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Elendsverwaltung oder Soziale Arbeit?

Der Samariter-Bund (ASB) ist während der gegenwärtigen Pandemie in eine veritable Krise geraten. Einen Tiefpunkt der Betriebskultur stellt die Schließung des Notquartiers in der Gudrunstraße im zehnten Wiener Gemeindebezirk dar. Noch schlimmer ist es in der Steiermark, wo die Staatsanwaltschaft „prüft“ und die Tochtergesellschaft ASB Graz gemeinnützige Rettung und Soziale Dienste GmbH als Betreiberin der Einrichtung „Heim Tannenhof“ Insolvenz anmelden musste.

Von Nils Heusegg

Das Notquartier Gudrunstraße wurde geschlossen. Die Kolleg_innen der Einrichtung sahen sich im Vorfeld gezwungen auf die Straße zu gehen um auf ihre prekäre Lage öffentlich aufmerksam zu machen. Unterstützung durch die Hausleitung Daniela Frey, den Verantwortlichen beim Samariterbund und der Gewerkschaftsführung hätten sie dabei nicht erhalten.

„Soziale Arbeit … ist ein Reflex der Kräfte der Gesellschaft. Wenn diese Kräfte progressiv sind, dann ist es Soziale Arbeit auch. Und natürlich wird, wenn diese Kräfte nach innen und rückwärts gewandt sind, Soziale Arbeit als eine gesellschaftliche Institution ebenfalls diesem Zeitgeist folgen.“ – Carol Meyer

Menschen am Keplerplatz
Foto: „Frühstück im Park“

Letztlich konnten sie nicht verhindern, dass die „Gudi“ geschlossen wurde.  Aus diesem Anlass fand am 28.04.2021 am Keplerplatz unweit der Einrichtung eine Kundgebung und öffentliche Betriebsversammlung statt. Die Kolleg_innen, Mitglieder des Betriebsrates und andere solidarische Menschen diskutierten über die Erfahrungen, die sie in diesem Arbeitskampf machten.

“Wir schätzen diese Kolleg_innen sehr” – Stefanie Kurzweil, Sprecherin des Arbeitersamariterbundes Wien. Quelle: moment.at

Die Meinungen gingen dabei auseinander. Ein Kollege sah einen Erfolg des Protests darin, dass die Geschäftsführung des ASB Wien überhaupt bereit war mit den Mitarbeiter_innen zu sprechen. Früher hätte es keine Kommunikation mit Basismitgliedern (im Rahmen des Winterpakets) gegeben.

Demoplakat: Streik: Jetzt gilt's
Foto: Nils Heusegg

Eine andere Kollegin hatte allerdings den Eindruck, dass nach jedem Gespräch das Verhältnis schlechter geworden wäre. Sie hätte sich, egal ob in Gesprächen mit dem „Fachbereich“, oder mit dem Geschäftsführer Oliver Löhlein immer unwohler und unsicherer gefühlt, „weil sie uns gefühlt gar nicht wahrgenommen und verstanden haben“. Ihre Ansprechpersonen wären am Schluss nur noch genervt gewesen. Je mehr sich die Kolleg_innen bemüht hätten, desto mehr hätten „die da oben“ blockiert. Das wäre „wahnsinnig frustrierend“ gewesen. Man sei nicht gehört und nicht respektiert worden. Am Schluss wäre man auch noch mit „Schikanen“ konfrontiert gewesen. Dies hätte es ihr „leider erneut aufgezeigt, dass es keinen Sinn macht sich mit diesen Leuten auseinander zu setzen“. Eigentlich wäre man „die ganze Zeit persönlich angegriffen worden“.

Selma Schacht (Betriebsrätin, Gewerkschaftsfunktionärin und Basisaktivistin) merkte an, dass man zwar Soziale Arbeit leisten würde. Das würde aber nicht heißen, dass die Arbeitgeber in irgendeiner Weise sozial wären oder ein „normales Sozialverhalten an den Tag“ legten.

