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Ist Defender21 wirklich defensiv?

Truppen und Waffen von USA und NATO rollen durch das neutrale Österreich.

Von Thomas Roithner

Zwischen 7. Mai und 21. Juni könnte auf den Straßen und Schienen Österreichs erspäht werden, was nicht alle Tage unterwegs ist. Die USA und NATO-Partner veranstalten eines der größten Militärmanöver seit dem Zweiten Weltkrieg und setzen 28.000 Soldat*innen aus 26 Nationen in Marsch. Etwa 800 Gefährte und 2000 Soldat*innen werden auch durch Österreich unterwegs sein. Das neutrale Österreich nimmt an der Übung nicht teil, aber unterstützt den Transport, stellt Kasernen zur Verfügung, betankt Gerät und Truppe und verspricht sich nach Angabe des Bundesheeres „einen Mehrwert in den Bereichen der logistischen Aus-, Fort- und Weiterbildung“. Die Pandemie tut dem jährlich konzipierten Militärmanöver keinen Abbruch, anders als das 2020 coronabedingt abgespeckte Manöver.

Defender21 trainiert die Einsatzbereitschaft von Truppen und Rüstung sowie das Zusammenwirken einer größeren Anzahl von NATO-Partnern in einem breiten Spektrum von Aufgaben. Nicht alles fährt zum selben Zeitpunkt auf einmal auf, sondern tröpfelt geographisch und betreffend der zu trainierenden Militärkompetenzen durch mehrere Wochen.

Man demonstriert die Fähigkeit, so die US Army, „als strategischer Sicherheitspartner auf dem westlichen Balkan und im Schwarzen Meer zu dienen“ und „die Fähigkeiten in Nordeuropa, im Kaukasus, der Ukraine und Afrika aufrechtzuerhalten“. Die regionale Botschaft hat Moskau gut verstanden. Dass auch maritime Routen, die Europa, Asien und Afrika verbinden, ein Übungsfeld für Defender21 darstellen, mag auch Peking mit seinem Projekt der Seidenstraße zu Land und der maritimen Seidenstraße zu deuten wissen.

Spannungen und Vertrauen

Strittige Gesprächsthemen zwischen Russland auf der einen und den USA und den NATO-Staaten auf der anderen Seite sind zahlreich. Krim, Sanktionen, Truppen in Osteuropa, Raketen(abwehr)programme, Ostukraine, NATO-Erweiterung, Syrien-Krieg, Desinformationskampagnen oder der „Killer“-Sager sind nur ein kleiner Auszug. Aus der Blockkonfrontation von seinerzeit wurde im Zuge von Kosovo-, Irak-, Libyen- und Ukraine-Krieg die Rivalität von heute. Natürlich nicht eins-zu-eins, aber das Misstrauen ist langandauernd und tiefsitzend.

Größere Truppenbewegungen à la Defender21 wirken dabei nicht dialogfördernd. Zentrale Grundlagen der heute existierenden vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen in Europa sind in den „Wiener Dokumenten“ festgeschrieben, die in Prozessen der Konferenz bzw. Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE, OSZE) entstanden sind. Österreich sollte nicht zuletzt aus Gründen des OSZE-Sitzes in Wien eine vermittelnde Funktion einnehmen und einen konfliktursachenorientierten Dialog ins Zentrum rücken.

Neutralitätsrecht und Neutralitätspolitik

Österreich hat die Durchreise von Gerät und Personal bewilligt. Der immerwährend Neutrale ist verpflichtet, sich an keinem Krieg im völkerrechtlichen Sinn zu beteiligen. Österreich gestattet im gegenständlichen Fall eine Durchreise, aber keine dauerhafte oder längere Präsenz von Truppen auf seinem Territorium.

