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Selbstverwaltete Suchtbekämpfung in Bozen

In Südtirols Landeshauptstadt hilft die Sozialgenossenschaft Oasis Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen durch Arbeitsintegration den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden – Zweiter Teil der siebenteiligen Serie über selbstverwaltete Betriebe in Europa von Christian Kaserer

Die Selbstverwaltung ist nicht nur in herkömmlichen Betrieben ein interessantes Konzept, wie wir letzte Woche am Beispiel von VIO.ME sehen konnten, sondern auch in anderen Bereichen. In Italien hat sich in den letzten Jahrzehnten ein erfolgsversprechendes Modell herausgebildet: Genossenschaften nehmen sich Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen an und versuchen ihnen durch einfache Arbeitstätigkeiten wieder ein geregeltes Leben mit festen Strukturen und einem Einkommen zu bieten. So zum Beispiel die Sozialgenossenschaft Oasis in Bozen.

Entstanden ist Oasis im Gefängnis von Bozen vor über 30 Jahren, erfahre ich im Gespräch mit Genossenschaftspräsidentin Klaudia Resch. Und zwar nicht von den Inhaftierten selbst, sondern von Lehrern, Pädagogen, Sozialbetreuern, die sagten, wir brauchen eine Struktur, die hilft, Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren.

Einen bezahlten Job sah man neben dem Wohnen als eine der Möglichkeiten, dem Leben eine Struktur zu geben und eine gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten. Anfangs lag der Fokus auf Personen im alternativen Strafvollzug, so Resch, dies habe sich aber gewandelt. Die meisten Projekte arbeiten mit Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen. Vor 20 Jahren waren das vor allem Drogen, heute liegt der Fokus auf Alkohol. Mittlerweise kommen auch „neue“ Erscheinungen wie etwa Spielsucht dazu.

„Es ist vom italienischen Gesetz her ziemlich klar geregelt, welche Art von Benachteiligung, wie es im italienischen Text heißt, die Personen haben müssen, die für die Arbeitsintegration in Frage kommen. Minderjährige sind jedoch ausgenommen, da wir bis 18 Jahren Schulpflicht haben“, erklärt Resch.

Und weiter:

„Wir sind so organisiert, dass uns die Menschen für Arbeitsintegrationsprojekte von einem Sozialdienst zugewiesen werden müssen. Diese Leute haben sozusagen einen Stempel: psychisch Kranker, Abhängigkeitserkrankter, was auch immer. Intern haben wir eine Sozialarbeiterin, die die Integrationsprojekte begleitet. Alle anderen wissen nicht, was für Problematiken die Menschen haben, außer die Personen erzählen es selbst. Wir versuchen die Menschen so zu nehmen, wie sie einfach sind. Viele fühlen sich bei uns einfach wohler, weil wir weniger defizitorientiert sind und wir versuchen, die Stärken der Personen hervorzuheben und zu fördern. Der erste Schritt ist, dass wir die Sozialdienste kontaktieren und sagen, wir haben einen Platz, oder sie kontaktieren uns und sagen, sie haben eine Person, die für uns geeignet wäre. Wenn beide Seiten Interesse haben, dann gibt es ein Treffen und wir besprechen, was das Ziel der Arbeitsintegration sein soll. Das kann bei manchen Menschen in den ersten Monaten auch nur Pünktlichkeit oder Körperpflege sein, oder etwa eine Basisausbildung im Gärtnerbereich. Und wenn alle drei Personen, also die entsendende Stelle, jemand von uns und die betroffene Person, das als sinnvoll erachten, dann wird das Projekt verschriftlicht und beginnt mit einem Praktikum. Nach dem Praktikum, das im Normalfall zwei bis drei Monate dauert und nicht auf Vollzeitbasis ist, wird dann ein befristeter Arbeitsvertrag geschlossen. Befristet deshalb, weil unser Ziel wäre, und da benutze ich bewusst den Konjunktiv, dass die Menschen das als Trainingsarbeitsplatz betrachten. Zehn bis fünfzehn Prozent schaffen das dann auch. Maximal kann das bei uns zwei Jahre dauern und in dieser Zeit beurteilen wir dann, ob die Person gehen muss, ob sie es geschafft hat oder nicht, oder ob sie fix angestellt wird. Fixe Anstellungen sind in der Regel dann sinnvoll, wenn wir das Gefühl haben, die Person hat sich weiterentwickelt, was dazugelernt und sich gefestigt in der Persönlichkeit, ist aber noch nicht so weit, dass sie auf dem Arbeitsmarkt eine wirkliche Chance hätte.“