Ubahn-Infoscreen: Warum ist für Gudi heute kein guter tag?
Foto: Nils Heusegg

Sie sei nicht darüber verwundert, dass man zuerst auf Gespräche eingegangen und es später immer skurriler oder unangenehmer geworden sei. Logischerweise würden Arbeitgeber am Anfang sondieren und versuchen Proteste mit Gesprächen „einzukochen“. Würde das nicht gelingen, würde die Arbeitgeberseite ihre Macht in Frage gestellt sehen. Genau das würden die Kolleg_innen ja auch tun, wenn sie an der Basis das „normale Lohnarbeitsregime“ in Frage stellen, indem sie während der Arbeitszeit diskutieren anstatt ihre Arbeit zu leisten oder die Arbeit generell niederlegen. Die sozialdemokratische Stadtpolitik, welche sich auch durch die Unternehmen ziehen würde, sei sehr hierarchisch und rigide. Alle Organisierung von unten würde diese Machtpositionen in Frage stellen. Gerade auch im Sozialbereich sei ein Arbeitskampf immer auch eine Machtfrage. Dabei müssten die Arbeitgeber in keinster Weise sozial sein.

Infoscreen Ubahn
Foto: Nils Heusegg

Von oben werde soziale Verwaltung gewünscht.  Der Fond Soziales Wien (FSW) zahle nicht „für Empowerment von unten“. Der Auftrag von oben sei ein „anderer als wir ihn verstehen“. Die kleinen früher erkämpften Freiheiten müsse man jeden Tag wieder neu erkämpfen und erstreiten. Es sei nichts, „was man sich von Arbeitgeber_innenseite als normal erwarten sollte“. Man müsse sich dieses Machtgefälles bewusst sein. Organisierung von unten kann nur eine Gegenmacht sein. Der Aufbau dieser Gegenmacht sei „total wichtig“ und brauche auch mal „ewig“, könne „aber auch sehr beständig sein“. Die Unterstützung aus den anderen Betrieben, die nichts mit der Wohnungslosen-Hilfe zu tun haben, zeige, dass dieses Gegenmachtaufbauen langsam aber sicher wirken und funktionieren würde.

Dem zustimmend merkte eine Kollegin an, dass der meiste Teil des Arbeitsalltags in der Wohnungslosen-Hilfe zwar basisdemokratisch funktioniere, es aber trügerisch sei. Denn sobald man etwas nachfragen würde, was über den Basisbereich hinausgehe oder den Bereich zwar betreffe, aber nicht auf dieser Ebene beschlossen werden könne, merke man schnell und deutlich welche Macht man selbst und jene, die über den Basismitarbeiter_innen stehen, haben.

Für kulinarische Unterstützung sorgte „Frühstück im Park“. Foto: „Frühstück im Park“

Die Betriebsrätin Katharina Kronhuber bestätigte die zunehmende Verhärtung der Fronten im Laufe des Arbeitskampfes. Ein positiver Aspekt sei die Eigeninitiative der Basismitarbeiter_innen  in der Gudrunstraße gewesen. Auch die Kolleg_innen des  „Haus Erdberg“, eine Unterkunft für Geflüchtete des ASB, hätten einen Brief an Sozialstadtrat Hacker und die Geschäftsführerin des FSW, Anita Bauer, formuliert.

Der FSW plane die Einrichtung, trotz aufrechten Bedarfs, Ende Juli zu schließen. Protestmaßnahmen gegen die Schließung einer Einrichtung seien schwierig, wenn bei Jobverlust die Verlängerung des Aufenthaltsstatus in Gefahr oder das Staatsbürgerschaftsverfahren gefährdet ist. Viele Kolleg_innen dort seien zudem über 50 Jahre alt. Hier müsse man eine Strategie entwickeln um auch diese Kolleg_innen „abzuholen“.