Gleichzeitig hat der dauernd Neutrale zu gewährleisten, dass er bereits in Friedenszeiten so handelt, um im Neutralitätsfall Gestaltungsspielraum für autonomes Handeln aufzuweisen. Eine Frage der politischen Klugheit. Die immerwährende Neutralität ist nach dem Völkerrechtler Manfred Rotter „als Status der generellen Kriegsverweigerung“ zu betrachten. Das Verhältnis zwischen Russland und der NATO dokumentiert die Notwenigkeit von Dialog und multilateraler Zusammenarbeit. Die Positionierung von Wien als Begegnungsplatz und Gastgeber von Verhandlungen (beispielsweise Iran-Gespräche, NewSTART) hat sich bewährt und korrespondiert mit der Glaubwürdigkeit außenpolitischer Positionierungen.

Der Wandel der Neutralität ist auch im Kontext der militärischen Entwicklung der EU zu betrachten. Zu Beginn der Nullerjahre wurden in Österreich Neutralitätsvorbehalte aus dem Truppenaufenthaltsgesetz und dem Kriegsmaterialgesetz gestrichen. Der Politikwissenschafter Helmut Kramer kritisiert, Österreich „hat sich hier völlig an den EU-Mainstream angepasst“.

Wien hat sich ohne grundlegende Bedenken am militärischen Kerneuropa, am EU-Rüstungsfonds, am militärischen EU-Hauptquartier, den EU-„battle groups“, der militärischen Mobilität der EU, der politischen Stoßrichtung der EU-Rüstungsexportpolitik oder der militärischen Auslandseinsatzpolitik beteiligt. Bei militärischen und rüstungsindustriellen Standards und Entwicklungen sind EU und NATO – bis auf Ausnahmen – kommunizierende Gefäße. Nicht-NATO-Staaten wie Österreich sind über das Instrument der NATO-PfP (Partnership for Peace) eingebunden.

Seit den frühen 1990er Jahren wurde die Neutralität im Kontext der EU Schritt für Schritt in ihrer politischen Bedeutung geschmälert ohne ihren rechtlichen Kern zu verändern. Schon in den späten 1990ern stellte ein österreichischer Friedensforscher mit Blick auf die EU fest: Österreich ist längst in der NATO, aber niemand hat’s bemerkt.

Muskelvergleich

Im Jahr 2020 haben die USA nach Berechnungen des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) 39 % der globalen Militärausgaben auf sich vereint. Die NATO-Staaten weisen 55,7 % auf. Russland hat einen Anteil an den weltweiten Ausgaben für Militär von 3,1 % und Chinas Größenverhältnis wird auf 13 % geschätzt.

Bei den Rüstungsexporten weist SIPRI für die USA einen Anteil von 37 % (in den Jahren 2016 – 2020) aus. Russland verbucht 20 % der globalen Rüstungsexporte und die EU-Staaten verkaufen 26 % aller konventionellen Waffen.

Ökologischer Fußabdruck

Während viele um ein klimaverträgliches Wirtschaften ringen, scheint das Militärische weitgehend aus der Schlusslinie genommen worden zu sein. Die USA hatten im Zuge der Verhandlungen des Kyoto-Protokolls reklamiert, dass Militärisches nicht in die Berechnungen um Emissionen einfließt, ja nicht mal gemeldet werden muss. Wäre das US-Militär ein Staat, so würde sein CO2-Ausstoß im Länderranking auf Platz 47 landen. Treibstoffe für Marine, Jets und Panzer schlagen besonders zu Buche.

Defender21 bietet nicht nur die Chance, über friedenspolitische Alternativen, Formen und Akteure des Dialoges, institutionalisierte Vertrauensbildung und zivile Krisenprävention zu sprechen, sondern auch über den ökologischen Fußabdruck des Militärs.


Thomas Roithner ist Friedensforscher, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Mitarbeiter im Internationalen Versöhnungsbund. Sein jüngstes Buch „Flinte, Faust und Friedensmacht. Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik Österreichs und der EU“ erschien bei myMorawa. Web: www.thomasroithner.at

Titelbild: Thomas Roithner

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