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Demonstrieren in Zeiten der Pandemie

Am Freitag, 25. September, findet unter dem Motto „Fight every crisis!“ der sechste weltweite Klimastreik statt. Da die Infektionszahlen steigen, werden auch die schon im Frühjahr geäußerten Bedenken wieder laut: Muss man denn gerade jetzt demonstrieren?

Von Tamara Ehs

Tamara Ehs: Kolumnistin für „Unsere Zeitung – DIE DEMOKRATISCHE.“ (Foto: privat)

„Es nicht leicht inmitten einer Pandemie für eine klimagerechte Welt zu mobilisieren. Aber das ist deutlich leichter, als in einer klimazerstörten Welt zu leben“, schreiben die Organisator*innen von Fridays for future auf ihrer Website und verweisen auf die Schutzvorkehrungen, die sie treffen. Dass diese Demonstration überhaupt stattfinden kann, obwohl in den meisten österreichischen Großstädten die Ampel gelb oder orange leuchtet, ist mit Blick auf die Erfahrungen vom Frühjahr nicht selbstverständlich.

Während des Lockdowns war neben Grundrechten wie der Freizügigkeit der Person, der Erwerbs- oder der Religionsfreiheit insbesondere die Versammlungsfreiheit von Einschränkungen betroffen. Sie ist bereits im Staatsgrundgesetz von 1867 verankert; durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK, in Österreich seit 1964 mit Verfassungsrang ausgestattet) steht sie allen zu, nicht nur Staatsbürger*innen. Sie ist also Menschenrecht und eine Form des politischen Widerspruchs, die besonderen Schutz genießt. Mit diesem Schutz sind die staatlichen Organe, allen voran Innenministerium und Polizei beauftragt. Sie müssen die Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit gewährleisten, indem sie beispielsweise für Demonstrationen Straßen sperren und den motorisierten Verkehr umlenken oder eine Gegendemonstration in sicherer Entfernung halten.

Der Gewährleistung der Versammlungsfreiheit wurde zu Beginn der Pandemie aber nicht nachgekommen: Zwischen 16. März und 30. April waren angezeigte Versammlungen als Verstoß gegen COVID-19-Maßnahmengesetze untersagt worden. Freilich normiert auch die EMRK einen Vorbehalt: Unter anderem zum „Schutz der Gesundheit“ dürfen Einschränkungen vorgenommen werden, „die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind.“ Auch massive Eingriffe können demnach gerechtfertigt, müssen aber recht- und verhältnismäßig sein und das gelindere Mittel darstellen. Das heißt, die Schwere der Grundrechtsbeschränkung alleine macht sie noch nicht zwangsläufig undemokratisch. Es kommt vielmehr darauf, wie diese Eingriffe zustande kommen und gehandhabt werden.

Solch eine differenzierte Diskussion hat es in Österreich aber schwer. Wer auch immer im März oder April auf den Grundrechtsverstoß verwies, dem wurde die Argumentation mit den Worten: „Man muss ja nicht gerade jetzt demonstrieren!“ und der von  Innenminister Karl Nehammer rhetorisch unterstützten Diffamierung als „Lebensgefährder“ beendet. Doch der Staat hat nicht entweder Gesundheit oder Grundrechte zu schützen, sondern beides. Gerade die Versammlungsfreiheit steht hinsichtlich der Zeitdimension unter einem besonderen Gewährleistungsschutz; eine Demonstration ist meist an ein unmittelbares Ereignis gebunden und kann nicht nachgeholt werden. Außerdem bewiesen Demonstrierende in Deutschland und Israel schon früh, dass man sich sehr wohl „coronakonform“ mit Mundschutz und Abstand versammeln kann und es ja gerade die Aufgabe der Polizei sei, in Zusammenarbeit mit den Veranstalter*innen für die Einhaltung von Regeln zu sorgen. So beklagten Teil der organisierten Zivilgesellschaft in Österreich zurecht, dass Anfang April hunderte Menschen vor den Eingängen der Baumärkte lange Schlangen bilden durften, ihr aber Menschenketten vor dem Kanzleramt oder dem Parlament als Demonstration untersagt wurden.

Werden seuchenhygienische Regeln und Auflagen nicht eingehalten, obliegt es natürlich der Polizei, eine Versammlung aufzulösen. Aber auch in der Krise „darf nicht alleine vom Vorliegen einer Versammlung auf deren Gefährlichkeit geschlossen werden“, geben Andreas Gutmann und Nils Kohlmeier vom Zentrum für Europäische Rechtspolitik zu bedenken. Auch im Frühjahr hätte bei jeder angezeigten Demonstration im Einzelfall beurteilt werden müssen, ob sie „das öffentliche Wohl gefährdet“, wie es im Versammlungsgesetz heißt. Allein vom Vorliegen einer Versammlung auf deren Gefährlichkeit zu schließen, war weder verhältnismäßig noch sachlich gerechtfertigt noch das gelindere Mittel.


Heute (22. September) findet im Republikanischen Club um 19 Uhr die Diskussion PRIMAT DER POLITIK? Müssen das Verfassungs- und das Europarecht der Innenpolitik weichen? Ist die österreichische Demokratie krisenfest? statt. Mit Tamara EHS diskutieren Mara HÄUSLER (Rechtsanwältin) und Alfred NOLL (Rechtsanwalt, ehem. Abgeordneter zum Nationalrat).

Tamara Ehs ist Wissensarbeiterin für Demokratie und politische Bildung, derzeit in Forschungskooperation mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Außerdem berät sie Städte und Gemeinden in Fragen partizipativer Demokratie. Sie ist Trägerin des Wissenschaftspreises des österreichischen Parlaments. Soeben ist ihr neuestes Buch „Krisendemokratie“ (Wien: Mandelbaum Verlag 2020) erschienen, das aus der Coronakrise sieben Lektionen für die österreichische Demokratie zieht.


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Titelbild: NiklasPntk auf Pixabay

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