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„Ich glaube an die Macht der Sprache“

Der Naturwissenschaftler Ion Karagounis legt seinen ersten Roman vor, in dem er dramaturgisch unser Erbe der Erde gegenüber hinterfragt und sich überzeugt von der Kraft der Sprache zeigt. – Sonntag ist Büchertag

Interview: Urs Heinz Aerni

Buchcover
Ion Karagounis – Was wir hinterlassen (Edition 381)

Sie engagieren sich auf der Basies Ihres Studiums der Naturwissenschaften nicht nur für Fragen der Umwelt und des Klimawandels, Sie schreiben auch Reisereportagen. Was macht denn das Schreiben mit Ihnen?

Karagounis: Meist amüsiere ich mich beim Schreiben. Es entsteht eine innere Vergnügtheit, die ich genieße und mit mir alleine teilen kann. Und ich kann meiner Fantasie freien Lauf lassen, was bei Sachtexten weniger der Fall ist, bei denen Exaktheit und Verständlichkeit im Vordergrund stehen. Selbstverständlich, auch bei einer Reisereportage ist man dem verpflichtet, was man erlebt hat – trotzdem besteht ein großer Spielraum dabei, wie man das sprachlich umsetzt.

Aerni: Wie würden Sie Ihre Lust am Schreiben beschreiben?

Karagounis: Ich liebe es, lose Enden zusammenzuführen und überraschende Übergänge zu gestalten, Zusammenhänge herzustellen, wo auf den ersten Blick keine existieren, wie beispielsweise zwischen den Gartenzwergen und dem Klimawandel in meinem neuen Roman.

Aerni: …eine interessante Assoziation…

Karagounis: Manche Zusammenhänge mögen vielleicht etwas konstruiert daherkommen, aber sie regen zum Nachdenken an.

Aerni: Ihr Roman umkreist die vier Brüder, Softwareunternehmer, ein Häusermakler, ein Schriftsteller und ein Klimaforscher. Sie müssen sich entscheiden, wer welche Firma übernehmen soll. Was war die Initialzündung für ein solches Setting?

Ion Karagounis: Zu Beginn stand die Idee für eine Erzählung, in der sich die Protagonisten über aktuelle gesellschaftliche Fragen streiten, hauptsächlich die Klimakrise und ihre Folgen für uns Menschen. Dabei war jedoch die Gefahr groß, dass das zu einer abstrakten, blutleeren Angelegenheit werden könnte. Dem wollte ich einen Mikrokosmos gegenüberstellen, in dem sich die vier über etwas in die Haare geraten, was sie persönlich betrifft und das ihnen nahe geht. Auf die Erbstreitigkeiten kam ich wohl, weil ich in einem Alter bin, in dem meine Freunde und ich selbst mit Erbfragen konfrontiert werden.

Aerni: Trotz einer flüssig zu lesenden Sprache brachten Sie vielen Fakten zu verschiedensten Themen ein. Wie gross war denn der Aufwand für die Recherchen?

Karagounis: Am meisten Zeit aufgewendet habe ich für die Passagen rund um die psychischen Krankheiten und ihre Behandlungsmöglichkeiten. Die habe ich auch durch zwei Experten gegenlesen lassen. Mit den übrigen Themen komme ich beruflich immer wieder in Berührung und habe bereits viel Hintergrundwissen. Hier ging es eher um das Bestätigen von Informationen, was heute dank Internet schnell geht.

Aerni: Sie packen interessantes Wissen in den Roman. Ich denke zum Beispiel an die klimabedingte Notumsiedelung von 650 Millionen Menschen. Was reizte Sie, solche Informationen in Form von Belletristik zu verpacken?

Karagounis: Ich lebe in einer Berufswelt, in der es ständig um Fakten und Zahlen geht, und in der man sich gerne in den Details verliert. Doch was davon ist wirklich wichtig, um die großen Zusammenhänge zu sehen? Meistens sind es nur einige wenige Dinge, wie eben die Tatsache, dass mehrere hundert Millionen Menschen ihr zu Hause verlieren könnten wegen des Klimawandels. Wir tun uns schwer mit den ein bis zwei Millionen Menschen, die jährlich nach Europa kommen – wie soll das gehen mit der zehn- oder gar hundertfachen Menge?

Aerni: Und inwiefern hilft die literarische Gattung des Romans?

Karagounis: Belletristik erlaubt es, diese grotesk hohe Zahl auf unterhaltsame und beiläufige Art und Weise in den Erzählfluss einzustreuen. Sie wird aber eher hängen bleiben als in einem nüchternen Sachtext, der überquillt vor Informationen.

