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“Wir stürmen das Capitol, es ist eine Revolution!”

Anti-Demokrat*innen greifen das Herz der zweitältesten Demokratie der Welt an. Beim Sturm auf das Capitol in Washington D.C. schlugen Trump-Supporter die Fenster ein und mussten mit Tränengas zurückgedrängt werden.

Von Denise Puiuț

Erst kurz vor Weihnachten habe ich in der Kolumne “Im großen braunen Kerker” an die Schrecken der Nazi-Herrschaft erinnert. Einer der wichtigsten Daten der faschistischen Machterrichtung ist der Reichstagsbrand. In der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 hatten die Nazis ihn angezündet, um am nächsten Tag eine Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat durchzubringen, SPD und KPD Presse zu verbieten, die gesamte politische Linke zu kriminalisieren und die nationale Revolution auf den Weg zu bringen.

87 Jahre später versuchen Nazis in Berlin den Reichstag auf einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen erneut zu stürmen. Anti-Demokrat*innen griffen das Herz der deutschen parlamentarischen Demokratie an, genauso wie die Nazis dieses anzündeten, um es zu zerstören. 

Putschversuch

Representation matters – Polit-Kommentator*innen sprechen zurecht von einem Putsch-Versuch in den USA. Denn die Grenzen der Repräsentation wurden rasch überschritten: Abgeordnete wurden bedroht, Journalist*innen attackiert und es starben vier Menschen, darunter eine Frau, die angeschossen wurde. 

Das ist also die Strategie der Neo-Faschisten und Finanzkapitalisten – offene Gewaltanwendung und ‘going wild’. Für die Menschen vor dem Capitol wars das wohl mit der Anerkennung demokratischer Entscheidungen in ihrer geliebten Demokratie. Die Feiertage sind vorbei und nun holen sie sich was ihnen vermeintlich gehört – genau an dem Tag, als das Wahlergebnis zertifiziert werden soll. 

Doch wie Kevin McCarthy, Republikaner des US-Repräsentantenhauses und Fraktionsvorsitzender in der Kongresskammer, sagt: „Das ist nicht was wir tun, wenn wir uns uneinig sind.“ Und Joe Biden, der gewählte US-Präsident, musste Trump dazu auffordern, Stellung zu beziehen, denn: “Das ist kein Protest, sondern ein Aufstand.” In seiner Rede appellierte er an das Gewissen der US-amerikanischen Gesellschaft und rief konservative und demokratische Werte in Erinnerung. 

Präsident Trump ließ sich Zeit. Nachdem er etwas früher am Tag verkündete, er würde mit seinen Supportern gemeinsam zum Capitol marschieren, wandte er sich nun mit den Worten an sie: “Ihr müsst jetzt nach Hause gehen”. In einer Videobotschaft via Tweet, wiederholte er seinen Vorwurf eines Wahlbetrugs, bezeichnete seine Anhänger als “besonders” und beschwörte eine klassische Gut-Böse-Dualität herauf. Auf Twitter und Facebook wurde der Post aufgrund Trumps verschwörungstheoretischen Aussagen blockiert und konnte weder geliked noch geteilt werden. 

Weißer, reaktionärer Mob und eine kooperative Polizei

Trump bestreitet das Wahlergebnis und versucht es ungültig erklären zu lassen, wie das aufgezeichnete Telefonat mit Brad Raffensperger, Secretary of State in Georgia, beweist – dieserart anti-demokratischer Versuche müssen mit aller Kraft unterbunden werden. Wäre Georgia der Aufforderung des Präsidenten nachgekommen, wären andere pro-Trump Staaten bei dieser Strategie mitgegangen. Der Sturm auf das Capitol und Trumps Aufforderung dazu ist ein weiterer offener Bruch mit dem Allerheiligsten der US-Amerikaner*innen, ihrer doch so großartigen Demokratie. Auch wenn von Trump-Supportern nichts mehr zu erwarten ist, verwundert diese veränderte Haltung gegenüber der eigenen Gründungsgeschichte bislang schon.

Vielleicht aber auch nicht, wenn man sich die Stürmenden genauer anschaut. Auf die Frage, was sie hier mache, antwortete eine Frau aus Tennessee, als sie sich das Tränengas aus den Augen wischte, das sie im Capitol abbekam: “Was wir hier machen? Wir stürmen das Capitol, es ist eine Revolution!” Das Ziel ihrer Handlungen scheint also klar zu sein – der Versuch einer faschistischen Revolution. 

Ebenso wie eine patriarchale und nationale, denn die Teilnehmer wurden als “weiße männliche Menge” beschrieben, unter ihnen auch manche mit Südstaatenflagge (Confederate Battle Flag), die ihr Vorhaben Tage vorher angekündigt hatten. Und doch war die Polizei nicht vorbereitet auf diesen Angriff, sondern hießen die Demonstrierenden vielmehr im Capitol willkommen.

Gegen die Trump-Supporter wurde schließlich Tränengas eingesetzt, und doch wird eines klar: So sieht es also aus, wenn die Polizei deeskaliert und kooperiert. Angesichts des umstürzlerischen Plans dieses weißen, reaktionären Mobs und im Vergleich zu den BLM-Protesten im letzten Jahr, unfassbar. Und doch – so wirklich verwundert scheint niemand darüber. 

Ein Zeichen der Widerstandsfähigkeit

Vielleicht aber – trotz aller berechtigter Kritik am kapitalistischen, repräsentativ-liberalen Staat – ist es ein gutes Zeichen, dass der Kongress noch in derselben Nacht seine Sitzung wieder aufnahm und den Wahlsieg Joe Bidens zertifizierte. Trump verspricht derweil sein Amt ordentlich am 20. Januar übergeben zu wollen – ob dem so sein wird und was bis dahin passiert, bleibt abzuwarten. Jedenfalls setzen sich nur einige Abgeordneten für ein Amtsenthebungsverfahren ein, um ihn daran zu hindern, jemals wieder kandidieren zu können. 

Vielleicht ist es ein klitzekleines Zeichen dafür, dass die US-amerikanische Demokratie nicht nur an ihrem absoluten Nullpunkt angelangt ist, sondern immer noch widerstandsfähig genug ist, um ihre demokratischen Institutionen zu verteidigen und diesen widerlichen Menschen endlich aus dem Amt zu jagen. Und einen Präsidenten wie Trump endlich aus dem System zu kriegen, kommt einem wahren Befreiungsakt gleich.


Titelbild: Karolina Grabowska von Pexels

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