Generell sei es ein Missstand, dass alle Wohnbetreuer_innen beim ASB falsch eingestuft wären (Verwendungsgruppe 4). Gemeinsam mit der „Initiative Sommerpaket“ plane man ein „niederschwelliges Frühstück“ für die Mitarbeiter_innen und Bewohner (190 Männer) der Einrichtung  zu organisieren. Es ginge darum die bevorstehenden Kündigungen zu begleiten und Alternativen aufzuzeigen um zumindest die Situation „abzufedern“. Es werde weitere Verhandlungen bezüglich Entschädigungen für die Kolleg_innen der „Gudi“ geben. Zum Abschluss bedankte sie sich bei diesen für ihr Engagement.

Menschen sitzen am Keplerplatz
Foto: Nils Heusegg

Der Auftrag Sozialer Arbeit

Die Schweizer Sozialarbeiterin und Sozialarbeitswissenschaftlerin Silvia Staub-Bernasconi schreibt, dass das „UN-Manual Social Work and Human Rights“ „eine Passage“ enthalte, „die festschreibt, dass sich die Profession Sozialer Arbeit im Zweifelsfall auf die Seite ihrer Klientel und mithin gegen die Organisation stellen muss. Dass man sich dabei auch Ärger, Drohungen, Entlassungen und in vielen Staaten der Weltgesellschaft sogar Verfolgung und Inhaftierung einhandeln kann, ist nicht von der Hand zu weisen. So gehört zur professionellen Ausbildung auch die Frage, wie mit sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen zusammen gearbeitet werden kann und unter welchen Bedingungen Zivilcourage und Dissidenz in einem arbeitsrechtlich strukturierten Dienstverhältnis möglich und gefordert sind“.

Beides, Zivilcourage und Dissidenz, haben die Kolleg_innen der „Gudi“ gezeigt. Wie dringend notwendig das, ob der gelebten Realität beim Arbeiter-Samariter-Bund war, wird in einem offenen Brief an Sozialstadtrat Hacker deutlich.

Kurzzeitig besetztes Haus Rathausplatz 3
Kurzzeitig besetztes Haus, Rathausplatz 3. Foto: Nils Heusegg

Titelbild und alle Fotos: Nils Heusegg

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Ein Gedanke zu „Elendsverwaltung oder Soziale Arbeit?

  • Christian Becker

    Nein, Obdach- / Wohnungslosigkeit ist wahrlich kein schönes Thema. Als Sozialstadtrat muss man sich mit Menschen abgeben die wahlweise krank, nicht gut riechen, allgemein ungut, nicht aus Österreich und schlimmstenfalls alles zusammen sind.
    Unter Umständen könnte man als Sozialstadtrat dann auf den Gedanken kommen, dass das Land der Berge und Seen gar nicht sooo schön ist, wie in den Sissy Filmen zu Weihnachten.
    Also macht man sich als Sozialstadtrat lieber einen guten Namen, in dem man Geld spart. Wer Geld einspart, bekommt ein Bienchen vom Chef und bleibt Sozialstadtrat.
    Keine Frage, hier ist umdenken angesagt! Allerdings, und das wissen wir nicht erst aus der Biologie, gibt es auch keine Bäume an denen Geld wächst. Und wenn das Geld nun einmal pandemiebedingt doch nicht so fließt wie von den Wirtschaftsweisen vorhergesagt, muss man als Sozialstadtrat nun einmal Härte zeigen.
    Da heißt es auch als Mitarbeiter der sozialen Dienste aus dem altsozialistischen Denken auszubrechen und neue Allianzen zu schmieden. Ein Schlüsselwort hier, ist: CSR. Viele Unternehmen möchten ihr gesamtgesellschaftliches Ansehen etwas aufhübschen und sich wohltätig zeigen. Natürlich geht das am Besten mit Kindern und körperlich benachteiligten Menschen. Es kann aber auch gut funktionieren, wenn man diesen Unternehmen aufzeigt, wie peinlich es für ein Land wie Österreich ist, Menschen unter den gerade notwendigsten Bedürfnissen leben zu lassen.
    Und wenn später an Winterquartieren, Chancenhäusern o.ä. Einrichtungen neben dem FSW Schild auch die Logos der Fa. XY KG oder die A-Z GmbH auftauchen, könnte einem Sozialstadtrat einfallen, dass er seine Mitarbeiter auch adäquat bezahlen muss.

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