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Aerni: In dieser literarischen Auseinandersetzung agieren Sie mit viel und schnellen Dialogen. Wie dürfen wir uns die Ausgestaltung der Charaktere vorstellen, also die Entwicklung der Protagonisten?

Karagounis: Bei den komplexen gesellschaftlichen Fragen, die uns heute umtreiben, gibt es ja keine eindeutig richtigen oder eindeutig falschen Antworten. Ich habe versucht, den einzelnen Charakteren eine Meinung zuzuschreiben und dadurch im Dialog zwischen den Brüdern auch die anderen Sichtweisen einzubringen.

Aerni: Oft ist zu lesen oder zu hören, dass zwischen Autorenschaft und der eigenen Figuren besondere Beziehungen entstehen. Wie war das bei Ihnen?

Karagounis: Inhaltlich steht mir Denis, der Klimawissenschaftler, sicher am nächsten.

Aerni: Ist nachvollziehbar…

Karagounis: Doch ich habe ihn bewusst unsympathisch gestaltet, weil es in meinem Roman nicht gute und böse Figuren geben sollte. Auch der sphinxhafte Max liegt mir am Herzen, weil ich Ironie und Sarkasmus liebe, wenn sie situationsgerecht eingesetzt werden. Selbst den Positionen von Herbert, dem etwas stereotyp dargestellten Manager, kann ich einiges abgewinnen, da ich selbst über lange Zeit in Führungspositionen gearbeitet habe.

Aerni: Ob Künstliche Intelligenz, Freikirche und Islam, LSD oder maßloser Konsum, Sie streifen diese und viele andere aktuelle Fragen in ihrem Roman, was ihn trotz Süffigkeit der Sprache dicht an Stoff macht. Wie groß ist ihr Glaube an die Macht der Literatur?

Karagounis: Sehr groß – wobei ich das nicht auf Literatur beschränken würde, sondern auf Sprache und Kommunikation generell, sei es in einem Roman, in einem Sachtext, einer juristischen Abhandlung oder auch in gesprochener Form. Wer Sprache beherrscht, leichtfüßig mit ihr umgehen und sie zielgerichtet einsetzen kann, der genießt unendlich viele Vorteile im Alltag und kann damit Macht über andere gewinnen.

Aerni: In Ihrem Roman las ich den Satz einer Figur: «Heute profitieren hauptsächlich jene vom Wachstum, die ohnehin schon viel haben.» Vom Glaube an die Literatur zum Glauben an die Menschheit: Hand aufs Herz, wie rosig sehen Sie unsere Zukunft?

Karagounis: Unsere Zukunft wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein tieferes materielles Wohlstandsniveau mit sich bringen, als wir es heute kennen. Aber das muss nicht schlecht sein. Wir Menschen neigen dazu, ausgehend von dem, was wir heute kennen und lieben, auf ein wünschenswertes Morgen zu schließen. Vielleicht aber werden die Menschen in ein paar Jahrhunderten nur ein mitleidiges Lächeln für unser heutiges Dasein übrighaben. Schaut mal, wie armselig das früher war, werden sie sich denken, die haben im Hamsterrad gedreht und vor lauter Gier nach immer mehr alles zerstört. Nach der Aufklärung, der industriellen Revolution und der neoliberalen Periode haben wir heute zu einer gesunden Balance zwischen Haben und Sein gefunden.

Aerni: Zum Schluss: Was wünschen Sie den Lesenden, die Ihr Buch in den Händen halten?

Karagounis: Bei aller Schwere, die die Aktualität mit sich bringt, und die auch Teil meines Buches ist: einige vergnügliche Stunden und das eine oder andere Aha-Erlebnis.


Ion Karagounis – Was wir hinterlassen
Verlag: Edition 381 – 184 Seiten, 2023
ISBN 978-3-907110-22-5

Ion Karagounis, 1964 geboren, ist schweizerisch-griechischer Doppelbürger und lebt in Schaffhausen. Er hat Naturwissenschaften studiert, sich in Unternehmensführung und Journalismus weitergebildet und ist heute beim WWF Schweiz verantwortlich für Zukunftsfragen und neue Wirtschaftsmodelle. Zudem schreibt er regelmäßig für Schweizer Zeitungen und Zeitschriften, so für die »NZZ« oder »Das Magazin«. In seinen Texten sucht er Antworten auf ökonomische, ökologische und psychologische Fragen: Wie lösen wir den Widerspruch zwischen einer Wirtschaft, die auf stetes Wachstum angewiesen ist, und den natürlichen Ressourcen, die klare Grenzen vorgeben? Wie können wir die Menschen für den Wandel gewinnen und wie bleiben wir zuversichtlich in einer Zeit, in der auf eine Katastrophe die nächste zu folgen scheint.

 Titelbild: was-wir-hinterlassen.ch / UZ

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