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Peru: Indigene im Amazonasgebiet durch Drogenhandel gefährdet

Die abgelegene indigene Gemeinde Unipacuyacu im peruanischen Amazonasgebiet wird vom organisierten Drogenhandel bedroht. Trotz Morde und Morddrohungen lässt der Staat die Indigenen allein.

Von Luis Hallazi Méndez* (servindi / NPLA)

Marcelino Tangoa ist der Vorsitzende der indigenen Gemeinde Unipacuyacu des Volkes der Kakataibo. Die abgelegene Gemeinde liegt im Departamento Huánuco im peruanischen Amazonasgebiet. Tangoa trat sein Amt nach Monaten des Schreckens und der Angst an, nachdem sein Vorgänger Arbildo Meléndez im April 2020 ermordet worden war. Seither ist sein vorrangiges Ziel, von den zuständigen Behörden die Einhaltung der Gesetze einzufordern, sein Gebiet durch einen kollektiven Landtitel rechtlich abzusichern und den sozialen Frieden in seinem Dorf wiederherzustellen.

Zweieinhalb Jahre später hat er dies immer noch nicht erreicht. Stattdessen hören die Drohungen, Schikanen und Gewalt im Gemeindegebiet nicht auf. Marcelino musste seine Dorfgemeinschaft vorübergehend verlassen, seine Mitstreiter*innen mussten die Belagerung durch Eindringlinge ertragen und die Lehrerin der einzigen Schule, die die Forderungen unterstützte, verließ nach einem Mordanschlag die Gemeinde. Verantwortlich für die lebensbedrohliche Situation mitten im Amazonas-Regenwald sind Eindringlinge, die Koka anpflanzen, das im Gebiet weiterverarbeitet und zur Vermarktung von geheimen Landepisten ausgeflogen wird.

Kokaanbau in indigenen Territorien weitet sich aus

Die Nationale Kommission für Entwicklung und ein Leben ohne Drogen (DEVIDA) hat gerade einen Bericht veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass sich der Kokaanbau 2021 in Peru vor allem in den indigenen Territorien ausgeweitet hat. Es wird von 15.380 Hektar berichtet, von denen 11.102 Hektar in Territorien indigener Gemeinschaften liegen. Das sind 71 Prozent mehr als 2020. 4.278 Hektar liegen in Territorien kleinbäuerlichen Gemeinschaften, 22 Prozent mehr als im Vorjahr. Darüber hinaus haben die Kokafelder in den Pufferzonen um Naturschutzgebiete, in denen viele indigene Gemeinschaften leben, im Vergleich zum Vorjahr um 36 Prozent zugenommen und umfassen insgesamt 12 436 Hektar.

Der Drogenhandel steht zusammen mit anderen Formen der illegalen Wirtschaft in direktem Streit um die Kontrolle der Territorien im Amazonasgebiet. Informationen deuten darauf hin, dass sich mit Beginn der COVID-19-Pandemie die ohnehin schwachen staatlichen Strukturen in abgelegenen Gebieten zurückzogen oder ganz verschwanden, während die Gewaltkriminalität in einigen Gebieten zunahm. Ein Beweis dafür sind die 18 Morde im Amazonasgebiet in zweieinhalb Jahren (2), eine Rekordzahl für Peru. Der Drogenhandel verfügt auch über subtilere Strategien, um in verarmte Gebiete vorzudringen, in denen kein Alternativprodukt mit Koka konkurrieren kann. Denn für Koka besteht seitens der 21 Millionen Kokainkonsument*innen im globalen Norden eine riesige Nachfrage.

Riesiger Kokainbedarf im Globalen Norden

Der Fall der Gemeinde Unipacuyacu, die vom Drogenhandel bedroht wird, ist exemplarisch; acht Gemeinden des Kakataibo-Volkes leiden unter dieser Situation. Trotz des guten Willens einiger Behörden der Zentralregierung sind die kollektive Landtitulierung, die Ausrottung der Kokapflanzungen und der wirksame Schutz der Gemeindemitglieder eine reine Illusion. Denn die Umsetzung einer solchen Politik des guten Willens muss vor allem vor Ort passieren. Aber dort haben Gesetze keine Geltung, der Drogenhandel hat die Macht. Er schafft es, alle Behörden zu korrumpieren, die sich seinen Zielen widersetzen. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums gibt es 64 indigene Gemeinden ohne Landtitel in Konflikt- oder sogar Notstandsgebieten. Sie sind bedroht von Drogenhandel, illegalem Holzeinschlag, Bergbau oder vom Handel mit Ländereien. Mit anderen Worten: Diese Gemeindegebiete sind vom organisierten Verbrechen eingekesselt.

Regierung ergreift keine wirksamen Maßnahmen gegen die Gewalt

Bei unserer Arbeit mit diesen Gemeinschaften haben wir festgestellt, dass die Regierung bisher keine wirksamen Maßnahmen ergriffen hat, um indigenes Land zu schützen, wenn es zu Gewalt kommt. Auch mit der neuen bereichsübergreifende Regelung zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen sind die Fortschritte höchst bescheiden. Obwohl neun Regierungsinstitutionen, darunter die Generalstaatsanwaltschaft, das Innen-, das Kultur- und Umweltministerium, DEVIDA und das Landwirtschaftsministerium unter der Supervision supranationaler Organisationen zusammenarbeiten, war es bisher nicht möglich, das Gebiet zu betreten, um das Territorium zu titulieren und das Leben der bedrohten Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger*innen wirksam zu schützen.

In diesen zweieinhalb Jahren, in denen die Behörden immer schwächer wurden, konnte keine staatliche Einrichtung garantieren, ihre Kontrollfunktionen wahrzunehmen oder einfach nur das Gesetz in diesen Gebieten durchzusetzen, wenn sie nicht von Militär und Polizei geschützt wird. Indigene Völker verhindern inzwischen nicht nur die Zerstörung der Wälder, sie stehen heute auch an vorderster Front im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, ohne dass sie öffentliche Unterstützung erhalten oder darauf vorbereitet sind.

Indigene an vorderster Front

Die Ergebnisse sind eindeutig: Die Opfer des Drogenhandels sind indigene Völker. Elf der 18 Morde sind auf den Drogenhandel zurückzuführen. Die Präsenz des Staates ist dringend erforderlich – aber zunächst müssten Maßnahmenpläne für die indigenen Territorien, die vom Drogenhandel oder anderen Formen der organisierten Kriminalität betroffen sind, erstellt werden. So können Repressalien vermieden werden. Außerdem müssen dringend die Lücken bei der dauerhaften Bereitstellung von Dienstleistungen in indigenen Territorien geschlossen und nachhaltige Alternativprojekte entwickelt werden, die der indigenen Wirtschaft Vorrang einräumen.

Der Kampf gegen die Entwaldung im Amazonasgebiet wird mit erheblichem finanziellem Aufwand geführt, um den Klimawandel zu stoppen. Aber er kann nicht isoliert angegangen werden. Gleichzeitig müssen in den Territorien, in denen sich illegale Wirtschaftszweige mit Gewalt durchsetzen, das Leben und die Unversehrtheit der indigenen Völker wirksam geschützt werden.

*Luis Hallazi ist Jurist und Politikwissenschaftler, Wissenschaftler am Instituto del Bien Común (IBC), einem lokalen Partner von Manos Unidas in Peru.


Dieser Beitrag erschien am 23.10.022 auf npla.de, lizensiert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international. Originalartikel: servindi.org

Titelbild: Anna & Michal auf Flickr / CC BY 2.0

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