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Vom Suchen und Finden: Warenfetisch

Wenn die Arbeit einen Preis hat und das Produkt zum Verkauf steht, wird die Ware zum Fetisch. Die Arbeitenden müssen wieder die Früchte ihrer eigenen Arbeit selbst genießen. Der 1. Mai ist ein Tag gegen die Arbeit, ein kämpferischer Tag gegen den Kapitalismus.

Eine Kolumne von Andreea Zelinka (Rotes Antiquariat Wien)

Mein Kollege in Berlin Rungestraße hat letztens eine neue Liste ausgeschickt, „Karl Marx und Zeitgenoss_innen“. Darin finden sich zuerst eine seltene goldbraun patinierte Bronze-Büste vom Kopf von Marx, die der deutsche Bildhauer Johannes Friedrich Rogge (1898-1983) geschaffen hat. Darüber hinaus Bücher, Broschüren und Schriften aus dem Otto-Meissner Verlag, der Marx-Forschung und auch Ausgaben und Werke von Autor_innen, die in den Bibliotheken von Marx und Engels standen, als auch der Internationalen Arbeiterassoziation, die den Konflikt zwischen autoritären und anti-autoritären Tendenzen innerhalb der IAA dokumentieren, und der Pariser Kommune, wie seltene Ausgaben aus der Zeit zwischen der Proklamation der Dritten Französischen Republik 1870 bis zum Beginn der Pariser Kommune 1871. Eine hübsche Liste an wertvollen, semi-teuren und interessanten Papierprodukten.

Jedenfalls zeigten wir die Liste auch in der Insta-Story, woraufhin ein Follower schrieb: „Ist das dieser Warenfetischismus?“ Eine Antwort, „wenn man so will, kann Bibliophilie ein anderes Wort für Warenfetisch sein“. Das entspricht aber nur der halben Wahrheit. Die Liebe zum Buch könnte ein Fetisch sein, nämlich in der Hinsicht, dass das Buch zu einem Gegenstand wird, dem magische Kräfte zugeschrieben wird. Auch Marx wusste, dass im Portugiesischen „feitiço“ so viel wie „Zauber“ bedeutet und portugiesische Seefahrer des 15. und 16. Jahrhunderts dieses Wort gebrauchten, um Sakralobjekte der Afrikaner_innen zu bezeichnen. Während der Erarbeitung seiner Werttheorie zog er ethnologische Erkenntnisse seiner Zeit heran. Und durchaus muten Bücher für Lesende und Bibliophile oft magisch an.

Die Ware (oder das Geld) ist also wie ein verzauberter Gegenstand, ein Ding, dem wir kollektiv als Gemeinschaft oder Gesellschaft einen besonderen Wert zuschreiben. Den Wert erhält eine Ware erst im Nachhinein und bezieht sich auf die konkrete Arbeitszeit für ihre Herstellung. Es gibt Dinge, wie Werkzeuge, die erfüllen einen Zweck oder bereiten uns noch dazu Freude, wie Parmesan. Früher wurde das, was erarbeitet wurde, auch selbst konsumiert (selbst die Abgaben an die Herren wurden direkt durch z.B. den Hofstaat konsumiert). Heute wird eine Ware, die hergestellt wird, verkauft und oft selbst nicht genutzt oder sie ist so kleinteilig, dass wir sie nicht unmittelbar nutzen können. In der heutigen Gegenwart des Spätkapitalismus werden selbst Essen und Wohnen, Nahrungsmittel und ein Dach über den Kopf gehandelt als wären sie Waren, obwohl sie eigentlich für die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse erarbeitet und errichtet werden. 

Dass die Dinge einen Preis haben und die Wertvorstellungen der Dinge unsere Gesellschaften strukturell bestimmen, das ist der Warenfetisch. Werkzeug und Nahrung sind im Kapitalismus genauso warenförmig wie ein Tischbein und Bücher, weil alles zur Tauschware wird. Verzaubert sind diese Gegenstände, weil wir in der Regel davon ausgehen, dass der Wert, dem wir ihnen beimessen, eine reale Größe sei. Das heißt, wir glauben an die Richtigkeit der Preis-Leistung oder zumindest vertrauen wir darauf. Und hier kann nun ein Unterschied zwischen Warenfetisch und Bibliophilie liegen: Insofern Antiquar_innen und Käufer_innen sich darüber bewusst sind, dass Wertvorstellungen fiktiv sind, kann das Ding seinen Fetischcharakter verlieren. (Sie machen trotzdem ein Geschäft.) 

Das heißt nicht, dass das besondere Buch nicht durchaus eine geheimnisvolle Komponente in sich trägt, so wie der Lichtglanz in der frühen Fotografie oder etwa seine Aura, die nach Walter Benjamin dem Ding oder Kunstwerk eigene Einmaligkeit und Unnahbarkeit. Es bedeutet nur auch, dass im Kommunismus, wenn das Geld abgeschafft und alles Wissen in Archiven und Bibliotheken öffentlich zugänglich gemacht ist, es vermutlich keine Antiquariate mehr geben wird. Wenn der Handel mit besonderen Büchern wegfällt, werden Antiquar_innen vermutlich an den öffentlichen Orten arbeiten oder nach einer neuen Tätigkeit suchen, wo sie ihrer Vorliebe für das Tauschgeschäft nachgehen können. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung sind auch administrative Aufgaben oder Forschungsorganisation vorstellbar. (Ein paar Aussichten, falls ein_e Antiquar_in das hier liest und insgeheim Sorge um die eigene Profession im Kommunismus hat.)

Mein Kollege und Vorgesetzter, Christian Bartsch, der schon seit über zwei Jahrzehnten mit besonderen Büchern dealt und das Rote Antiquariat in Berlin, Wien und Zürich gegründet hat, meinte jedenfalls, „ja, wir arbeiten daran, uns selbst abzuschaffen“. Solange das Kapital sich konzentriert und es Besitz gibt, so lange werden Bücher auch noch die Form von Waren annehmen und je nach Seltenheit und Provenienz in Privatbesitz einiger Weniger sein. Im Kommunismus verkörpern Bücher nur noch den Zauber der Seiten.


Titelbild: Caio von Pexels

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