu basteln …

Als Laie mal eben eine Studie für falsch erklären

In einem Artikel vom 25 Mai titelt die Bild-Zeitung: „Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch“ und wirft dem Virologen „fragwürdige Methoden“ vor, wobei dies lediglich ein Schluss von sich auf Andere sein kann. Denn Aussagen, wie es weiter heißt, „Star-Virologe Christian Drosten (48) lag mit seiner wichtigsten Corona-Studie komplett daneben“, werden von keinem der Wissenschaftler, die in diesem Artikel als „Beleg“ für diese Behauptung zitiert werden, geteilt.

Vielmehr haben sich alle – wie Dr. Drosten selbst natürlich auch – noch am selben Tag in aller Deutlichkeit von diesem medialen Schundwerk distanziert.

Zitiert werden darin aus dem Zusammenhang gerissene, einzelne Sätze aus der zumeist nicht für die Öffentlichkeit bestimmten wissenschaftlichen Kommunikation von Jörg Stoye, Wirtschaftsprofessor von der Cornell University, Professor Leonhard Held vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich, Statistik-Professor Dominik Liebl von der Universität Bonn und dem Mannheimer Statistik-Professor Christoph Rothe.

Und Dr. Drosten wurde aufgefordert, binnen einer Stunde vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme zu dem Machwerk abzugeben. Was dieser als „tendenziöse Berichterstattung“ ablehnte und die Anfrage stattdessen auf Twitter postete.

Fun-Fact am Rande: In Folge sollte sich der Virologe dann auch noch gegenüber dem Bild-Chefredakteur „verantworten“, der sich beschwerte, dass in einem ersten Post die Kontaktdaten des anfragenden Autors mitveröffentlicht wurden … Drosten korrigierte dies, der Bildartikel jedoch blieb so falsch wie er war.

Fakten gegen Fakes

Der Berliner Tagesspiegel, der die „Causa“ als eines der ersten Medien aufgriff, machte auf eine wesentliche Aussagenverfälschung in dem Bild-Artikel aufmerksam: In der Vorpublkation der Charité hieß es, „Kinder können genauso ansteckend sein wie Erwachsene“, im Bildartikel wurde aus der Möglichkeit jedoch ein „Kinder sind genauso infektiös“. Und das wird dann als Falschaussage darzustellen versucht, mit zusammengestückelten und im Internet gefundenen Aussagen.

Und ohne auf die einzelnen Kritikpunkte näher eingehen zu müssen oder auf den Kontext, dem die Aussagen entrissen wurden, macht alleine die Reaktion der solcherart missbrauchten Wissenschaftler, sowohl unter Drostens Post als auch in einem ersten Interview im Spiegel dazu, unzweideutig klar: So wie in Bild dargestellt, ist das falsch und niemand hatte das so interpretiert.

Screenshot 25.Mai 2020
Screenshot 25.Mai 2020

Christoph Rothe: „Niemand hat von der Bild mit mir gesprochen und ich distanziere mich ausdrücklich von dieser Art von Berichterstattung.“

Jörg Stoye: „Ich will nicht Teil einer Anti-Drosten-Kampagne sein. Ich hatte keinen Kontakt zu „Bild“, sie haben mich nicht angefragt, ich habe mich auch nicht angeboten. Natürlich habe ich den höchsten Respekt vor Dr. Drosten, Deutschland kann froh sein, ihn und sein Team zu haben.“

Dominik Liebl: „Ich wusste nichts von der Anfrage von Bild und distanziere mich von dieser Art, Menschen unter Druck zu setzen, auf´s schärfste. Wir können uns glücklich schätzen, Dr. Drosten und sein Team im Wissenschaftsstandort Deutschland zu haben. They saved lifes!“

 

Mit Desinformation zum Krisengewinnler

Wie schon in früheren UZ-Artikeln festgehalten, scheint es in der öffentlichen „Corona-Debatte“ also gar nicht mehr um vernünftige, faktenbasierte Diskussionen, seriöse Kritik oder um vielleicht bessere Problemlösungen zu gehen, sondern um simples Aufhetzen gegen die altbewährten Autoritäten – eine der Hauptstrategien rechter Verschwörer und von Demokratie- und (Rechts-) Staatsfeinden, die selbst gerne die Deutungshoheit über das Weltgeschehen einnehmen würden.

Auch und vor allem die Wissenschaft wird schon seit der Klimawandeldebatte nach Kräften diskreditiert, um der Meinung bildungsferner Laien auf Social Media und selbsternannter Experten einen ähnlichen Stellenwert – und letztlich Einfluss – einzuräumen, wie dem empirisch gesammelten Menschheitswissen, welches sich im Gegensatz zu mittelalterlich anmutenden Vorstellungswelten laufend weiterentwickelt.

Ob es auch dem Boulevard wie der Bild-Zeitung darum geht, Verschwörungstheorien mit immer weiterer Desinformation anzufeuern, bis wieder aufgehetzte Massen durch die Straße toben, um Staat und Wirtschaft lahmzulegen? Oder denken solche Leute einfach nur wie typische Kriegs- und Krisengewinnler, denen es völlig egal ist, welche nochsoschlimmen Katastrophen sie schüren, solange nur genügend Quote und Gewinn dabei abfällt? Und was sagt eigentlich der Ethik- und Presserat zu solchen Entwicklungen, die mit Journalismus so überhaupt nichts mehr am Hut haben?

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