Organisiert ist Oasis genossenschaftlich, was bedeutet, dass dieses demokratische Unternehmen seinen Mitgliedern gehört. Dazu Resch: „Mitglieder sind jene Menschen, die einen unbefristete Arbeitsvertrag haben und das auch nur so lange, wie sie bei uns arbeiten. Wer woanders hin wechselt oder in Pension geht, dem wird nahegelegt, die Mitgliederschaft zurückzulegen. Und dann gibt es noch einige Menschen wie etwa mich, die sich ehrenamtlich und ohne diesen Hintergrund sozial engagieren wollen. Diese demokratische Struktur klingt immer total toll, aber in der Praxis ist das ein Aufwand. Man muss sich drum kümmern. Es ist nicht so, dass alle Mitglieder immer und sofort den Mut und das Interesse haben, mitzubestimmen. Es ist Fakt, dass im Verwaltungsrat auch Personen wie ich sitzen, die einen Uniabschluss haben und wenn dann Menschen, die keine Pflichtschule abgeschlossen haben mit uns „Studierten“ diskutieren sollen, dann gibt es natürlich auch Hemmungen. Wir haben diese Erfahrung bei den Vollversammlungen gemacht. Deshalb gingen wir dazu über, vorbereitende Treffen zu machen für die Vollversammlung, die ja laut Gesetz unser beschließendes Organ sein muss und wo wir also alle einbinden wollen. Oft ohne Führungskräfte und mit professioneller Moderation, damit das ein anderes Setting ist. Ist ein Aufwand, funktioniert manchmal gut, manchmal überhaupt nicht. Intern sind wir stolz darauf, dass unsere Führungskräfte mehr als zur Hälfte aus Ex-Integrationsprojekten bestehen. Das hat den ganz großen Vorteil, dass sie sehr gut mit den Menschen arbeiten können. Die wissen genau, wie das ist, ob die Person das wirklich nicht kann, nicht will und so weiter. Die Schwierigkeiten die daraus entstehen sind natürlich, dass auch diese Personen meist wenig formale Ausbildung haben und deshalb die Verwaltung manchmal stark gefordert ist, um die wirtschaftlichen Fähigkeiten der Vorgesetzten abzudecken. Sie sind sehr gut im Umgang mit den Menschen, aber sie lieben das Administrative nicht.“

Insgesamt schaffen etwa zehn bis fünfzehn Prozent der Oasis zugewiesen Menschen den erfolgreichen Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Genau so viele jedoch schaffen es leider auch gar nicht und der Rest besteht aus Personen, die etwa eine Fixanstellung bei Oasis bekommen oder nach und nach alle möglichen Sozialgenossenschaften in Südtirol durchprobieren. Die Zahl der von Oasis betreuten Menschen schwankt im Jahresverlauf, doch arbeiten dort während des sommerlichen Hochbetriebs etwa 120 Personen. Die Aufträge stammen zumeist von der öffentlichen Hand, da nur wenige private Auftraggeber Interesse an den Diesen von Oasis zeigen.

„Es sind ganz wenige private Aufträge“, bedauert Genossenschaftspräsidentin Resch. „Wir haben eine Abteilung für Gartenarbeiten, wo wir uns zum Ziel gesetzt haben, dass wir da auch auf dem privaten Markt stark vertreten sein wollen, hatten aber manchmal das Problem, dass Villen und Hotels unsere Dienste buchen und dann aber vor den Kopf gestoßen sind, wen wir ihnen denn da schicken. Einzelne stehen darüber, denen geht es um die Dienstleistung, aber manche mögen das nicht. Also auf dem privaten Markt ist das nicht so leicht. Ansonsten sind es Ausschreibungen der öffentlichen Hand. Einige davon sind sogar für Sozialgenossenschaften reserviert. Wobei ich schon sagen mag, dass das meiner Meinung nach oft auch einfach nur Dumping ist. Man geht nämlich davon aus, dass gerade wir, als Sozialgenossenschaft, noch ein Stück billiger sind, als man es sonst wo bekommen könnte. Ausgelagert wird doch in der Regel nur, wenn man sparen will. Wobei wir uns nicht alles gefallen lassen und manches nicht annehmen, was wir uns deswegen leisten können, weil wir groß sind und einen guten Ruf haben“


Dieser Artikel ist eine kurze Zusammenfassung des ersten Kapitels des Buches coop – Selbstverwaltete Betriebe und ihre Auswirkungen auf Arbeit und Gesellschaft von Christian Kaserer, erschienen am 27. Juli 2020 im Linzer guernica Verlag. ISBN 978-3-9504594-8-7, 9,90 Euro, 120 Seiten. 

Alle Fotos: © Oasis

GEWINNSPIEL “7 x coop”

Unsere Zeitung verlost gemeinsam mit dem guernica Verlag zu jedem Teil der Serie jeweils 1 Exemplar des Buches „coop – Selbstverwaltete Betriebe und ihre Auswirkungen auf Arbeit und Gesellschaft“. Schreibe einfach ein E-Mail mit dem Betreff „coop“ und Deiner Anschrift an gewinnspiel@unsere-zeitung.at und mit etwas Glück findest du das Buch bald in Deinem Postkasten.

Teilnahmeschluss ist der 15.09.2020. Die glücklichen Gewinner werden anschließend per Mail verständigt.

Termin-Aviso:

Dienstag, 15. September, 19 Uhr: Buchpräsentation im Cardjin-Haus in Linz (Kapuzinerstraße 49) in Kooperation mit dem guernica Verlag, weltumspannend arbeiten, u.a.

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